desSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos am 27. Juni 2024, Teil 4

Christel Schmidt

Berlin  (Weltexpresso) – In den 124 Minuten hat man mindestens 4 Filme, auf jeden Fall ganz verschiedene Genres gesehen. Zu Beginn eine Art ‚Kaurismäki goes to the desert‘ - lakonisch und skurril in langen, atmosphärischen Einstellungen; später dann ein Western, mit einem einsamen Reiter und Rächer; dann eine Sozialstudie und ein Roadmovie - und vielleicht auch ein bisschen ein Märchen. Aber der Reihe nach.

Eine grandios weite, unwirtliche Landschaft, ein klappriges altes Auto am Straßenrand, zwei Männer in billigen Anzügen, die darüber streiten, wo es überhaupt langgeht - und eine Straßenkarte, die der Wüstenwind von der Motorhaube davonträgt. Eine gelungene Ouvertüre, denn die Motive sind alle schon angeklungen. Die Suche nach Orientierung, die Beziehungsdynamik und Beziehungskomik der beiden Freunde, die Weite der Wüste….
Ein Film über Verlierer und Verlorene. Die Männer, ihr Job, das Land, die Menschen, das heutige Marokko, wo die bitterarme Landbevölkerung mit den Auswirkungen eines ungehemmten Kapitalismus zu kämpfen hat.

Die Ärmsten der Armen haben sich für eine Hochzeit, oder die Anschaffung einiger Ziegen verschuldet. Und die Arbeit unserer beiden streitbaren Freunde Hamid und Mehdi besteht darin, für ein Inkassounternehmen die Kreditraten einzutreiben. Wir folgen ihnen in abgelegene Bergdörfer. In kargen Fels gehauene Behausungen, durch die der Wüstenwind zieht. Hier gibt’s natürlich nix zu holen. Aber Hamid und Mehdi stehen selbst unter Druck. Sie sind die Versager in ihrer Firma. Ihre Erfolgsquote ist miserabel. Und wir sehen auch warum - sie sind eben keine gnadenlosen Eintreiber, keine gewalttätigen Schläger; ihre Waffe ist das Wort. Schlitzohrig schwatzen sie den Schuldnern ihren letzten Teppich ab, oder nehmen einfach eine Ziege mit. Die sie dann am Inkassounternehmen vorbei wieder verkaufen. Hier muss jeder sehen, dass er irgendwie überlebt. Auch die säumigen Kreditkunden sind äußerst erfindungsreich in ihren Ausflüchten und Begründungen. Es geht zu wie auf dem Basar - und es ist sowohl äußerst unterhaltsam, als auch geradezu schmerzhaft realistisch, wie in diesen schnellen Wortgefechten quasi nebenbei die marode wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation schonungslos bloß gelegt wird. Hier sind alle Verlierer.

In sensiblen, skurrilen Bildern bündelt der Regisseur und Drehbuchautor Faouzi Bensaidi Elend und Würde. Er selbst spielt einen Kioskbesitzer, dem Hamid und Mehmid die Lebensgrundlage buchstäblich unter dem Hintern wegtragen. Nicht ohne sich von ihm die fast abgelaufenen Getränke schenken zu lassen. Sie sind seine Gäste, auch wenn sie ihn ruinieren. Es ist die pure Tragikomik, wenn der ganze Kiosk, einschließlich Türen und Holzwänden abmontiert und abtransportiert wird, während der Besitzer stoisch den Sonnenuntergang betrachtet. Überhaupt gibt es viel (Situations)Komik. Wie das halt bei einem chaotisch-liebenswerten Freundespaar so ist. Besonders gern sieht man dabei zu, wie die Frauen im Privatleben unserer Möchtegern Machos das Sagen haben.

Aber dann - wir erinnern uns an den Genremix - ändert sich die Tonlage. An einer einsamen Tankstelle treffen die beiden einen Motorradfahrer, auf dessen Rücksitz ein Mann mit Handschellen festgebunden ist. Für eine Handvoll Dirham (so der deutsche Untertitel) übernehmen sie seinen Transport in‘s Gefängnis. Er wird sich befreien, und einen Rachefeldzug starten. Ein klassisches Westernmotiv. Gedreht in einer Landschaft, die mit ihren Felsformationen und ihrer Weite fast an Monument Valley erinnert. Es ist nicht so leicht, diesen plötzlichen Wechsel mitzumachen. Vor allem, wenn dann auch noch etwas Märchenhaftes a la Tausendundeine Nacht dazukommt. Und die Helden in der Wüste noch dazu einem Flüchtlingstrupp begegnen, der sich Richtung Küste bewegt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wünscht man sich, der Regisseur wäre etwas weniger ambitioniert gewesen.

Vielleicht ist dieser Genremix aber nur folgerichtig, denn schließlich ist ‚Déserts - Für eine Handvoll Dirham‘ eine sehr internationale Coproduktion. Belgien - Deutschland - Frankreich - Marokko - und Katar sind beteiligt. Dabei herausgekommen ist ein interessanter, unterhaltsamer und ungewöhnlicher Mix, der mit gut zwei Stunden aber auch seine Längen hat. Aber dafür kriegt man ja auch vier verschiedene Filme.

Foto:
©Verleih

Info:
Deserts - Für eine Handvoll Dirham
Belgien/Deutschland/Frankfreich/Marokko/Katar
Länge 124 Minuten
Kinostart 27. Juni 2024

Buch und Regie Faouzi Bensaidi
Darsteller Fehd Benchemsi, Abbelhad Talbi, Rabli Benjhaile