11 goldener baer RWD 1780Internationale Filmfestspiele Berlin vom 15. bis 25. Februar 2024, Wettbewerb Teil 24

Hanswerner Kruse

Berlin (Weltexpresso) - 
Zum Höhepunkt der 74. Berlinale vergab die internationale Jury acht Gold- und Silberbären an Filme, die weder die Vielfalt der Wettbewerbsbeiträge noch das Spektrum des gesamten Festivals widerspiegelten. 

Mit dem Hauptpreis wurde erneut ein mittelmäßiger Dokumentarfilm prämiert, offenbar weil sich die Jury nicht auf einen Spielfilm einigen konnte. 
In ihrer vergoldeten Doku „Dahomey“, benannt nach dem alten afrikanischen Königreich, begleitet Regisseurin Mati Diop die Rückgabe von 26 großen Kultstücken französischer Raubkunst an den Staat Benin. Eine originelle Idee, die Geschichte aus Sicht der Skulptur Nummer 26 zu zeigen, die häufig aus dem Off erzählt und sich vor ihrer Heimkehr fürchtet: „Ich habe Angst nicht erkannt zu werden und Angst, nichts zu erkennen.“  Politisch brisant ist das Thema allemal, doch in endlosen Einstellungen große Kultstücke einpacken, auspacken und transportieren, sowie eine heftige postkoloniale Diskussion mit Studenten über den Sinn dieser Aktion, tragen 67 Minuten lang keinen Film. 

Eigentlich fing der Galaabend gut an, für seine „Besondere künstlerische Leistung“ erhielt Martin Gschlacht zur Kameraarbeit in „Des Teufels Bad“ einen Silberbär. Der spannende und in sich stimmige Film zeigt das Schicksal einer unglücklichen Frau im 19. Jahrhundert. Der Österreicher betonte, noch nie habe er eine so großartige Akteurin – wie Anja Plaschg - vor der Kamera gehabt. Damit sprach er zu Beginn der Preisverleihung das heimliche Thema des Wettbewerbs an: Es war wieder einmal die Berlinale der starken Frauen. Mindestens neun Schauspielerinnen aus Nepal, Tunesien, Persien, Mauretanien, Italien und weiteren europäischen Ländern dominierten die Beiträge des Wettstreits: Die alte Dame, die einen Mann will. Die starke tunesische Mutter. Die widerständige Hilde. Die Frau, die bei der Hochzeit "nein" sagt. Die Gefängniswärterin.Die eiskalte Mutter. Die Buddhistin, die zu sich selbst findet... 

Doch für die beste schauspielerische Leistung wurde ein Mann ausgezeichnet, der mit grotesker Gummimaske nicht viel darstellen konnte. In „A Different Man“ gibt er eine grausig entstellte Horrorfigur, die nach ihrer überraschenden Heilung keine Rolle in dem, von ihr inspirierten Theaterstück spielen darf. Aber weder die großartigen außereuropäischen Frauen noch die Filme aus ihrer Region wurden mit Bären bedacht. Die großen Publikums- und Kritikerlieblinge „In Liebe, Eure Hilde“ (Deutschland) oder „My Favorite Cake“ (Iran) ignorierte das internationale Preisgericht. Doch die beiden Werke wurden wenigstens in weiteren Kategorien jenseits des Wettbewerbs ausgezeichnet, denn immerhin gab es auf der Berlinale über 50 weitere Preise.

Ach ja,   Matthias Glasner bekam noch den Preis für das beste Drehbuch zum dreistündigen eindringlichen Film „Sterben“. Ausgerechnet das Drehbuch! Dadurch wurden nun wirklich nicht die hervorragenden Akteure wie Corinna Harfouch, Lars Eidinger, Lilith Stangenberg und Ronald Zehrfeld mitgeehrt. Wenn es wenigstens noch der Regiepreis gewesen wäre (wie einst bei Christian Petzold für "Barbara").

Stattdessen ging der Silberbär für die beste Regie an die filmische Collage „Pepe“, ein grunzendes sprachbegabtes Nilpferd wird von seiner Herde getrennt und in den Privatzoo eines Drogenbarons in Südamerika verschleppt. Immerhin nimmt der Film eine originelle Perspektive ein, ist äußerst abenteuerlich geschnitten und endet überraschend. Den zweiten und dritten Preis bekamen die läppische französische Persiflage eines Weltraumkrieges und der belanglose Streifen des südkoreanischen Regisseurs Hong Sangsoo, Dauergast der Berlinale. Wie so oft wird bei ihm viel geredet, immerhin agiert die unvergleichliche Isabelle Huppert als geheimnisvolle Sprachlehrerin. 

Wie jedes Mal gab es durchgehend Kritik an den Festspielen, aber Publikum und Filmschaffenden war das egal. Die Kinos waren voll, die Leute konnten Galas besuchen, mit den Cineasten sprechen und nicht nur am roten Teppich Autogramme bekommen. Die Palette der Beiträge war enorm, von experimentellen Streifen bis zu Retrofilmen oder zeitgenössischen Serien. Gedreht oben im Himalaya, in der tunesischen Wüste oder im Gefängnis. Das größte Publikumsfestival der Welt hat trotz der jämmerlichen Jury-Entscheidungen seine internationale Bedeutung belegt und wohl allen Beteiligten viel Spaß gemacht. Die Besucherzahl von 300.000 wird allemal wieder erreicht werden. Es gab zwar weniger Filme zu sehen, doch dafür wurden sie häufiger aufgeführt. Trotz gelegentlicher, einseitiger Sympathiebekundungen für die Palästinenser durch mehrere Filmschaffende auf der Abschlussgala, war es ansonsten eine friedliche und politisch ausgewogene Berlinale.

Tja, nun geht Carlo Chatrian endlich und wir freuen uns auf die neue Leiterin Tricia Tuttle, die ab heute ihre Arbeit aufnimmt. Hoffentich wird sie als erstes die Sektion Encounter beenden, deren Filme ja seit jeher im vierzigjährigen Forum bestens aufgehoben sind.

Foto:
Regisseurin und Produzentin Mati Diop mit Jurypräsidentin Lupita Nyong'o © Ali Ghandtschi / Berlinale 2024