teufels badInternationale Filmfestspiele Berlin vom 15. bis 25. Februar 2024, Wettbewerb Teil 16

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) – Ein form-und inhaltlich vollendeter Film! Was das bedeutet? Ganz einfach. Ein Film, in dem alles, aber auch alles stimmt, der von Inhalt und Form her, einschließlich eindrucksvoller Darsteller und Darstellerinnen, einer wundersamen Kamera (mit der stets eingängigen Musik gar nicht anders ausschauen dürfte, als die 121 Minuten, die wir gebannt auf die Leinwand schauen. Ein Film von heute für heute. Ja und nein, denn er spielt in Oberösterreich im Jahr 1750, ist aber in seiner Aussage allgemeingültig und heute sogar in besonderer Weise.

Wie das? Die Eingangsszene schockt für die nächsten Minuten. Das greift in einem Wald eine herumirrende Frau nach einem dort liegenden Baby. Während wir noch denken, es ist ihres, läuft sie zum rauschenden Wasserfall, wirft das Baby hinein, dessen Tod wir mitverfolgen, sind aber gleich wieder bei der Frau, die an der Kirchen/Klosterpforte klopft und sich eines Verbrechens beschuldigt. Die Aufklärung verstehen wir erst am Schluß, sagen sie aber gleich: diese Frau war lebensmüde, aber gläubig und die Priester der Katholische Kirche vergeben den Mördern in ihren letzten Beichten ihre Schuld im Namen Gottes, während die Obrigkeit das Todesurteil spricht. Das aber bedeutete damals, daß die Mörderinnen auf dem Friedhof, also in gesegneter Erde begraben werden, während Selbstmörder keine Ruhestätte finden, stattdessen im Wald den Tieren zum Fraß vorgeworfen werden.

Agnes (Anja Plaschg ) weiß um die Hingerichtete, die als Abschreckung auf einer Holzkonstruktion ausgestellt ist und deren Finger von Einheimischen abgeschnitten werden, weil man ihnen Heilwirkung zuspricht. Auch Agnes wird vom jungen Mann der Familie, bei der sie, die Fremde, unterkam, einen Finger als Hochzeitsgeschenk erhalten. Daß mit ihr etwas nicht ganz stimmt, konnte man an ihren von ihr versteckten Gegenständen erkennen, die sie dann heimlich mit Kerzen auf einem Altar anbetet.

Die ganze, historisch wahrheitsgetreue Geschichte findet auf einem Hügel mit an die Erde gedrückten niederen Bauernhäusern statt, wo das Vieh dicht dabei steht, der Wald überwuchert alles, ist finster und dunkel. Das alles weiß man noch nicht, wenn die eigentliche Geschichte mit der Hochzeit von Agnes und Wolf (David Scheid) beginnt. Er zeigt sich fürsorglich, hat schon ein eigenes Haus (für uns eine niedere und dunkle Bruchbude) für beide gekauft und noch sieht alles nach einem glücklichen Eheanfang aus. Doch schon in der ersten Nacht wissen die Zuschauer, daß dies nicht sein wird. Denn Wolf wendet sich von der ihn zum Liebesspiel auffordernden Agnes ab, befriedigt sich selbst und wir haben schon vorher bei der Hochzeit mitbekommen, daß er sich mit einem Mann küßte.

Wir sehen das, aber der Film greift das nicht auf, eine kluge Strategie, daß der Zuschauer mehr weiß als Agnes, die sich auch ihren Reim macht, aber in der typischen Manier von Frauen, die Schuld für sein ausbleibendes Begehren bei sich sucht.

Gleichzeitig verlangt ihre Schwiegermutter von ihr den gleichen Einsatz beim Fischfang und der Hausarbeit, die sie selber seit Jahrzehnten leistet. Ständig ist etwas zu tun, zu melken, zu kochen, aufzuwaschen, Wäsche waschen, Fische fangen, etc. Bald ist das Agnes alles zuviel. So hat sie sich Verheiratetsein nicht vorgestellt, vor allem, da sie in ihrem Mann keinen Mann hat. Vor allem, weil sie dann kein Kind bekommt, mit dem sie sich erst im Sinne der Zeit als vollwertige Frau fühlt. Sie läßt nach, sie verweigert sich, sie verschwindet einfach im Wald. Noch ist das tolerabel. Aber ihr Gemüt umdüstert sich zusehends. Sie will nicht mehr leben, ist aber, viele Gesten zeigen das, tief gläubig und weiß sich verdammt, wenn sie sich selbst umbringt. Das kann sie gerade verfolgen, als der Freund von Wolf erhängt aufgefunden wird und als Selbstmörder nicht beerdigt werden darf, was in diese Geschichte als Zynismus der Kirche paßt.

Und so greift die zunehmend desorientierte Agnes zur mörderischen Tat, die die Enthauptete – ausgestellt doch eigentlich als Abschreckung - vorgemacht hatte. Sie ergreift einen Jungen, erschlägt ihn grausam, denn er wehrt sich, bittet sie, ihn leben zu lassen, doch sie hat kein Mitleid, sondern läßt ihn sterben und eilt schnurstracks zur Pforte der Kirche und verlangt die Beichte, die ihr gewährt wird. Und wie wir jetzt den Anfang verstehen, wird der Priester ihr Gottes Verzeihung gewähren, worüber sie tief glücklich ist, denn so wird sie nach ihrem Sterben durch das Fallbeil doch in den Himmel kommen. Darum geht es im Kern. Sie wird dann des Mordes am Kind schuldig gesprochen und mit dem Schwert enthauptet werden, die zweite Tote, die lieber einen anderen Menschen umbrachte, als sich selber, weil nur so Gottes Verzeihung zu erreichen war.

Eine fürwahr grausliche Geschichte, aber eine wahre. Und nicht nur eine. Wie der Abspann aufweist, gibt es für diese Jahrzehnte in allen europäischen Ländern Gerichtsprotokolle, die diesen völlig unbekannten, unterbelichteten Aspekt europäische Geschichte benennen, den dieser Film grandios und gnadenlos ausleuchtet. Eine kulturgeschichtliche Tat und ein meisterlicher Film.
Daß dieser Film in einem anderen Sinn brennend aktuell ist, darauf verwiesen die Filmemacher ausdrücklich. Damals ging es um die Gegensätze zwischen den Menschen, wo Fremde und jeder mit Eigenarten ausgegrenzt wurde. Auch heute steht wieder nach Jahren der Toleranz im Vordergrund das Trennende zwischen Menschen, die in Kästchen und Zugehörigkeiten eingeteilt werden, sich selber einteilen, statt das Gemeinsame zu betonen.

Foto:
©Berlinale

Info:
von Veronika Franz & Severin Fiala
Österreich / Deutschland 2024Deutsch, Untertitel: Englisch121'Farbe

Stab
Regie
Veronika Franz, Severin Fiala
Buch Veronika Franz, Severin Fiala
Kamera
Martin Gschlacht

Besetzung
Anja Plaschg (Agnes)
David Scheid (Wolf)
Maria Hofstätter (Schwiegermutter Gänglin)