Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 7. März 2024, Teil 4
Margarete Ohly-Wüst
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Die 28jährige Maria Montessori (Jasmine Trinca) ist 1898 unverheiratet und hat zusammen mit ihrem Partner Giuseppe Montesano (Raffaele Esposito) einen Sohn, Mario, den sie auf dem Land bei einer Ziehmutter aufwachsen lässt. Gleichzeitig ist sie aber auch die erste Italienerin, die Medizin studiert hat und auch darin promoviert hat. Zusammen mit Montesano unterhält sie ein Institut für behinderte Kinder. Dort entwickelt sie Lern-Methoden, die von dem Gedanken geleitet werden, dass auch geistig behinderte Kinder lernen können, solange man die Kinder liebt und auf ihre Bedürfnisse eingeht. Allerdings wird ihre Arbeit nicht bezahlt, sondern nur Giuseppe Montesano erhält die Zuschüsse der Stadt. Im Jahr 1900 ist Mario immer noch bei der Ziehmutter und Maria bemerkt, dass sich ihr Sohn von ihr entfremdet hat.
Im gleichen Jahr wird der Pariser Kurtisane Lili d'Alengy (Leïla Bekhti) ihre ″Nichte″ gebracht, denn die bisherige Pflegemutter ist verstorben. Doch Tina (Rafaëlle Sonneville-Caby) ist Lilis geistig behinderte Tochter, nach deren Geburt ihr Ehemann es geschafft hat, die Ehe annullieren zu lassen. Da es Lili klar ist, dass sie mit einer behinderten Tochter ihren Status verlieren würde, nimmt sie das Angebot eines italienischen Prinzen (Pietro Ragusa) aus Rom an, und geht als dessen Geliebte mit ihrer Tochter und einer Haushälterin nach Rom.
Dort erfährt Lili von einer Schule mit einem Internat, im dem eine Ärztin und einem Arzt eine Art Hospiz für geistig behinderte Kinder führen. Lili besucht Maria Montessori in dem Institut und hofft, dass sie Tina auf diese Art und Weise schnell wieder loswerden kann. Doch Maria kann Tina zur Zeit nur einen Tagesplatz anbieten.
Als Tina erste Fortschritte macht und sogar Lesen lernt, denn der Kontakt zu anderen Kindern und die Musik wecken das kleine Mädchen auf, freut sich Lili sehr darüber und kommt dadurch ihrer Tochter auch näher. Sie beginnt, regelmäßig das Institut zu besuchen und den Kindern am Klavier Lieder vorzuspielen. Das zeigt nicht nur bei Tina, sondern auch bei vielen anderen Kindern eine hervorragende Wirkung. Gleichzeitig bewundert Lili Marias Hingabe an die Kinder, dabei bemerkt sie aber auch, dass Maria Montessori im Institut kostenlos arbeitet und nur Giuseppe Montesano bezahlt wird.
Maria leidet darunter, dass sie ihren Sohn Mario nur selten sehen kann und er seine Mutter bei einem Besuch nicht mehr erkennt. Sie kann aber erreichen, dass auch die Kinder der Pflegemutter mit Materialien aus ihrem Institut spielen und dadurch gefördert werden. Trotzdem lehnt sie den Heiratsantrag von Giuseppe Montesano ab, da sie ihre Unabhängigkeit behalten und auch ihren Beruf nicht aufgeben will.
Lili hat inzwischen in Rom auch begüterte Frauen getroffen wie die Engländerin Betsy (Nancy Huston), die sie noch aus Paris kennt. Das führt dazu, dass die Frauen ein Netzwerk weiblicher Solidarität zu schmieden beginnen, das Maria nicht nur endlich finanzielle Unabhängigkeit bringt, sondern ihr auch die Möglichkeit eröffnet, vollkommen neue pädagogische Ansätze zu entwickeln, um geistig behinderten Kindern Wissen beizubringen und so zu einem selbständigen Leben zu verhelfen…
″Maria Montessori″ ist ein italienisch, französisches Drama, das im französischen Original ″La nouvelle femme″ heißt, was den Inhalt des Biopics viel besser trifft. Regisseurin ist Léa Todorov nach einem Drehbuch von Julie Dupeux-Harlé. Der Film erzählt zwar auch von den Methoden die Maria Montessori entwickelt hat, um lernbehinderte Kinder und Erwachsene in ihrem Hospiz zu einem selbständigen Leben zu verhelfen, aber hauptsächlich geht es um eine Frau, die als eine der ersten in Italien erfolgreich Medizin studiert und auch in Medizin promoviert hat. Die aber den unbedingten Willen hatte, nach dem Studium auch zu arbeiten. Deshalb musste sie unverheiratet bleiben und konnte sich nicht zu ihrem unehelichen Sohn Mario und ihrem Lebensgefährten Giuseppe Montesano bekennen.
Es ist Maria, die die neuartigen pädagogischen Methoden entwickelt hat, wie man mit behinderten Kindern umgehen sollte, doch sie erhält für ihre Arbeit keine Bezahlung, sondern lebt noch zu Hause bei ihren Eltern und ist von der Gunst ihres Kollegen und Liebhabers abhängig. Das zeigt die Regisseurin ganz hervorragend, wenn die Geldgeber die Schule besuchen und sich nach den Fortschritten erkundigen, um über eine Verlängerung der Gelder zu verhandeln, da wird regelmäßig Montesano befragt und Maria muss sich jedes Mal Gehör verschaffen, obwohl es vor allem ihre Methoden sind und sie auch meist in der Lage ist, die Ergebnisse viel besser darzustellen.
Um sowohl Montessoris Methode als auch eine berührende Story zu erzählen, haben Drehbuchautorin Julie Dupeux-Harlé und Regisseurin Léa Todorov eine der wichtigsten Komponenten der Montessori-Pädagogik zur Hauptrolle des Films gemacht: die Zuneigung. Dies wird am Hand der Entwicklung dargestellt, die die Kinder durch die Lernmethoden machen – und nicht nur am Beispiel von Tina.
Regisseurin Léa Todorov zeigt im Film nur einen Ausschnitt aus Maria Montessoris Leben und zwar die Zeit zwischen 1900, als ihr Sohn Mario 2 Jahre alt war, bis zu Giuseppe Montesanos Hochzeit mit Maria Anna Teresa Aprile im Oktober 1901, der Aufnahme von Mario in Montesanos Haushalt und dem Beginn von Marias Unabhängigkeit mit Hilfe ihrer Freundinnen. Auf das weitere Leben von Maria Montessori wurde im Film nicht eingegangen.
Erst die schicksalhafte Begegnung mit der jungen Französin Lili d’Alengy brachte für Maria Montessoris den entscheidenden Impuls, um sich aus der Umklammerung der männerdominierten Wissenschaft zu befreien, ein großes Opfer zu bringen und damit eine Frau zu werden, die auf eigenen Beinen steht.
Im Original ist Léa Todorovs Film zweisprachig, denn mit ihren Mitarbeiter/innen, den Kindern und ihren Verwandten und Freunden spricht sie Italienisch, mit Lili d’Alengy und Tina, die beide kein Italienisch können können, unterhält sie sich in deren Sprache, auch schreibt sie für Tina alle Sätze noch einmal zusätzlich in Französisch an die Tafel.
Jasmine Trinca zeigt als Maria Montessori eine unglaublichen Präsenz. Sie ist selbstbewusst und direkt, aber auch verletzlich und sie weiß ganz genau, was ihre Handlungen für die von ihr betreuten Kinder bedeuten. Da muss - bei aller Liebe zu Mario – ihr Sohn hinten an stehen.
Leïla Bekhti ist als Lili d’Alengy ebenso überzeugend. Sie weiß sich auf dem Parkett zu bewegen und spielt als Kurtisane in der oberen Pariser Liga. Deshalb möchte sie auch ihre lernbehinderte Tochter gleich wieder los werden, denn sie erkennt, dass sie dann keine Rolle mehr in dieser Gesellschaft spielen kann. Gleichzeitig zeigt Leïla Bekhti aber auch glaubhaft, wie sich ihr Verhältnis zu ihrer Tochter Tina und den Kinder in Montessoris Schule ändert, auch wenn sie einmal verrät, dass sie ihre Tochter ansieht und dann darüber nachdenkt, wie es mit einem gesunden Kind sein könnte.
In kleineren Rollen beeindrucken die junge Raffaelle Sonneville-Caby mit ihrer Darstellung der lernbeeinträchtigten Tochter Tina, die nicht spricht, sondern sich nur durch Gefühlsregungen ausdrückt und Raffaele Esposito als Giuseppe Montesano, dessen Darstellung die Abhängigkeit von seiner Mutter und die Dekadenz der damaligen Zeit sehr gut wiedergibt, die vor allem auf das Image und den guten Ruf ausgerichtet ist.
Insgesamt wird die Story von ″Maria Montessori″ anhand der französischen Kurtisane Lili d’Alengy erzählt, die ihre lernbehinderte und stumme Tochter in Montessoris Schule verstecken will, um ihren Status nicht zu verlieren. Auch wenn die beiden Frauen nicht unterschiedlicher sein können, finden sie in ihrem Kampf um Selbstständigkeit zusammen. Dadurch setzt die Regisseurin Maria Montessori ein sehenswertes und zutiefst bewegendes Denkmal. Dabei zeigt Léa Todorov Maria Montessori als Ideengeberin für eine der einflussreichsten pädagogischen Bewegungen in ihrer ganzen Stärke und Zerrissenheit. All das macht den Film im Kino unbedingt sehenswert.
Foto 1: Maria Montessori (Jasmine Trinca) und die Französin Lili d’Alengy (Leïla Bekhti) schmieden ein gemeinsames Netzwerk, das nicht nur Unabhängigkeit ermöglicht, sondern den Weg ebnet für eine autonome Pädagogik © Neue Visionen Filmverleih
Foto 2: Maria Montessori (Jasmine Trinca) erkennt und lenkt das Lernpotential der kleinen Tina (Rafaëlle Sonneville-Caby) © Neue Visionen Filmverleih
Foto 3: Die Beziehung zwischen Maria Montessori (Jasmine Trinca) und Giuseppe Montesano (Raffaele Esposito) hat viele Gesichter © Neue Visionen Filmverleih
Info:
Maria Montessori (Frankreich, Italien 2024)
Originaltitel: La Nouvelle femme
Genre: Drama, Historie, Biopic
Filmlänge: ca. 100 Min.
Regie: Léa Todorov
Drehbuch: Julie Dupeux-Harlé
Darsteller: Leïla Bekhti, Jasmine Trinca, Raffaele Esposito, Rafaëlle Sonneville-Caby, Nancy Huston, Renato Sarti, Patrizia La Fonte, Luciana Castelluci u.a.
Verleih: Neue Visionen Filmverleih GmbH
FSK: ab 0 Jahren
Kinostart: 07.03.2024