Redaktion
Paris (Weltexpresso) – WIE HABEN SIE IHRE JUNGEN SCHAUSPIELER*INNEN GEWÄHLT?
Zuerst wollte ich Schauspielende durch ein Open-Call-Casting mit meiner Casting-Direktorin Julie Allione finden, welche sehr gut darin ist, nichtprofessionelle Schauspielende zu finden. Ich wollte unbekannte Gesichter. Wir haben überall Poster aufgehängt, aber es war sehr schwierig, das Interesse junger Mädchen zu wecken. Schlussendlich habe ich mich dann mit jungen Schauspielerinnen für Screen Tests getroffen. So habe ich dann Esther Gohourou entdeckt, welche schon Erfahrung durch den Film BESTIES von Maimouna Doucouré mitbrachte.
Suzy Bemba hat zuerst für die Rolle von Khédidjas Schwester vorgesprochen in einer Szene, die ich am Ende rausnahm. Ich habe sofort gesehen, dass sie eine sehr gute Schauspielerin ist und habe sie dann in der Rolle von Jessica besetzt, die vorher von einer anderen nicht-professionellen Schauspielerin besetzt war. Allerdings wurde beim weiteren Vorsprechen klar, dass diese leider nicht die richtige Person für eine solche anspruchsvolle Rolle war, in welcher eine solche Bandbreite an Emotionen gefordert ist. Für Gaïa wollte ich eine junge Schauspielerin, die eine bestimmte Schicht des Establishments widerspiegeln konnte. Ich habe sie mit Lomane de Dietrich besetzt, die gerade an der Actor’s Conservatory ihren Abschluss machte und nicht sehr viel Erfahrung hatte. Ich mochte, dass sie eine Natürlichkeit mit sich brachte, eine gelassene Art und eine bestimmte Zuversicht.
WELCHEN ZUGANG HABEN SIE GEWÄHLT, UM DAS BESTE AUS IHREN JUNGEN SCHAUSPIELERINNEN RAUSZUHOLEN?
IN DEN BESTEN HÄNDEN hat mir sehr viel Freiheit gegeben beim Filmen. Auch hier wollte ich den Schauspielenden Raum geben, komplette Sequenzen filmen, nichts abbrechen und Szenen an anderer Stelle wieder aufnehmen, um eine Art Realität zu schaffen, etwas Realitätsnahes; wir haben mit einer Dringlichkeit gefilmt, um den Schauspielenden keine Zeit zu lassen, nachzudenken, oder davor Angst zu haben zu spielen. Ich wollte mit einer permanenten Energie filmen, wie im Boxring. Ich wollte eine feine Alchemie kreieren, die Zeit hat zu köcheln, um diese pulsierende Energie der Familie wirklich fühlen zu können, und jeder Tag zählte.
Am Filmset bin ich sehr intensiv, für was ich manchmal kritisiert werde. Am Set bin ich ein Nervenbündel, wie eine Schauspielerin kurz vor dem Auftritt. Ich befördere mich in eine Spannung, manchmal Angst, die mich brüsk klingen lassen kann. Vielleicht übertrage ich meine Ängste auf andere. Ich hinterfrage mich, weil ich weiß, dass meine Strenge manchmal verletzend für andere sein kann. Zwei Drittel der Leiter*innen der Gewerke bei diesem Film waren Frauen. Hat die Umkehrung der Geschlechterproportionalität manchen Männern Unbehagen bereitet? Ich weiß es nicht. Aber das frage ich mich. Ich bin eine Frau, die eine engagierte Feministin ist und ich habe keine Angst, mich zu hinterfragen und mich genau unter die Lupe zu nehmen. Ich tue das bei jedem Film, und ich werde es noch stärker tun beim nächsten Film.
WIE HAST DU MIT AÏSSATOU DIALLO SAGNA DIESMAL ZUSAMMENGEARBEITET?
Wir haben sie vorlesen lassen, und dann ließ ich sie an ihrem Ausdruck arbeiten. Sie war flexibel und wollte lernen. Dabei habe ich sie so gut wie möglich unterstützt. Sie hatte einen Coach, der ihr mit der Körpersprache half und wie sie eine Szene betritt, um sich freier zu fühlen. Wie beim ersten Film, bei dem wir zusammengearbeitet haben, war es eine bereichernde Erfahrung für uns beide.
WAS WAREN IHRE ÄSTHETISCHEN ENTSCHEIDUNGEN BEIM FILMEN? UND WIE WAR DIE ZUSAMMENAR- BEIT MIT DER KAMERAFRAU JEANNE LAPOIRIE, MIT WELCHER SIE NUN ZUM FÜNFTEN MAL ZUSAMMEN- GEARBEITET HABEN?
Sehr früh in der Vorproduktion haben Jeanne Lapoirie und ich zusammen nach Locations gesucht. Ich habe sie in mein Dorf mitgenommen, wo ich die Reaktionen aller im Team beobachtete. Jeanne war sofort enthusiastisch; sie mag die Rauheit der Berge und die Brutalität der Sonne. Bei manchen Landschaften mussten wir sehr schnell beim Dreh sein, wegen des wechselnden Lichts. Wir sind auf Gestein geklettert, um das beste Licht zu bekommen. Jeanne und ich waren da ein eingespieltes Team, wir mussten uns kaum absprechen, was wir genau einfangen wollten. Wir hatten sehr viel Spaß, die Party-Sequenz zu drehen. Ich habe auch mit einer jungen Produktionsdesignerin, Louise Le Bouc Berger, zusammengearbeitet, welche Assistentin bei meinen letzten beiden Filmen war, da ich versucht habe die Produktion für eine jüngere Generation zu öffnen.
Louise macht unglaubliche Moodboards für jegliche Szenerien. Sie hat ein großes Talent, Atmosphären zu schaffen. Im finalen Schnitt habe ich Aufnahmen behalten, die wir als Licht-Tests gemacht hatten, um das Licht vom Sommer in Korsika in den Film zu bringen, was ein wenig anders war, weil wir den Film im Frühherbst gedreht haben. All diese Vorbereitungen haben uns ermöglicht herauszufinden, wie die Szenerien wirken, was sehr kostbar für Jeanne und mich war. Ich wollte eine Landschaft, die eine haptische Qualität hat. Ich wollte die Geschichte dieses Landes erzählen. Und ich wollte zu einem klassischeren Format zurückkehren. Für meine letzten drei Filme habe ich Cinemascope genutzt, was dem Film eine „Postkarten-Ästhetik“ verleiht. Deswegen haben wir uns hier für ein klassischeres 1.66-Format entschieden, mit dem ich schon früher gearbeitet habe. Dieses Format eignet sich besser, Gesichter in Szene zu setzen und ein intensiveres Gefühl zu erzeugen.
IN DER SZENE, IN WELCHER JESSICA IHRE GROSSMUTTER ZUM ERSTEN MAL TRIFFT, SIND DIE EMOTIONEN SEHR STARK, ABER SIE HABEN HALBTOTALE UND TOTALE EINSTELLUNGEN GENUTZT.
Der Cutter Frédéric Baillehaiche, mit welchem ich an vier Filmen gearbeitet habe, und ich entschieden uns dafür, bei dieser Szene auf verschiedenen Ebenen zu arbeiten. Dann, instinktiv, haben wir die Aufnahmen favorisiert, in der man mehr von der Landschaft sieht, aber das schaffte auch eine Distanz, eine Zurückhaltung, die sehr angemessen für diese Art von Begegnung war und es erlaubt hat, dass die Konfrontation erst später stattfindet. In erster Linie wollten wir das Herz der Geschichte berühren und am Puls von dem bleiben, was geschieht, um was es geht im Film.
WIE HABEN SIE AN DER VISUELLEN GESTALTUNG DES FILMS UND DES LICHTS GEARBEITET?
Jeanne ist sehr gut darin, mit natürlichem Licht draußen zu drehen. Mit ihr wird das Licht praktisch ein eigener Charakter, der sowohl die Rauheit von Korsika hervorbringt, als auch etwas Verborgenes zeigt, was dort existiert. Ich wollte, dass wir die Hitze fühlen, die Umgebung in ihrer ganzen Körperlichkeit spüren, die Felsbrocken und die steinernen Häuser. Wir haben es sehr genossen, die Schauspieler*innen zu filmen, und uns haben gefragt, wie wir die Familiengeheimnisse in ihren Gesich- tern enthüllen könnten. In den Nachtszenen bringen sie ihr tiefstes Inneres ans Licht. Ich finde, dass jede von ihnen auf ihre eigene Weise kraftvoll ist, gleichzeitig stark und zerbrechlich. Ich war gefesselt von ihren Schauspielkünsten. Jeanne und ich haben sehr sorgfältig daran gearbeitet, all dies zu verstärken.
UND DER RHYTHMUS DES FILMS?
Frédéric Baillehaiche und ich haben immer nach dem Ziel gesucht, an das der Film letztendlich hinführen sollte, nach seiner Struktur. Wir haben alles weggelassen, was nicht diesem Ziel diente. Ich wollte, dass der Film uns zu diesem finalen Shot bringt, in welchem drei Frauen zu einer werden. Das Narrativ sollte sich bewegen wie ein Stein, der keine Hindernisse überwinden muss und einfach rollen kann.
Foto:
©Verleih
Info:
Stab
Regie: Catherine Corsini
Drehbuch: Naïla Guiguet und Catherine Corsini
Besetzung
AÏSSATOU DIALLO SAGNA. Khédidja
SUZY BEMBA Jessica
ESTHER GOHOUROU Farah
LOMANE DE DIETRICH. Gaïa
CÉDRIC APPIETTO Marc-Andria
HAROLD ORSONI Orso
MARIE-ANGE GERONIMI. Michelle
VIRGINIE LEDOYEN. Sylvia
DENIS PODALYDÈS Marc
Abdruck aus dem Presseheft