Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 21. März 2024, Teil 12
Redaktion
Tokio( Weltexpresso) - Hirokazu Kore-eda, Genki Kawamura, Kenji Yamada und Yûji Sakamoto trafen sich oft und tauschten obendrein per Mail fortwährend Ideen aus, während Sakamoto am Drehbuch feilte. Die Geschichte blieb der ursprünglichen Handlung mehr oder weniger treu, aber die erste Fassung des Drehbuchs hätte einen Film mit einer Laufzeit von mehr als drei Stunden ergeben.
Sakamoto machte sich also wieder an die Arbeit, kürzte den Text, nahm Passagen heraus, fügte andere wieder hinzu. Er nahm sich die nötige Zeit für seine Arbeit, zusätzlich sorgte Covid-19 dafür, dass sich das Fortschreiten der Vorbereitung auf die Produktion hinzog und wiederholt verzögerte. Erst kurz vor Drehstart Anfang 2022 stand fest, dass wirklich die erste Klappe fallen könnte.
Die Besetzung fand statt, während Sakamoto noch am Drehbuch feilte. Tatsächlich half ihm die Wahl der Schauspieler, die Figuren noch weiter zu vertiefen, ihnen eine zusätzliche Dimension zu verleihen. Das Drehbuch wurde auf diese Weise klarer, solider, kompakter. Hirokazu Kore-eda war als Zeuge dieses Prozesses beeindruckt von der Art und Weise, wie Sakamoto das Drehbuch Schritt für Schritt verbesserte. Besonders als Yuko Tanaka als Schuldirektorin Fushimi zum Projekt stieß, fügte der Autor neue wichtige Szenen hinzu, die dem Drehbuch mehr Tiefe gaben.
Erstmals seit seinem Debüt MABOROSHI – LICHT DER ILLUSION (1995) arbeitete Kore-eda wieder mit einem Skript, das er nicht selbst verfasst hatte. Er war indes stets in den Arbeitsprozess involviert, war auch mit dabei bei der Suche nach den geeigneten Handlungsorten in Suwa in der Präfektur Nagano, wo die Geschichte spielt. Sie spielten eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Szenarios. Weil die Arbeit so langwierig und intensiv war, fühlte es sich bei der ersten Klappe des Films viele Monate später nicht so an, „als hätte das Drehbuch jemand anderes verfasst“, sagt Kore-eda.
Auf die Unterschiede zwischen seinen Drehbüchern und dem, das Sakamoto geschrieben hatte, antwortet der Regisseur: „Diese Geschichte ist ungemein kompakt, hat mehrere Kapitel. Die Geschichten, die ich schreibe, fühlen sich eigentlich immer so an, als seien sie mitten aus dem Leben gegriffen. Ich porträtiere eine gewisse Abfolge von Ereignissen im Leben einer Figur und stelle es dem Publikum frei, sich selbst ein Bild davon zu machen, was davor geschehen sein mag und was danach passieren könnte. Ich würde es noch nicht einmal Geschichtenerzählen nennen. Manche Szenen in diesem Film werden verstärkt durch die Art und Weise, wie wir sie gefilmt haben, aber im Grunde ist es ein narrativer Film. Der Plot ist stringent und nachvollziehbar.“
DER DREH
Die Drehfassung eines Drehbuchs wird bei Hirokazu Kore-eda im Verlauf des Filmens gewöhnlich ständig verändert. Neue Ausdrucke mit einem Verweis auf die Revisionen werden Cast und Crew fast täglich ausgehändigt. Yûji Sakamoto hatte Kore-eda gesagt, er könne das Drehbuch und Dialoge direkt am Drehort umschreiben, wenn der Regisseur es so wünschen würde. Aber Kore-eda entschied sich für einen anderen Ansatz.
„Ich dachte, es würde doch sehr umständlich sein, jeden kleinen Dialog, der mir beim Dreh in den Sinn kommt, in Sakamotos Drehbuch zu übernehmen. Es gab also kaum Drehbuchänderungen am Drehort. Vielmehr ließ ich diese Änderungen diesmal direkt in die Arbeit einfließen – allerdings holte ich mir jedes Mal vorher die Zustimmung von Sakamoto.“
Zusätzlich zu den wenigen Änderungen des Skripts gab es noch etwas Anderes, was bei diesem Dreh anders war als sonst: die Inszenierung der Kinder. Bei den bisherigen Filmen
Kore-edas, darunter natürlich NOBODY KNOWS (2004), hatten die Kinder das Drehbuch nicht zur Vorbereitung zu Lesen bekommen. Vielmehr hatte man ihnen die Dialoge direkt vor der Klappe der jeweiligen Szenen beigebracht.
Kore-eda überlegt: „Hier fand ich, dass diese Methode nicht angebracht wäre. Der Stil der Dialoge ist ganz anders als in meinen Drehbüchern, die Figuren sind viel komplizierter. Deshalb wollte ich einen anderen Weg beschreiten, damit die Kinder in ihre Charaktere eintauchen konnten. Ich überlegte mir verschiedene Vorgehensweisen und realisierte etwas Signifikantes, nämlich wie sie ihre Dialogsätze memorierten. Während der Proben versuchte ich, ihnen die Sätze rein verbal beizubringen, wie ich es früher immer gemacht hatte. Aber es schien, dass Soya Kurokawa und Hinata Hiiragi, die beiden Hauptdarsteller des Films, sich wohler fühlten, wenn sie das Drehbuch lesen konnten, bevor sie ihre Parts spielten. Ich zwinge meine Methoden den Schauspielern nicht auf. Jeder hat seinen eigenen Weg, das Beste aus sich herauszuholen. Und diesmal schien es mir besser zu funktionieren, wenn sie die Szenen vorher gelesen hatten und mit ihren Zeilen vertraut waren. Ich denke, das hat sehr gut funktioniert.“
Kore-eda konnte bei MONSTER ganz ruhig und objektiv an die Arbeit gehen, wie er findet: „Wenn ich mit einem eigenen Drehbuch arbeite, bin ich bei den Dreharbeiten erfüllt von Zweifeln. Aber wenn ich das Buch eines anderen Autors vorliegen habe, habe ich die Szenen ganz klar vor Augen, weiß ich genau, was ich als Regisseur zu tun habe – ohne mir ständig den Kopf zerbrechen zu müssen, ob das Drehbuch wirklich trägt. Ich hatte viel Spaß bei diesem Dreh, und das ist in hohem Maße dem hervorragenden Drehbuch von Yûji Sakamoto zu verdanken.“
Foto:
©Verleih
Info:
BESETZUNG
SAORI MUGINO. SAKURA ANDO
MICHITOSHI HORI. EITA NAGAYAMA
MINATO MUGINO. SOYA KUROKAWA
YORI HOSHIKAWA. HINATA HIIRAGI
MAKIKO FUSHIMI. YUKO TANAKA
Stab
REGIE. HIROKAZU KORE-EDA
DREHBUCH. YÛJI SAKAMOTO
ORIGINAL MUSIK RYUICHI SAKAMOTO
Abdruck aus dem Presseheft