Internationale Filmfestspiele Berlin vom 15. bis 25. Februar 2024, Wettbewerb Teil 25
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) – Nein, darauf konnte man nicht vorbereitet sein, was die Internationale Jury, die für die Wettbewerbspreise, die Bären, zuständig ist, sich an sonderlichen, absolut irritierenden Preisvergaben ausgedacht hat. Oder doch. Im Nachhinein. Da fiel doch gleich auf, daß im Wettbewerb ungewöhnlich viele französisch produzierte Filme auftauchten: 10 von 20. Das ist die Hälfte. Davon haben zwei Filme Frankreich als alleinige Produzenten.
Der eine Film hat den GOLDENEN BÄREN erhalten, DAHOMEY von Mati Diop, Ein Film, der ein aktuelles polit-kulturelles Thema wie Raubkunst behandelt, auch einige gute Momente hat, wenn die in Kisten verpackten Statuen zu reden anfangen. Aber schon das, was sie reden, bleibt belanglos. Dabei würde den Zuschauer und auch die Bürger des Landes, wohin sie zurückgeschickt werden, doch interessieren, welche Funktion sie beim Entstehen, sozusagen in Kindheit und Jugend hatten. Denn das waren Kultgegenstände, kein Schmuck, keine Kunst, wie interessant wäre es, diese gewaltige Skulptur dies erzählen zu hören. Und dann erst die Eigentumsfrage. Wer erhält die Statuen aus Paris? In Deutschland sind auch Benin-Bronzen zurückgegeben worden. Aber – großer Schreck – sie gingen nicht ans Volk zurück, in ein Museum, sondern an die noch existierende Königsfamilie. Mehr als problematisch. Und was wird mit den Stücken aus Paris? Leider eine Fehlstelle im Film. Da gibt es nur Interpretationen, aber keine Klarheit. So ist ein guter Ansatz einfach unzureichend, ohne kunsthistorischen Hintergrund abgefilmt worden.
Der SILBERNER BÄR GROßER PREIS DER JURY ging an Yeohaengjaui pilyo (A Traveler‘s Needs) von Koreaner Hong Sangsoo. Dort spielt Isabelle Huppert die Hauptrolle, die eine Französischlehrerin mimt, wo also viel Französisch gesprochen wird. Wie überrascht der Regisseur über den Preis war und wie er ihn selbst ironisch in Frage stellte, zeigte seine Reaktion, als er öffentlich sein Interesse bekundete, was die Jury wohl in seinem Film gesehen habe.
Den SILBERNEN BÄREN PREIS DER JURY erhielt der französische Film L’Empire (The Empire) von Bruno Dumont, der in Frankreich spielt. Das ist ein Film, der dem Außerirdischen-Wahnsinn ein andermal eine ironische Note gibt, wobei deren Standorte in Kathedralen sind. Das ist komisch, aber mehr nicht.
In den drei wichtigsten Preisfilmen wird Französisch gesprochen. Das fällt auf, wird aber nirgends thematisiert. Es fällt auch auf, daß diese drei Filme nicht als Favoriten galten und nach ihrer Aufführung vor der Presse keinen großen Beifall erhielten, im Gegensatz beispielsweise zu IN LIEBE, EURE HILDE, ein Film, der überhaupt keinen Preis erhielt und auch im Gegensatz zum iranischen Film, der den größten Beifall erhielt und zudem die Preise der Filmkritik und der Ökumene als bester Film errang. Das ist doch sehr seltsam, von den Fachleuten ausgezeichnet zu werden und von der Jury übersehen zu werden. Es stimmt, daß der Film ästhetisch traditionell verfilmt ist. Das gilt aber für die drei französischen, prämierten Filme ebenso.
Es bleibt also ein Rätsel, warum die Jury so entschieden hat. Da darf man zumindest interpretieren. Ich sehe es in der Auswahl dieser Jury durch den scheidenden Leiter Carlo Chatrian in gleichem Maße wie in der Auswahl der Filme. Er ist gelobt worden, daß er ein erstes Mal eine Schwarze als Jurypräsidentin erwählt hatte.
Lupita Ny0ng’o nun wiederum zeigte sich stolz, daß sie als erste schwarze Präsidentin zum ersten Mal einer schwarzen Regisseurin und Produzentin den Goldenen Bären überreiche? Einer Schwarzen? Mati Diop ist die Tochter einer Französin und eines in Frankreich geborenen Mannes aus dem Senegal. Sie ist also so schwarz wie weiß. Und als sie in der Dankesrede schloß: „I stand in solidarity with Palestine“, war das eingetreten, was sich zuvor schon angedeutet hatte. Auf einmal war die Empathie für Schwarz vereint mit Empathie für Palästinenser. Als ob es diesselbe Form geschichtlicher Unterdrückung und dieselbe Art ihrer Aufarbeitung wäre, wo doch gerade gestern Juden die Opfer waren, sind sie jetzt die Unterdrücker. Das ist eine derartige unzulässige Vermischung von Sachverhalten, die sich nicht vergleichen lassen, daß es intellektuell und moralisch wehtut. Nicht die Juden rächen den tödlichen Angriff auf eine Jüdische Gemeinde auf einem Festplatz, sondern die israelische Regierung. Allein zwischen einer rechten Regierung und der Bevölkerung nicht mehr zu unterscheiden, zeigt die intellektuelle Armut. Kein Mensch erhebt den Vorwurf, die Palästinenser hätten besagte Israelis umgebracht und als Geiseln benutzt. Immer wird, wie es richtig ist, von der Hamas gesprochen. Man muß also seine Worte differenziert wählen, was auf der Berlinale nicht geschehen ist und woran Chatrian seinen Anteil hat. Und was das Französische angeht: Man wird sehen, wohin ihn sein beruflicher Weg führt.
Der SILBERNER BÄR FÜR DIE BESTE REGIE für den Film PEPE von Nelson Carlos De Los Santos Arias ist ungewöhnlich, aber der Film auch, er mischt die Formen von Comic, also Zeichnung, Spielfilmszenen, Dokumentation und läßt das Nilpferd sprechen. Das hat was. Hat allerdings weniger mit der Regie als mit der Konzeption zu tun.
Die allergrößte Pleite allerdings ist der SILBERNE BÄR FÜR DIE BESTE SCHAUSPIELERISCHE LEISTUNG IN EINER HAUPTROLLE für
Sebastian Stan in A DIFFERENT MAN von Aaron Schimberg. Mal abgesehen davon, daß dieser Schauspieler den Großteil des Films eine überdimensionierte Maske trägt, ist er ohne diese nicht weiter auffällig. Dieser Preis hätte einer der starken Frauen zugestanden in einem Wettbewerb, wo ein Kollege bei den 20 Filmen auf neun ausgesprochen starken Frauen in er Hauptrolle kam. Da hatte er die fünf aufmüpfigen jungen Dinger in GLORIA noch nicht mitgerechnet. Das wäre was gewesen, denen den Schauspielerpreis zu gönnen. Alternativen waren die Iranerin, die Nepalesin, die Tunesierin, die Kindsmörderin…
Hätte eine dieser Frauen den Hauptrollenpreis bekommen, wäre der SILBERNER BÄR FÜR DIE BESTE SCHAUSPIELERISCHE LEISTUNG IN EINER NEBENROLLE an Emily Watson in SMALL THINGS LIKE THESE von Tim Mielants einsichtiger, der aber immer noch fragwürdig bleibt, wenn man an die schauspielerische Leistung von Corinna Harfouch in STERBEN denkt. Doch dieser Film hat ja schon den SILBERNEN BÄR FÜR DAS BESTE DREHBUCH erhalten, der an Matthias Glasner ging, womit der Film für die Berlinale Jury gewissermaßen abgehakt ist, was zwar üblich, aber inkorrekt ist. Denn beispielsweise hätte, wenn schon ein Mann den Preis für eine Hauptrolle erhält, dies auf jeden Fall Lars Eidinger sein müssen, der sich im Film als Dirigent, Sohn und Geliebter sehr unterschiedlich geben muß – und das kann!
Bleibt der SILBERNERE BÄR FÜR EINE HERAUSRAGENDE KÜNSTLERISCHE LEISTUNG für Martin Gschlacht für die Kamera in DES TEUFELS BAD von Veronika Franz & Severin Fiala. Da sind wir nun endlich einmal zufrieden und hätten diesselbe Wahl getroffen.
Foto:
Die scheidenden Festivalleiter Rissenbeek und Chatrian
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