Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 28. März 2024, Teil 4
Corinne Elsesser
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – "Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt". Mit diesem hebräischen Sprichwort trägt sich Sir Nicholas (Nicky) Winton ein Leben lang. Hätte er bei seiner ausserordentlichen Rettungsaktion während des zweiten Weltkriegs nicht mehr tun können…
Als die Nationalsozialisten 1938 Österreich eingenommen hatten, flohen viele in die benachbarte Tschechoslowakei. Die Flüchtlingslager dort waren bald überfüllt, die Zustände schlimm angesichts des drohenden Vormarschs der deutschen Wehrmacht. Der Londoner Börsenmakler Nicholas Winton (Johnny Flynn) erfuhr von der dortigen Lage und entschloss sich kurzerhand, nach Prag zu reisen, um zu helfen. Dort erlebte er, wie viele Familien auf der Flucht vor Verfolgung ohne Obdach und Essen ihrem Schicksal ausgeliefert waren. Mit Unterstützung seiner Mutter (Helena Bonham Carter) in London und der kleinen, vor Ort von seiner früheren Kollegin Doreen Warriner (Romola Garai) geleiteten NGO "British Committee for Refugees in Czechoslovakia" gelang ihm eine beispiellose Rettungsaktion. Er konnte 669 Kinder nach England bringen, bevor die Grenzen geschlossen wurden.
Während 1988 der nun ältere Winton (gespielt von Sir Anthony Hopkins) längst in Rente ist und im Villenvorort Maidenhead lebt, begegnen ihm die Ereignisse von damals immer wieder in Erinnerungsschüben. Zwei Phasen seines Lebens scheinen sich zu überlagern und er fragt sich, ob er nicht mehr hätte tun können. Beim Aufräumen findet er sein Tagebuch wieder und in ihm reift der Entschluss, anderen von seiner damaligen Rettung der Kinder zu erzählen, was er als sehr bescheidener Mann bislang eigentlich gar nicht so wichtig fand.
Bald zeigt die populäre BBC-Fernsehshow "That’s Life" grosses Interesse an seiner Geschichte. Einige von "Nickys Kindern", wie sie in England gemeinhin genannt werden, können ausfindig gemacht werden und Winton begegnet den einst Geretteten und kann sich endlich seinem Kummer und seinen Schuldgefühlen stellen, die er so lange mit sich herumgetragen hatte.
Regisseur James Hawes, bekannt vor allem durch Fernsehproduktionen wie "Enid" (2010), "The Challenger Disaster" (2015) oder die Netflix-Serie "Snowpiercer", legt mit "One Life" sein Spielfilmdebut vor. Als Vorlage diente das Buch „If It‘s Not Impossible...“ von Barbara Winton, der Tochter von Nicholas Winton, das die Autoren Lucinda Coxon und Nick Drake als Drehbuch adaptierten. Sie entschieden sich, die Geschichte mit einem Zeitsprung von fünfzig Jahren zu erzählen, um so die Nachwirkungen der Ereignisse von 1938 an der Person des älteren Winton anschaulich zu machen. Sir Anthony Hopkins verkörpert Winton überzeugend auf der Gratwanderung eines Mannes, der sich nach einem erfolgreichen Berufsleben nun im Alter doch eingestehen muss, dass er noch sehr viel mehr an Erfolgen zu verzeichnen hat.
Die Geschehnisse 1938 werden eindrucksvoll dramatisch geschildert. Besonders die tragischen Momente wie die Trennung der Kinder von ihren Eltern oder Kinder, für die in England keine Pflegefamilie gefunden werden konnte und die zurückbleiben mussten, berühren sehr wie auch jener letzte Kindertransport, der von den Nationalsozialisten brutal vereitelt wurde. In der subjektiven Blickrichtung Wintons werden die Kindertransporte durchgehend positiv dargestellt. Dabei kommt allerdings zu kurz, dass die Verschickungen eben nicht temporär waren wie man damals annahm, sondern für immer, was bei vielen traumatisch wurde und, dass das Schicksal der zurückbleibenden Eltern ganz anders aussah.
Foto:
©Verleih
Info:
One Life, England 2023
Regie: James Hawes
Drehbuch: Lucinda Coxon, Nick Drake
Besetzung: Sir Anthony Hopkins, Johnny Flynn, Helena Bonham Carter, Romola Garai u.a.
110 Minuten