Internationale Filmfestspiele Berlin vom 15. bis 25. Februar 2024, Wettbewerb Teil 18
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) – Wenn auf der Pressekonferenz nur Frauen, meist junge Frauen sitzen, ist das völlig korrekt, denn dieser Film ist ein musikalischer Frauenfilm oder auch ein Frauen-Musikfilm, wobei das GLORIA im Titel einmal nicht ein Frauenname ist, sondern an die katholische lateinische Liturgie und den wunderbare Hymnus GLORIA IN EXCELSIS DEO, als Ehre sei Gott in der Höhe, anknüpft. Aber im Film geht es nicht um das jenseitige Leben, sondern wie junge Frauen sich um 1800 aus der sozialen und kirchlichen Knechtschaft mit Hilfe der Musik befreien. Kostüme und die Handlung sind zeitbezogen. Das Wesen der Mädchen ist allgemeingültig.
Allerdings war es um 1800 schlimm, ein Mädchen und minderbemittelt zu sein. Sant Ignazio im Umkreis von Venedig ist eine Art klösterliche Musikschule für Mädchen, die woanders nicht unterkommen. Wir erleben mit Teresa (Galatéa Bellugi) ein merkwürdiges Mädchen. Sie heißt die Stumme und ist die letzte in der Hierarchie, muß putzen und zu Diensten sein, sie wird selbst von den jungen Musikschülerinnen nicht für voll genommen. Bis sie auf einmal spricht. Sprechen kann. Denn jetzt lohnt es sich für sie. Sie hat im Haus das neu gelieferte Pianoforte entdeckt und entlockt diesem Töne, die diametral den kirchlichen Gesängen sind.
Während der Priester und Kapellmeister Perlina (Paolo Rossi) mit dem Quartett Carlotta Gamba (Lucia), Veronica Lucchesi (Bettina), Maria Vittoria Dallasta (Marietta), Sara Mafodda (Prudenza)und anderen im Mädchenorchester ein Stück proben will, das er noch gar nicht komponiert hat, weil ihm die Aussicht, daß der Papst zur Aufführung kommt, so zusetzt, daß ihm gar nichts mehr einfällt, tobt sich erst Teresa am Tasteninstrument aus, dann als sie von den übrigen entdeckt wird, geht es musikalisch rund, denn alle blühen angesichts der Töne des Pianofortes auf.
Das ist allerliebst und witzig inszeniert. Denn die Außenseiterin Teresa, die letzte in der Hackordnung, steigt in der Achtung der anderen, die von Lucia dominiert werden, als sie sie am Klavier hören. Sie spielt Jazz, sie spielt Pop, sie spielt Einzeltöne, als ob sie gerade die Musik erfindet. Obwohl um 1800 eigentlich andere Musik komponiert wurde, bleibt das Mädchenorchester unter Perlina der Barockmusik und da vor allem Antonio Vivaldi ((1678-1741)i) treu. Hier geht es n ie um musikalische Genauigkeit, sprich historische Aufführungspraxis und entsprechende Musik, sondern generell um die Kraft und Freude, die Musikmachen erzeugt.
So lassen sich die Vier nach und nach auf die Musik von Teresa begeistert ein und auf einmal kann sie auch sprechen, denn jetzt hat sie etwas Gemeinsames mit den anderen Mädchen. Längst haben wir auch ihr Geheimnis herausgehört, daß am Schluß auch ans Licht kommt. Sie ist als jungen Ding vom Gouverneur vergewaltigt worden, das Kind, das sie gebar, wird von seiner Frau großgezogen, die wohl von allem etwas ahnt, denn sie hilft Teresa immer wieder aus schwierigen Situationen heraus und läßt sie ihr Kind sehen, das für die Welt ja ihr eigenes ist. Der Junge spürt übrigens mehr als er weiß und ist vor allem so musikalisch wie seine Mutter.
Denn die ist der Kern dessen, was jetzt musikalisch abgeht. Dem drögen Perlina, dem keine neue Komposition gelingt, werden Stücke von Lucia untergeschoben, die er dirigiert, nur wird dann beim Konzert die eigentliche Musik der Fünf – längst ist aus den konkurrierenden Mädchen eine echte Musikgang geworden – vom Orchester aufgespielt, daß die an anderes gewohnten Ohren des Publikums und vor allem des Papstes dröhnen und sie sich mit Schrecken abwenden. Der Gouverneur ist so entsetzt, daß er gleich am Herzschlag stirbt, was für alle Beteiligte besser ist, denn jetzt wird Teresa im Haus der Gouverneurin aufgenommen, ist ihrem Sohn nahe, macht mit diesem Musik.
Doch die Musikerinnen haben genug vom Eingesperrtsein, sie machen sich auf in die Welt, geben Konzerte und das Ganze ist eine so fröhliche musikalische Botschaft, die nicht nur gute Laune macht, sondern auch ohne über die elendlichen Umstände nur zu klagen, positiv die Kraft und Fähigkeit von Frauen zeigt, unter widrigsten Umständen kreativ und erfolgreich zu sein.
Wenn die Filmemacherin mit ihren Gespielinnen dann noch sagt: „… Gloria! handelt von der Fantasie und dem Talent all der vielen Komponistinnen, die wie gepresste Blumen zwischen den Seiten der Geschichte verborgen sind“, so ist damit der eigentliche Kern der Geschichte angesprochen. Es geht nicht um die Einzelnen, sondern um die Möglichkeit, die sich Frauen in unseren aufgeklärten Gesellschaften errungen haben, nämlich das einst einstudierte Vorurteil, Frauen seien nicht schöpferisch, zu widerlegen. Sie brauchen nur die Gelegenheiten, dann strömt es nur so aus ihnen heraus. Ein intelligenter Film voller toller Frauen und mitreißender Musik.
Foto:
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Info:
GLORIA von Margherita Vicario | Italien / Schweiz 2024Italienisch, Untertitel: Englisch, Deutsch106'Weltpremiere | Debütfilm
Stab
Regie
Margherita Vicario
Buch
Anita Rivaroli, Margherita Vicario
Kamera
Gianluca Rocco Palma
Montage
Christian Marsiglia
Musik
Margherita Vicario, Davide Pavanello
Besetzung
Galatéa Bellugi (Teresa)
• Carlotta Gamba (Lucia)
• Veronica Lucchesi (Bettina)
• Maria Vittoria Dallasta (Marietta)
• Sara Mafodda (Prudenza)
• Paolo Rossi (Perlina)
• Elio (Romeo)
• Vincenzo Crea (Cristiano)
• Natalino Balasso (Gouverneur)
• Anita Kravos (Donna Lidia)
• Jasmin Mattei (Fidelia)