Redaktion
Berlin (Weltexpresso) - Frau Fries, was ist für Sie nach der Zeit zwischen erstem Drehbuchlesen und letzten Arbeiten im Tonstudio von Hilde Coppi geblieben, als Mensch und Filmfigur? Anders gefragt: Was haben Sie vielleicht gerade wieder neu entdeckt?
Liv Lisa Fries: Ich persönlich benutze sehr gern Worte, wenn es um Ausdruck, Denken und Gefühle geht. Bei der Arbeit im Tonstudio ist mir noch einmal aufgefallen, wie wenig Hilde spricht, dass sie eher schweigt und schaut. Sie ist einfach eine sehr ruhige Figur und das ist so weit weg von mir. Ich kann mich sehr genau an den ersten Drehtag erinnern, da habe ich noch geglaubt, dass Hildes Verschwiegenheit eine Behauptung ist und dass man mir ihre stille Art niemals glauben würde. Ich hatte das Gefühl, viel zu wenig spielen zu müssen. Das hat mich sehr beschäftigt. Am Ende habe ich am meisten über mich selbst gestaunt, weil ich nicht dachte, dass ich das mit den reduzierten Worten wirklich gut kann. Bislang wurde ich gern in eher extrovertierten Rollen besetzt oder habe das extrovertierte Element selbst eingebracht, weil ich glaubte, so könnte ich besonders authentisch sein. Hier war es völlig anders. Und plötzlich habe ich auch in meinem Alltag öfters mal angehalten und mich an Hilde erinnert und daran, dass sie jetzt erst mal nachdenken würde, anstatt zu reden.
Diese besondere Innerlichkeit lässt sich bereits im Drehbuch finden. Waren Sie beim Lesen schon irritiert?
Liv Lisa Fries: Ja, durchaus. Ich habe gelesen und erst mal gestaunt: Okay, hier sagt sie nichts und dort sagt sie nichts, hm, was mache ich denn in dieser Zeit? Ich bin generell sehr offen und probiere viele Farben für meine Figuren aus. Wenn Hilde spricht, ist da kein Bla-Bla, da ist sehr vieles wirklich relevant. Ich war völlig überrascht von Hildes Präsenz ohne große Worte. Mir haben natürlich auch all die äußerlichen Hilfsmittel geholfen, Maske, Kostüme, die Brille, ja, aber ich war trotzdem erstaunt, dass Andreas „seine“ Hilde so früh ausgerechnet in mir gesehen hat.
Lassen Sie uns, wie zuvor mit Laila Stieler und Andreas Dresen, über Zumutbarkeiten sprechen. Wie haben Sie die Härte, die es in IN LIEBE, EURE HILDE gibt und geben muss, empfunden?
Liv Lisa Fries: Wir haben professionell gearbeitet, aber uns flogen die Zumutbarkeiten im Grunde täglich um die Ohren. Es ist so oft passiert, dass Menschen aus dem Team nach einer Szene zu mir gekommen sind und geweint haben. Ich möchte nicht gleich sagen, dass ich Rollen dieser Art anziehe, aber wenn ich allein an UND MORGEN MITTAG BIN ICH TOT denke, dort ging es mit der Krankheit Mukoviszidose und dem Thema Sterbehilfe ja auch um Existenzielles. Ich mag das, weil ich dabei wirklich substanziell werden darf. Und ja, ich habe natürlich auch Angst vor einer solchen Arbeit. Ich musste beim Lesen des Drehbuchs von IN LIEBE, EURE HILDE sofort an BREAKING THE WAVES und DANCER IN THE DARK von Lars von Trier oder HUNGER von Steve McQueen denken, an Filme dieser harten, radikalen Art, die mich nach dem Sehen noch lange und sehr heftig bewegt haben. Bei IN LIEBE, EURE HILDE kam aber noch dieser eine wichtige Aspekt hinzu, der mich beim Drehen immer wieder beschäftigt hat: Hildes Geschichte ist wahr. Es war interessant zu erleben, welche unterschiedlichen Szenen jeden von uns im Team besonders gepackt haben. Für mich war total krass, dieses Schriftstück, unterschrieben von Adolf Hitler, in den Händen zu halten, auf dem die Ablehnung des Gnadengesuchs zu lesen ist. Diese Erbarmungslosigkeit hat alle Kraft und Hoffnung aus mir weichen lassen. Denn genauso war es damals, das hat Hilde erlebt! Ich kann nicht genau beschreiben, wie ich so etwas spiele, wie ich versuche, mich in eine junge Frau hineinzufühlen, die ihr Kind im Gefängnis bekommt und nach acht Monaten hingerichtet wird. Was ich aber sagen kann, ist, dass ich mich sehr vorsichtig und mit aller Obacht an diese Szenen herangetastet habe. Offen, aber gleichzeitig fokussiert. Auch langsam, denn ich bin nicht der Typ Schauspielerin, der von großen Gesten kommt. Ich muss eher rausgelockt werden.
Können Sie bitte noch ein anderes konkretes Beispiel vom Dreh beschreiben?
Liv Lisa Fries: Andreas sagte zu mir, er wolle in dieser späten Szene in der Zelle mit Alexander Scheer als Pfarrer eine fiebrige Qualität. Uns kam zunächst ein Tier im Käfig in den Sinn, aber genau das sollte es nicht sein. Also hieß es für mich, fiebrig zu spielen, ohne mich groß zu bewegen.
Ich habe entschieden, mich seitlich zu Alexander Scheer zu setzen, nicht frontal. Das wäre für mich als Hilde unerträglich gewesen. Sich meinem Gegenüber seitlich zuzuwenden, bedeutete für mich genau dieses Fiebrige, dieses Tier, das eben nicht herumläuft.
Wie kommen Sie als Schauspielerin aus dieser Heftigkeit wieder heraus?
Liv Lisa Fries: Das ist echt ein schwieriger Weg. Ich weiß, dass ich noch viel mehr tun muss, damit es gelingt. Ich muss sehr wach sein, um zu erkennen, was mir beim Ausstieg hilft. Ist es Joggen, Yoga, Meditation oder einfach die Badewanne. Auch wird es für mich immer wichtiger, herauszufinden, wer ich bin, was mich ausmacht, woher ich komme und wohin ich will. Die große Neugier auf eine Filmfigur, ihr anderer Blick auf die Welt und die Beschäftigung mit immer wieder einem anderen Leben, ist hochinteressant. Ab einem gewissen Zeitraum, spätestens beim Drehen, wird es richtig schwer, anstrengend und kräftezehrend, denn im Grunde muss ich ja vor allem geben. Ab und zu bekomme ich auch etwas zurück, aber zunächst geht es ums Geben. Es ist also extrem wichtig, ein eigenes Leben zu haben, Freunde und Freundinnen, Familie, all die eigenen Themen. Denn gerade Hilde hatte sich mir zeitig eingeschrieben. Das ist gar nicht anders möglich.
Wie haben Sie sich für die Rolle präpariert und was haben Sie dabei vielleicht bewusst unterlassen?
Liv Lisa Fries: Ich habe viel mit Andreas geredet, um gemeinsame Richtungen zu finden. Hans Coppi junior zu treffen und mit ihm zu sprechen, war für mich sehr wichtig und intensiv. Ich habe mir Robert Siodmaks Film MENSCHEN AM SONNTAG angeschaut, noch einmal gelernt, Schreibmaschine zu schreiben und bin in Hildes Arbeitsstelle in die ehemalige Reichsversicherungsanstalt gegangen, ganz bewusst aber nicht in ein Gefängnis und auch nicht in die Hinrichtungsstätte Plötzensee. Ich kenne mich und weiß, dass ich das nicht gebraucht hätte, um mich in Hilde hineinzufühlen. Was ich über ihr Leben erfahren habe, hat genug reingehauen. Ich habe ganz bewusst auch nicht Pfarrer Poelchaus Buch „Die letzten Stunden“ gelesen. Jede Filmfigur ist anders und bereitet sich selbst im Grunde vor. Sie entscheidet für mich und ich nehme das dann intuitiv auf. Hilde war ein weicher Mensch. Bei ihr begann und endete alles, wirklich alles, im Herzen.
Hat sie von dort auch ihre Kraft bezogen?
Liv Lisa Fries: Ja, und aus der Liebe, ganz klar. Hilde war sehr menschlich, rein und pur.
Sind Begriffe wie Held oder Heldin Teil Ihres aktiven Wortschatzes?
Liv Lisa Fries: Ja, warum nicht? Begriffe wie Held oder Heldin des Alltags haben weiterhin große Bedeutung, genauso wie Widerstand, da müssen wir gar nicht nur von den Regimen auf der Welt reden. Deshalb fand ich es ja so gut, dass Andreas IN LIEBE, EURE HILDE nicht so angelegt hat, als sei der Stoff zeitlich von heute so extrem weit entfernt. Vieles am Widerstand heute wie gestern ist erst mal klein oder mutet klein an, aber was kann nicht alles daraus werden! Es geht auch um Integrität vor sich selbst und die hatte Hilde in jedem Falle. Alles begann bei ihr mit dem Herzen, einer Entscheidung und einem Gefühl. Dort einen Zugang zu bekommen, dieses Gefühl sichtbar zu machen, es in seiner Natürlichkeit wirken zu las- sen, war die Herausforderung für mich.
Was glauben Sie, nehmen Sie von IN LIEBE, EURE HILDE für sich persönlich mit?
Liv Lisa Fries: Als Schauspielerin möchte ich unbedingt sagen, dass mich die Arbeit besonders mit dem Dreiergespann Andreas Dresen, Laila Stieler und Judith Kaufmann auf eine neue Stufe gebracht hat. Allein, was ich noch einmal über Intonation gelernt habe! Schon Lailas Drehbuch war extrem komplex, Andreas hat es dann auf seine eigene Art dechiffriert und Judith hat unglaubliche Bilder gefunden. Ich habe mich nie übergangen gefühlt oder nicht gesehen. Andreas schätzt dich und hält dich, auch auf menschlicher Ebene und dann verlangt er viel von dir. Es war eine fordernde Arbeit, ja, aber sie war auf sehr vielen Ebenen wirklich einzigartig.
Foto:
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Info:
BESETZUNG
Hilde Coppi. Liv Lisa Fries
Hans Coppi. Johannes Hegemann
Anneliese Kühn. Lisa Wagner
Pfarrer Harald Poelchau. Alexander Scheer
Ina Ender-Lautenschläger. Emma Bading
Libertas Schulze-Boysen. Sina Martens
Grete Jäger. Lisa Hrdina
Liane Berkowitz Lena Urzendowsky
Albert Hössler. Hans-Christian Hegewald
Harro Schulze-Boysen. Nico Ehrenteit
Heinrich Scheel. Jacob Keller
Mutter Hilde. Tilla Kratochwil
Mutter Franz. Rachel Braunschweig
Mutter Hans. Heike Hanold-Lynch
Kommissar Henze Claudiu Mark Draghici
Kommissar Habecker. Thomas Lawinky
Hebamme. Fritzi Haberlandt
Arzt. Florian Lukas
STAB
Drehbuch. Laila Stieler
Regie. Andreas Dresen
Bildgestaltung Judith Kaufmann
Abdruck aus dem Presseheft