Caroline Vignal
Paris (Weltexpresso) - Vor vier Jahren habe ich meine Freundin Juliette getroffen, sie war gerade dabei, sich von der Trennung von ihrem Mann zu erholen. Der hatte sie nach zwanzig gemeinsamen Jahren von einem Tag auf den anderen verlassen. Juliette war zu diesem Zeitpunkt 51 Jahre alt - ein Alter, von dem uns viele sagen, wir Frauen seien ‚unsichtbar‘. Aber an diesem Abend, auf dieser Party, war sie einzigartig. Man sah nur sie. Sie strahlte.
Ein paar Tage später erzählte mir Juliette von den Monaten, in denen wir uns aus den Augen verloren hatten. Ein Freund hat gesehen, dass sie dahinwelkt und hat sie dazu gebracht, sich auf einer Dating-Plattform anzumelden. "Es ist, als ob man mit einem Klick Zugang zu einem Paralleluniversum, einer unsichtbaren Welt, bekommt – zur Welt der Männer". Sie erzählte mir von den Likes, die ihr angeschlagenes Ego wiederaufgepäppelt haben, von den Dick-Picks, die während ihrer Arbeitszeit aufpoppten, von der wiedergefundenen Jugend, dem 15 Jahre jüngeren Flamenco- Tänzer als Liebhaber, mit dem sie nachmittags Joints rauchte... "It's raining men!", lachte sie euphorisch. An diesem Abend wurde mein Film geboren: Und er hatte bereits seinen Song!
Zu Hause angekommen, öffnete ich meinen Computer. Wie alle anderen hatte ich von Tinder und Co. gehört und hatte Freunde, die sich dort kennengelernt haben. Aber wenn ich mich aus Neugier selbst damit beschäftigt hatte, war ich nie weiter als bis zur Startseite gekommen. Um einzusteigen, musste man sich weiter vorwagen oder anders gesagt: ein Profil erstellen! Es gab keine Alternative. In das Feld "My self summary" schrieb ich: "Curious" (Neugierig). Damit öffnete ich die Büchse der Pandora.
In den folgenden Monaten habe ich alles gespeichert: die Profile der Männer, mit denen ich in Kontakt kam, die Chats, die wir auf der Website, über WhatsApp oder in den Chatrooms führten, die Fotos, die ich bekam... Es war lustig, spannend, manchmal auch erschütternd.
Aber wie kann man die Erfahrung mit Dating-Plattformen wiedergeben, wenn sich das Wesentliche doch auf dem kleinen Bildschirm unserer Smartphones abspielt? Wie lässt man das Publikum teilhaben, wie kann es das Adrenalin der Chats spüren, die rein objektiv betrachtet banal und oft sogar bestürzend wirken können, die einen aber in Atem halten, wenn man der nächsten Nachricht entgegenfiebert? Wie vermittelt man das Gefühl, dass das Abenteuer gleich um die Ecke wartet oder nur eine kurze Bahnfahrt entfernt ist?
Ich habe mir selbst auferlegt, Telefonbildschirme nicht oder nur sehr wenig zu filmen. Die Serie ‚Euphoria‘ hat mich in dieser Hinsicht beruhigt. Die jungen Protagonisten texten und beugen sich dabei über ihre Handys; man teilt ihre Aufregung, die Erwartung, die Freude, die Enttäuschung, die über ihre Gesichter huschen, und am unteren Rand des Bildschirmsstehen die ausgetauschten Nachrichten, wie in einem Film in Originalfassung mit Untertiteln. Das Prinzip ist einfach, aber die Kraft des Geschriebenen und den Rhythmus, in dem die Nachrichten erscheinen, kann man dadurch sehr direkt erfahren. Ich habe das in den Chat-Sequenzen verwendet, die Handlung wird bei jeder eingegangenen Nachricht von dem mehr oder weniger aggressiven Vibrieren des Telefons unterbrochen.
So wollte ich das Gefühl vermitteln, das Frauen empfinden, die bei einer Dating-App aktiv sind. Außerdem hatte ich die Idee, eine Szene einzubauen, in der sich die Männer aus der App in der U-Bahn quasi materialisieren.
Außer der Serie ‚Euphoria‘ haben mich zwei Filme beim Schreiben des Drehbuchs für IT’S RAINING MEN begleitet: DER MANN, DER DIE FRAUEN LIEBTE (L'homme qui aimait les femmes), der mir half, den Rhythmus und die Bewegung der Erzählung zu finden. Es ging darum, die Klippe eines Sketchfilms zu umschiffen, was Truffaut wunderbar gelang, unter anderem Dank der Verunsicherung und der Tiefe der Darstellung von Charles Denner und BELLE DE JOUR – SCHÖNE DES TAGES von Luis Buñuel. Wie Séverine (Catherine Deneuve) gehorcht auch Iris einem Verlangen, das größer ist als sie selbst. Sie fühlt sich nie schuldig, sie zieht nur Vorteile aus ihren Abenteuern. In BELLE DE JOUR – SCHÖNE DES TAGES ist Pierre (Jean Sorel), der Ehemann, eine ironische Darstellung des idealen Schwiegersohns der 60er Jahre: gutaussehend, reich, verliebt, kein Haar steht ab, der Pyjama hat keine Falte.
Stéphane in meinem Film ist so etwas wie der perfekte Ehemann unserer Zeit: Er sieht auch gut aus, aber dank des flexiblen Arbeitens zu Hause kann er im T-Shirt herumlaufen und muss seltener zum Friseur gehen. Er ist cool, liebt seine Kinder und seine Frau sowieso. Wie erklärt sich dann die sexuelle Abstinenz, die das Paar seit Jahren zermürbt? Wie lange ist das Paar schon zusammen? Warum findet Iris ihre Libido bei Männern wieder, die nach den üblichen Maßstäben ihrem Mann nicht das Wasser reichen können? Bedeutet Monogamie, wie einer von Iris' Dates behauptet, das Ende der Lust?
IT’S RAINING MEN hat viele intime Szenen. Das ist das Thema des Films, das konnte ich nicht außen vorlassen! Aber wie filmt man Sexualität in einer Komödie, einem Film für "jedes Publikum"? Die Wahl der Ellipse (man ist vorher da und / oder danach, aber man verlässt den Ort zum Zeitpunkt des Koitus) ist eine bewusste Entscheidung gewesen. Ich glaube, sie ermöglicht es mir, eine gewisse Wahrhaftigkeit zu erreichen, der Konvention der üblichen "Bettszenen" zu entgehen, die so oft gesehen und wiederholt wurden, dass sie nichts mehr bedeuten.
Ich wollte erzählen, wie es in Iris‘ Alter ist, mit einem Fremden nackt in einem Bett zu liegen – sagen wir, in ihren frühen Vierzigern. Zu Beginn des Films hält Iris nicht viel von sich selbst. Aber von Begegnung zu Begegnung wird sie selbstbewusster und kann immer besser damit umgehen, sich ihre Lust dort zu holen, wo sie sie findet. Die Männer hingegen prahlen über die Chats oder mit einem Cocktail in der Hand, aber sie packen aus, wenn sie in die Enge getrieben werden. Die Männer, die Iris kennenlernt, kämpfen ebenfalls mit ihren Wünschen, ihren Frustrationen und ihrer Einsamkeit.
IT’S RAINING MEN ist eine Komödie, ein Genre, das ich von Film zu Film erforschen möchte, unter anderem, weil es mir ermöglicht, mich Themen und Aussagen zu nähern, von denen ich hoffe, dass sie ein wenig subversiv sind, ohne zu erschrecken oder auszugrenzen.
Wer an eine Komödie denkt, denkt fast immer an ein Happy End... Das trifft sich gut, denn ich liebe Komödien über Wiederverheiratung! Mit einer ehelichen Wiedervereinigung zu enden, bedeutet für mich nicht, die Moral zu retten, sondern sich zu weigern, Iris zu maßregeln! Kein Drama, kein Gift: Iris ist nicht Emma Bovary. Sie wird nicht bestraft. Sie hat alles gewonnen, indem sie sich mit den Anderen anlegt, sogar mit ihrem Ehemann, den sie mit neuem Selbstbewusstsein zurückgewinnen kann!
Als ich ihr in meinem letzten Film die Rolle der Antoinette anvertraute, fand ich in Laure Calamy eine außergewöhnliche Verbündete, eine Art Alter Ego. Dennoch habe ich sie nicht sofort als Iris gesehen. Iris, die zu Beginn des Films noch sehr zurückhaltend ist, ist eine erfolgreiche Frau, zumindest dem Anschein nach, die sich in einem privilegierten Leben eingerichtet hat, in der Bourgeoisie. Laure hatte noch nie zuvor eine solche Figur gespielt. Zusammen mit der Kostümbildnerin, dem Stylisten und der Maskenbildnerin des Films versuchten wir, ihr ein klassisches, weniger modisches, sehr braves Aussehen zu verleihen. Aber Iris' Garderobe entwickelt sich weiter, während die Figur sich öffnet, lebendig wird und sich neu sexualisiert, wird Iris immer jünger! Laure ließ sich mit Begeisterung und Großzügigkeit auf dieses Spiel ein.
„Was die Männer sehen und was wir sehen, ist eine wunderschöne, überwältigende, unendlich begehrenswerte Frau.“
Durch die Figur Iris hat Laure sich bereit erklärt, die Zerbrechlichkeit zu enthüllen, die sie selbst und viele andere Frauen mit Ende 40 haben. Doch was die Männer sehen, denen Iris begegnet, und was wir sehen, ist eine wunderschöne, überwältigende, unendlich begehrenswerte Frau. Von einer Szene zur nächsten verkörpert sie eine reife, "ein geregeltes Leben führende" Frau, die der Lust vorzeitig abgeschworen hat. Sie verwandelt sich in ein sehr junges Mädchen, das aufblüht, aber gleichzeitig in eine erwachsene Frau, die im Vollbesitz ihrer Kräfte und ihrer sexuellen Potenz ist. In der ersten Hälfte des Films ist Iris ganz zurückhaltend. Laure musste akzeptieren, die Pferde zu zügeln. Ich wusste, dass es nie langweilig werden würde, ihr Gesicht zu beobachten, das immer von tausend kleinen Beben durchzogen ist... und dass das Vergnügen für uns Zuschauende umso größer sein würde in den Szenen, in denen sie ihre ganze komische Kraft entfalten konnte! Ich glaube, mit ihr als Gegenüber wurden die anderen Schauspieler*innen des Films von ihrer Großzügigkeit angesteckt, ihrer Freude am Spiel und ihrem Sinn für die Komödie.
Vincent Elbaz für die Rolle des Stéphane zu wählen, bedeutete in erster Linie, sich für den unglaublich gutaussehenden, liebenswürdigen Kerl und seine Coolness zu entscheiden. Der weibliche Blick vielleicht! Sagen wir, es ist ein fairer Kampf...Im Ernst, für mich war es wichtig, dass Stéphane begehrenswert ist. Das ermöglichte es mir, das Geheimnis der sexuellen Abstinenz innerhalb dieser Beziehung zu verdichten. Aber über sein Aussehen hinaus verleiht Vincent Elbaz der Figur Tiefe. Dieser Ehemann hat die Intelligenz, den Sturm an sich vorbeiziehen zu lassen. Wenn er auch "gehörnt" ist – um ein Wort zu verwenden, das mir aus einem anderen Jahrhundert zu stammen scheint – so ist er doch nie ein Opfer. Man liebt Stéphane, und wenn Iris die rote Linie überschreitet, würde man es ihr, glaube ich, wirklich übelnehmen, wenn sie ihn verlieren würde. Das letzte Viertel des Films bedient sich ganz offen der Codes der romantischen Komödie und der beschwingten Liebesfilme! Vor dem Mann, der jede Nacht neben ihr schläft, hat Iris am meisten Angst, sich nackt zu zeigen; ich hoffe, dass ihre Wiederannäherung das Publikum bewegt... Ohne allzu große Illusionen: Der finale Kick (die Handys von Iris und Stéphane vibrieren im Einklang, während sie sich lieben), lässt vermuten, dass einfach alles möglich ist...
"Ich denke, man muss auch unbedingt lernen, ‚Ja‘ zu sagen", meint Iris in einer Schlüsselszene des Films. IT’S RAINING MEN kann als Plädoyer für die Leidenschaft und für Begegnungen gelesen werden, als eine starke, optimistische Erzählung, um die Angst, die Vorsicht und Trägheit zu überwinden, wenn wir uns manchmal abschotten, wie unter einer Glasglocke, was oft einem Zustand gleicht, an dem wir zu ersticken drohen.
CAROLINE VIGNAL
Regisseurin und Drehbuchautorin
Nach einem Magisterabschluss in Literaturwissenschaft besuchte Caroline Vignal die Drehbuchabteilung der FEMIS, der größten und bedeutendsten Filmhochschule Frankreichs. Ihr erster Spielfilm, LES AUTRES FILLES (Girlfriends), wurde 2000 bei der Semaine de la Critique des Filmfestivals von Cannes gezeigt und von der französischen und internationalen Kritik viel beachtet.
Dennoch entschied sich Caroline Vignal, die Regiearbeit auf Eis zu legen und arbeitete als Autorin für Fernsehen, Radio, Theater und Kino. 2019 kehrte sie für MEIN LIEBHABER, DER ESEL & ICH zur Regie zurück. Der Film, der als "Label Cannes 2020" ausgewählt wurde, erreichte in Frankreich mehr als 750.000 Kinobesucher, wurde für acht Césars nominiert und brachte Laure Calamy den Preis als beste Schauspielerin ein.
Die neue Komödie von Caroline Vignal, IT’S RAINING MEN, ist am 3. Januar 2024 als bester Neustart in den französischen Kinos gestartet.
Filmographie:
2000 GIRLFRIENDS / LES AUTRES FILLVerleihES
2020 MEIN LIEBHABER, DER ESEL & ICH
2024 IT’S RAINING MEN
©Verleih
Info:
It’s Raining Men (Frankreich 2024)
Genre: Komödie
Filmlänge: ca. 98 Min.
Regie: Caroline Vignal
Drehbuch: Caroline Vignal, Noémie de Lapparent
Darsteller: Laure Calamy, Vincent Elbaz, Sylvain Katan, Zoé Richard, Daphné Crépieux, Suzanne De Baecque u.a.
Verleih: X Verleih