Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Kafka kann immer noch die Welt beunruhigen! Das haben Jubiläen so an sich, daß auf einmal Personen, Persönlichkeiten ins Scheinwerferlicht der Öffentlcihkeit gelangen. So auch Franz Kafka, der am 3. Juli 1883 geboren wurde und am 3. Juni 1924 starb - vor hundert Jahren, daher die Kafkawelle, über die,jeder, der Kafkas Werke seit jeher kennt, nur froh sein kann und es auch ist. .
Gute Gelegenheit, mal mit dem offiziell gewordenen Bild von Franz Kafka aufzuräumen, als einem, vor allem an sich selbst leidendem Mann, mit tiefernsten Gedanken und Texten, der keinen Spaß versteht, vor allem nicht den am Leben! Sicher, Teile der obigen Eigenschaften bleiben bei Kafka, aber dieser Film im Sommer 1923 zeigt ihn als lebendigen Menschen, als Mann, der lachen kann und sich, obwohl schon sehr krank, noch eine Zukunft erhofft. Ein Jahr darauf, vor hundert Jahren, am 3. Juni 1924 ist er in Kierling bei Wien gestorben.
Und wenn bisher noch nicht von Dora Diamant (Henriette Confurius) die Rede war, ist das ein Fehler, den kongenial haben die Regisseure die beiden Verliebten ins Bild gesetzt, wir sind buchstäblich dabei, wenn ihre natürliche, offene Art und liebreizende Gestalt seine Sinne erobert und sie ihm möglich macht, sein seelisch-körperliches Korsett – so selbstgemacht, wie durch die Umwelt bestimmt – erst zu lockern und dann abzulegen. Ob das, was hier vor unseren Augen nach dem Roman von Michael Kumpfmüller abgeht, wirklich so war? Gar nicht wichtig, weil es einfach Freude macht, den beiden Schauspielern in ihren jeweiligen Rollen zuzuschauen und zu staunen, wie sie das Kennen- und Liebenlernen mit Tanz und Leichtigkeit gestalten. Ein Sommerfilm. Das auch. Zumindest fängt er so an und das Wunderbare an diesem Film ist, daß er, als es Winter und bitter kalt in der gemeinsamen Wohnung ist, die sie sich zu mieten getrauen, dunkel dazu, mit den schrecklichen Möbeln der Zeit, bei aller Schwermut dennoch Freude und Leichtigkeit gewahrt bleibt.
Doch, da sind wir nun weit vorgeprescht. Vorausschicken muß man, was vor dem Film war, die unglücklichen Liebesgeschichten des Franz Kafka, sechs an der Zahl, seine Angst vor Bindung und seine Sehnsucht danach und wie er zielgenau jeder Liebesgeschichte den Garaus machte. Auch deshalb, weil das Schreiben seine Existenz ausmacht, nichts ist ihm so wichtig, weshalb er andere auf Abstand hält. Doch jetzt ist das anders. Dora Diamant kann er an sich heranlassen. Vom ersten Moment hat diese Beziehung etwas Flirrendes, nichts konventionell Bodenständiges, wenn sie sich im Sommer 1923 im Ostseebad begegnen; er ist zu Erholung dort, sie kümmert sich um jüdische Kinder, denen sie Mama, Tante, Köchin, Erzieherin und Tanzlehrerin, alles in einem ist.
Das Tanzen ist eine besonders schöne Idee des Drehbuch- und Regieteams. Denn es knüpft an die Wirklichkeit dieser Jahre an, wo der Tanz eine so viel größere Rolle als heute spielte, wo mit Josefine Baker gut zwei Jahre später nach Paris auch Berlin dieser Frau und ihrem Tanz verfällt. Ausdruckstanz, den aber schon Dora hinreißend gut hinbekommt, in Anlehnung an den von Loïe Fuller entwickelten Schleiertanz, der schon Richard Strauss zu Salomes Tanz motivierte.
Und dann die raue Wirklichkeit in Steglitz. Die Verhältnisse waren wirklich so, daß eine Vermieterin, die an einen Mann und eine Frau vermietete, wegen Kuppelei bestraft worden wäre, wäre das rausgekommen – und solche Sachen kamen immer raus, weil es immer Böswillige gibt, und vor allem die, die keinen Mann oder keine Frau abbekommen hatten. Die typische Berliner Wirtin Frau Kasulke. ( Michaela Caspar) wird von beiden verspottet. Der echte Freund Max Brod, der in Kafka immer das literarische Genie sah, zu dem er wurde und für ihn ein verläßlicher, auch angesichts seiner sich gut verkaufenden Bücher spendabler Freund hat in Manuel Rubey eine sympathische Verkörperung gefunden. Daß ihm die Welt heute überhaupt die Kenntnis der Werke Kafkas verdankt, weil er entgegen Kafkas Wunsch seine noch nicht veröffentlichten Schriften nicht verbrannte, sondern nach Kafkas Tod verlegen (Kurt Wolff, Rowohlt) half, macht ihn darüberhinaus sowieso sympathisch.
Doch, dieser Film hat etwas und man kann sich gut vorstellen, daß die einen Zuschauer erstmals zu Kafka greifen, während die anderen, die ihn kennen, einfach einiges wieder in die Hand nehmen müssen. Am besten beschäftigt man sich auch mit neuen Publikationen über Kafka, wie Rüdiger Safranskis KAFKA. UM SEIN LEBEN SCHREIBEN.
Am größten ist das Glück, wenn es ganz klein ist.
Deshalb würde ich, wenn ich mein Leben aufschreiben müsste,
nur Kleinigkeiten notieren.
Wie froh es mich macht,
zu sehen, wie Du Dein Weinglas hältst.
Oder wie Du Deine Schuhe bindest.
Oder einfach nur zu spüren,
wie Du mir mit der Hand durchs Haar fährst.
Ich glaube, dass die Herrlichkeit des Lebens
immer in ihrer ganzen Fülle bereit liegt.
Aber verhängt, in der Tiefe unsichtbar.
Ruft man sie beim richtigen Namen,
dann kommt sie.
Quelle: Michael Kumpfmüller - Die Herrlichkeit des Lebens / Franz Kafka - Tagebücher
Foto:
Umschlagabbildung
Info:
Besetzung
Dora Diamant Henriette Confurius
Franz Kafka Sabin Tambrea
Max Brod Manuel Rubey
Elli Hermann Daniela Golpashin
Paul Leo Altaras
Tile Luise Aschenbrenner
Ottla Alma Hasun
Milena Mia Klein Salazar
Gerti Mira Griesbaum
Felix Lionel Hesse
Albert Caspar Stoltenberg
Frau Kasulke. Michaela Caspar
Dr. Hoffmann Klaus Huhle
Stab
Regie Georg Maas & Judith Kaufmann
Drehbuch. Georg Maas, Michael Gutmann
DVD
Die Herrlichkeit des Leben
BRD, 2024
FSK ab 6 freigegeben
Erscheinungstermin: 22.8.2024
Serie:Literaturverfilmungen
Genre: Drama, Biopic, Literatur
Spieldauer: 95 Min.
Regie: Georg Maas, Judith Kaufmann
Darsteller: Henriette Confurius, Sabin Tambrea, Manuel Rubey
Autor: Michael Kumpfmüll
Sprache: Deutsch
Tonformat: Dolby Digital 5.1
Bild: Widescreen
Untertitel: Deutsch f.H.
Specials
- Über den Film
- entfallene Szenen
- Hinter den Kulissen
- Am Set - fotografiert von Sabin Tambrea