Cranko1Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 3. Oktober 2024, Teil 14

Margarete Ohly-Wüst

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – 1960 kommt der 1927 in Südafrika geborene Choreograf John Cranko (Sam Riley) aus London am Stuttgarter Flughafen an, nachdem er wegen seiner Homosexualität trotz aufsehenerregender Choreografien dort zahlreiche Demütigungen bis hin zu einem Arbeitsverbot ertragen musste. Er soll erst einmal am Stuttgarter Ballett als Gast choreografieren. Schon als er das Staatstheater von außen sieht, hat er Vorstellungen von seinen zukünftigen Ballett-Szenen.


Beim ersten Gespräch mit Walter Erich Schäfer (Hanns Zischler), dem Generalintendanten des Württembergischen Staatstheaters Stuttgart, macht der ihm deutlich, dass ihn seine sexuelle Orientierung nicht interessiert und dass sich in der beschaulichen Stadt am Neckar, niemand an seinem unkonventionellen Lebensstil stören wird.

Schon nach den ersten Aufführungen ernennt ihn Schäfer zum allerdings nicht ganz einfachen Ballettdirektor. Als er als Ballettdirektor ein Dienstzimmer angeboten bekommt, lehnt er es ab, er führt sein Büro lieber in der Theater-Kantine, dabei bezeichnet er die Mitglieder seiner Compagnie als seine Kinder.

Es dauert auch nicht allzu lang, bis Cranko sich mit seiner aufbrausenden Art bei einigen Tänzern und Tänzerinnen Feinde macht. Er ist nicht nur exzentrisch und manchmal auch kleinlich, er verlangt dem Ensemble absolute Perfektion und Hingabe ab. Denn Cranko setzt nicht nur seine Ideen durch und legt sich auch mit dem Ensemble an, wenn die nicht bereit sind auch über die Zeit hinaus zu proben, doch bald lassen sich die meisten Tänzer und Tänzerinnen von Crankos Visionen begeistern.

Cranko2Er sorgt auch gegen den Willen vom Generalintendanten und von Fritz Höver (Lucas Gregorowic), dem Gründer der Stuttgarter Noverre-Gesellschaft und Förderer des Balletts in Stuttgart dafür, dass die 24jährige Brasilianerin Marcia Haydée nicht nur ins Ballett-Corps oder als Halb-Solistin aufgenommen wird, sondern dass sie gleich Crankos Primaballerina werden soll.

Angetrieben von der Besessenheit und Leidenschaft für seine Arbeit als Choreograf ist John Cranko immer auf der Suche nach neuen perfekten Ausdrucksmöglichkeiten und verlangt diese Perfektion auch von seiner Companie. Dabei nimmt er auch wenig Rücksicht auf seine Gesundheit, denn er ist eigentlich immer entweder am Rauchen oder am Alkohol trinken. Als er seine Alkoholsucht erkennt, hört er zwar auf zu Trinken, greift aber immer häufiger zu Tabletten.

Im Laufe der Zeit schart er eine Gruppe von begabten Tänzern und Tänzerinnen um sich wie Marcia Haydée (Elisa Badenes), Egon Madsen (Henrik Erikson), Richard Cragun (Martí Paixà), Birgit Keil (Rocio Aleman), Heinz Clauss (Friedemann Vogel), Ray Barra (Jason Reilly) und Susanne Hanke.

Während Cranko mit seinen Choreografien zu Romeo und Julia nach William Shakespeare (1962) oder Onegin nach Alexander Puschkin (1965) Furore macht und zum Liebling des Stuttgarter Publikums und auch der Kritiker wird, erleidet er mit seinem berauschenden Lebensstil immer wieder persönliche Rückschläge. Dabei gerät er regelmäßig in tiefe Krisen, wenn wieder mal eine seiner Beziehungen und Affären zu Ende gegangen ist, was dann zu zwei Selbstmordversuchen führt, bei denen er jedes Mal gerettet werden konnte. Auch kann er nicht allzu gut mit schlechten Kritiken seiner Inszenierungen umgehen.

Auf dem Höhepunkt seiner Karriere stirbt John Cranko am 26. Juni 1973 unerwartet mit 45 Jahren, während des Rückfluges im Schlaf nach einer erfolgreichen USA-Tournee seiner Compagnie von New York nach Dublin inmitten seiner Tänzer und Tänzerinnen, die mit ihm an Bord waren. Sein Grab befindet sich – wie er es im Film Marcia Haydée gegenüber gewünscht hat - auf dem kleinen Friedhof beim Schloss Solitude in Stuttgart…


Cranko3″Cranko″ ist wohl das erste Biopic über den Stuttgarter Ballettdirektor, der das Ballett des Provinztheaters in den 1960er und frühen 1970rt Jahren zum Weltruhm führte. Der Film kommt jetzt pünktlich zu Crankos 50. Todestag in die deutschen Kinos. Regisseur ist Joachim A. Lang, der auch das Drehbuch geschrieben hat. Er stellt John Cranko als sensibles, verletzliches Genie dar, das von schlechten Kritiken oder Liebeskummer regelmäßig völlig aus der Bahn geworfen wird.

Allerdings ist ″Cranko″ zwar eine Biografie über den weltbekannten südafrikanischen Choreografen, es ist aber auch ein Film, der in wunderbaren Bildern vermittelt, was das Wesen des Balletts ist und worum es in den getanzten Szenen geht. Hier werden die Choreografien von Cranko vom heutigen Stuttgarter Ballett nachgetanzt. Crankos Ideen werden immer wieder deutlich dargestellt, wenn der von dem englischen Schauspieler Sam Riley gespielte John Cranko seinen Tänzern und Tänzerinnen seine Vorstellungen von den Ausdrucksmöglichkeiten während des Tanzens erklärt. Riley spricht dabei seinen Text in Deutsch mit einem leichten Akzent. Es fehlen eigentlich nie die Worte, so dass er es nie in Englisch erklären muss. Wieweit das der Wahrheit entspricht, sei dahingestellt. Der Schauspieler selbst lebt bekanntlich sein vielen Jahren zusammen mit der Schauspielerin Alexandra Maria Lara in Berlin.

Besondere Höhepunkte sind allerdings die vom heutigen Stuttgarter Ballett getanzten Traumbilder, die darstellen, was in Crankos Kopf vorgeht. Dazu wird immer wieder gezeigt, wie Cranko sich kurze Teile der geplanten Musikstücke anhört und wie er daraus seine Inspiration für seine Choreografien bezieht. Besonders augenfällig wird dies, wenn Kameramann Philip Sichler die Tanzsequenzen in Crankos Pupillen spiegeln lässt. Damit erlaubt der Film einen Blick auf seine Seele, denn für ihn ist der Tanz ein Spiegel seines Innersten.

Auch wenn Sam Riley als John Cranko das Zentrum des Films ist, haben doch auch die ausstrahlungsstarken Tänzer und Tänzerinnen des Stuttgarter Balletts, die ihre Vorbilder von vor beinahe 50 Jahren spielen, einen großen Anteil daran, dass der Film unbedingt sehenswert ist. Herausragend ist dabei die spanische Tänzerin Elisa Badenes in der Rolle der Marcia Haydée, denn sie überzeugt nicht nur in ihren Tanzszenen, sondern spielt auch hervorragend die Frau und Freundin, die immer wieder versucht ihren Ballettdirektor aufzufangen.

Cranko4Von den nicht tanzenden Schauspielern ist eigentlich nur Hanns Zischler als Generalintendant Walter Erich Schäfer erwähnenswert. Denn nachdem der durch und durch sympathische Intendanten die Fähigkeiten von Cranko erkannt hat, unterstützt er ihn auf jede mögliche Art und Weise. Dabei wird Schäfers Nazi-Vergangenheit von Cranko zwar kurz angesprochen, aber nicht weiter behandelt, selbst dann nicht, als das Ensemble wegen eines dritte-Reich-kritischen Ballettstückes ausgebuht wird.

Insgesamt ist ″Cranko″ ein wunderbarer Film, bei dem nicht nur die Tanzszenen hervorragend gelungen sind, sondern durch sein facettenreiches Schauspiel ist es Sam Riley gelungen, John Cranko als einen hypersensiblen und hypernervösen Künstlers darzustellen, mit dem es sicher nicht immer einfach war auszukommen. ″Cranko″ ist ein Biopic, das sich nicht nur Fans von Tanzfilmen oder des Stuttgarter Balletts unbedingt ansehen sollten.

Zusatz: Der Film schließt mit einigen sehenswerten Szenen, wenn die noch lebenden vom Alter gezeichneten Lebens- und Arbeitsgefährten von John Cranko – wie z.B. die Tänzer und Tänzerinnen Marcia Haydée, Birgit Keil, Egon Madsen, Reid Anderson und die weiteren Mitarbeiter Dieter Graefe, Jürgen Rose und seine griechische Choreologin Georgette Tsinguridis, die seine Ballette aufgezeichnet hat - zusammen mit den sie spielenden und tanzenden Doubles auf Crankos realen Grab im kleinen Friedhof bei Schloss Solitude jeweils eine Rose niederlegen.

Foto 1: Szene aus dem Ballett ″Onegin″, getanzt von Elisa Badenes und Jason Reilly vom Stuttgarter Ballett © Zeitsprung Pictures / SWR / Port au Prince Pictures
Foto 2: Besessen: John Cranko (Sam Riley) sucht nach neuen Inspirationen © Zeitsprung Pictures / SWR / Port au Prince Pictures
Foto 3: Auf der Suche nach Perfektion: John Cranko (Sam Riley) im Probenraum mit den Tänzer und Tänzerinnen des Stuttgarter Balletts © Zeitsprung Pictures / SWR / Port au Prince Pictures
Foto 4: Tiefe Verbundenheit: John Cranko (Sam Riley) und Marcia Haydée (Elisa Badenes) © Zeitsprung Pictures / SWR / Port au Prince Pictures

Info:
Cranko (Deutschland 2024)
Originaltitel: Cranko
Genre: Biopic, Tanzfilm, Stuttgarter Ballettensemble
Filmlänge: ca. 100 Min.
Regie: Joachim A. Lang
Drehbuch: Joachim A. Lang
Darsteller: Sam Riley, Max Schimmelpfennig, Lucas Gregorowicz, Hanns Zischler u.a.
Sowie die Ballettstars Friedemann Vogel, Elisa Badenes, Jason Reilly und weitere Ensemblemitglieder des Stuttgarter Balletts
Verleih: Port au Prince Pictures
FSK: ab 12 Jahren
Kinostart: 03.10.2024