Bildschirmfoto 2024 08 15 um 01.01.52Magical History Tour: 1. bis 29. September 2024 im Berliner Kino Arsenal

Milena Gregor

BErlin (Weltexpresso) - Grelle Lichtkegel, lange Schatten, harte Kontraste. Dergestaltige dramatische Lichtsetzung als filmisches Gestaltungselement hat ihren Ursprung im expressionistischen Kino. In der Kunstgeschichte findet sich die spezifische Bild- und Lichtästhetik unter der Bezeichnung Chiaroscuro bereits im späten 16. Jahrhundert. Damals wie heute geht es um die Kontrast-Modellierung der Figuren, die Akzentuierung (von Teilen) des Geschehens bei gleichzeitigem Verschleiern der Lichtquelle. Das „berühmte Helldunkel des deutschen Films“ (Lotte Eisner) wurde bald vom Film noir aufgegriffen und zu einem zentralen Stilmittel. Die Magical History Tour präsentiert Beispiele beider Genres sowie spätere filmische Chiaroscuro-Variationen.


Programm

So 1.9., 18:30h & Sa 14.9., 18:30h
ZÉRO DE CONDUITE Betragen ungenügend Jean Vigo F 1933 35 mm frz. OmeU 44‘
Als „kleine Teufel in der Schule“ werden sie in den Stabangaben vorgestellt: eine Gruppe Schüler, von verträumt bis rebellisch, die zum Ferienende wieder ins Internat müssen. Hier ist ihr Alltag geprägt von magerer Kost, strengen Regeln, einem langfingrigen Oberaufseher und einer autoritären Schulleitung. Im Schatten der Nacht bzw. im Schutz des schummrigen Schlafsaals kommt es zu einem der schönsten Befreiungsakte der Filmgeschichte, zu einer als Kissenschlacht getarnten Revolution. Mit Stopptrick, Animation, Anleihen beim Slapstick und surrealistischen Elementen gleicht der Film einem subversiven Experiment, ausgeleuchtet im Stil einer prononciert expressionistischen Helldunkel-Dramaturgie.


Fr 6.9., 17:30h & So 15.9., 20h
NE CHANGE RIEN Change Nothing Pedro Costa Portugal/F 2009 35 mm frz. OmeU 105‘
Aus der alles zu verschlucken scheinenden Schwärze blitzen Deckenstrahler auf, zeichnen sich von schwachem Licht aus dem Nirgendwo beschienene Instrumente und Musiker ab, taucht wie aus dem Schatten tretend und entsprechend abstrakt anmutend die französische Sängerin und Schauspielerin Jeanne Balibar auf. NE CHANGE RIEN ist das Porträt einer Künstlerin wie auch das Dokument eines kollaborativen Prozesses mit den Musikern ihrer Band. Costa zeigt Musik im Entstehen als singuläres visuelles wie auditives Ereignis.


Sa 7.9., 16h & Fr 13.9., 17h
A LONDONI FÉRFI The Man from London Béla Tarr, Ágnes Hranitzky Ungarn/F/D 2007 35 mm frz. und engl. OmdU 132‘
Langsam setzen sich aus Flächen, Reflektionen, Schatten und Lichtkegeln Orte zusammen: ein Schiffsdeck, eine Kaimauer, ein Zug, ein Leuchtturm. Das kühle, scharf-kontrastierte, auf das Genaueste beobachtete Niemandsland ist Schauplatz der Tarr’schen Simenon-Adaption: Ein noiresker „Krimi“ um den Weichensteller Maloin, der aus einem Leuchtturm heraus einen Mord beobachtet. Ein dabei ins Wasser gefallener Geldkoffer eröffnet für einen Moment einen Ausweg aus seiner kargen Existenz. In entgrenzte Schwärzen getaucht ist A LONDONI FÉRFI die Innensicht eines erstarrten Lebens.


So 8.9., 18h, Am Flügel: Eunice Martins
DAS CABINET DES DR. CALIGARI Robert Wiene D 1920 35 mm dt. ZT 72‘
Es sind die schrägen Linien, die schiefen Wände und verzerrten Perspektiven, die den ikonischen „Caligari-Look“ ausmachen, aber auch: die gemalten Schatten. Artifiziell sind sie gezackt auf Straßen aufgebracht, auf Böden und Wände in Wohnungen, selbst die Schlagschatten im Gesicht des Schaustellers Dr. Caligari (Werner Krauß) entstammen expressionistischen Helldunkel-Pinselstrichen, mit denen das Städtchen Holstenwall ausgekleidet ist. Attraktion des hier gastierenden Jahrmarkts ist der Somnambule Cesare (Conrad Veidt), der nachts mordend durch die Kleinstadt zieht.


Fr 20.9., 17h & Sa 28.9., 18h
THE HITCH-HIKER Ida Lupino USA 1953 35 mm engl. OF 71‘
„A true story of a man and a car and a gun.“ Der düstere Film noir kommt mit wenigen Ingredienzien aus. Der Mann mit der Waffe steigt als unauffälliger Anhalter in das Auto zweier ahnungsloser Hobbyangler, stellt sich als landesweit gesuchter Mörder und Psychopath heraus und zwingt die beiden, ihn an die mexikanische Grenze zu fahren. Es beginnt ein mehrtägiger Horror- und Terror-Trip durch karge Landschaften. Die nächtlichen Autofahrten und Ruhepausen bieten umfassend Gelegenheit für effektvolle Kompositionen von Licht und Schatten, Abbild eines dramatischen Kammerspiels auf engstem Raum.


Sa 21.9., 16h & So 29.9., 17:30h
CITIZEN KANE Orson Welles USA 1941 35 mm engl. OF mit span. UT 119‘
Der Zeitungsmagnat Charles Foster Kane stirbt in seinem grotesken Fantasieschloss Xanadu. Sein letztes Wort: Rosebud. Ein Reporter macht sich auf die Suche nach der Bedeutung dieses Wortes und rekapituliert in der Begegnung mit Menschen, die Kane gekannt haben, seinen Lebensweg. Hollywood ließ Welles für sein Debüt (fast) freie Hand, was er nutzte, um mit vielen filmischen Konventionen der Zeit zu brechen. Auch Gregg Tolands Kameraführung und Lichtsetzung setzten Standards. Xanadus schwarze Schattenwelt trifft auf die weißen Schneelandschaften in Kanes Kindheit – neben Tiefenschärfe, extremen Auf- und Untersichten, hartem Gegenlicht sind es nicht zuletzt die Hell-Dunkel-Wechsel, die das Psychogramm Kanes ausmachen.


Fr 27.9., 18h
MESHES OF THE AFTERNOON Maya Deren USA 1943 16 mm ohne Dialog 14‘
AT LAND Maya Deren USA 1944 16 mm stumm 15‘
A STUDY IN CHOREOGRAPHY FOR CAMERA Maya Deren USA 1945 stumm 3‘
RITUAL IN TRANSFIGURED TIME Maya Deren USA 1946 16 mm stumm 15‘
THE VERY EYE OF NIGHT Maya Deren USA 1955 16 mm ohne Dialog 13‘
Das Kurzfilmprogramm umfasst Maya Derens Debüt MESHES OF THE AFTERNOON und vier weitere Werke. Die Pionierin des Avantgarde-Films, Tänzerin, Fotografin und Theoretikerin begann Anfang der 40er Jahre Filme zu drehen. Jenseits traditioneller Vorstellungen von Zeit und Raum kreierte sie subjektive filmische Realitäten, verschränkte Film, Tanz, Rituale, Choreographie und Lyrik, entwarf surrealistische Traumwelten wie filmische Choreographien, experimentierte mit Tricktechniken und nicht zuletzt Helldunkel-Stimmungen.

Das Programm wird im Oktober fortgesetzt.

Foto:
A LONDONI FÉRFI The Man from London
Béla Tarr, Ágnes Hranitzky Ungarn/F/D 2007

Info:
Quelle Arsenal – Institut für Film und Videokunst e.V.
www.arsenal-berlin.de
Kino Arsenal 1 & 2 | Potsdamer Straße 2 | 10785 Berlin