Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 31. Oktober 2024, Teil 12
Redaktion
Hollywood (Weltexpresso) - Die Dreharbeiten für ANORA begannen im Januar 2023. Die Crew drehte 37 Tage in New York City und drei Tage in Las Vegas. Die Logistik war eine Herausforderung, denn es gab viele verschiedene Drehorte, eine mehrsprachige Geschichte und Charaktere sowie einen ehrgeizigen Zeitplan und die Unwägbarkeiten des Winterwetters. Nichtsdestotrotz beschreiben alle Beteiligten die Zeit als eine auflergewö hnliche Erfahrung. Madison sagt: „Jeder Einzelne, der gesamte Cast, jedes Crewmitglied und auch Sean, steckte sein Herz und seine Leidenschaft in diesen Film. Es war erstaunlich, diese Art von Energie zu erleben.“
Karagulian kennt Baker seit fast 30 Jahren. Er traf ihn, als er noch an der NYU studierte. ‹ber ihre lange Zusammenarbeit sagt er: „Jedes Mal, wenn Sean einen Film fertigstellt, sage ich ihm, dass es sein bisher bestes Werk ist. In den Jahren, in denen wir zusammengearbeitet haben, sah ich, wie er von Film zu Film reifte. Bei einem unserer ersten Projekte, Prince of Broadway, stand er hinter der Kamera, f ̧hrte Regie, schnitt und produzierte alles. Dann kam Tangerine L.A., bei dem er auf geniale Weise das iPhone nutzte, um das Projekt f ̧r wenig Geld zu drehen. Sean ist von Kopf bis Fufl Filmemacher: Er atmet es, er lebt dafür. Er ist zu einem wahren Meister dieses Handwerks geworden.“
Tovmaysan fügt hinzu: „Mit jedem Drehtag spürte man, wie der Film besser und besser wurde, was allein Seans Leidenschaft zu verdanken ist. Mir gefiel auch, wie er in diesem Film die amerikanische, die russische und die armenische Kultur vermischte und mit Schauspieler*innen unterschiedlicher Hintergründe besetzte. Es ist eine grofle Herausforderung, aber Sean schaffte es, das Beste aus allen Beteiligten herauszuholen. Er schuf eine Synergie zwischen den Schauspieler*innen, die für den Film von Vorteil war.“
Baker war dankbar für das unerm ̧dliche Engagement und die Kreativität der Darsteller*innen. Er sagt: „Diese Besetzung bestand aus erfahrenen und professionellen Schglich mit Details, Ideen und Inspirationen. Es war eine Freude, mit ihnen zu arbeiten.“
Der Cast genoss die gemeinsame Zeit sowohl auf der Leinwand als auch abseits vom Set. Madison und ihre Co-Darsteller Eydelshteyn und Borisov verbrachten viele Stunden miteinander, lernten sich kennen, sprachen über ihre Figuren und bauten die Beziehung auf, die ihre Szenen befl ̧geln sollte. Madison ist voll des Lobes für die beiden Kollegen. „Mark und Yura sind unglaublich engagierte, talentierte Schauspieler und einfach sehr nette Menschen“, sagt sie. „Es war wichtig für Mark und mich, dieses Vertrauen zueinander aufzubauen, um ausgewählte Szenen zu drehen. Als ich ihn zum ersten Mal traf, konnten wir uns wegen der Sprachbarriere nur bedingt verständigen. Trotzdem lachten wir zusammen, weil die Chemie zwischen uns stimmte. Mark ist ein sehr abenteuerlustiger Schauspieler, sehr clever und schnell. Er hat eine Art von physischer Komik, die mich an Charlie Chaplin erinnert. Auflerdem brachte er fantastische und verr ückte Ideen ein, wie zum Beispiel den Rückkwärtssalto auf dem Bett in der ersten Sexszene. Es gibt viel zu lachen in dem Film und das ist Mark zu verdanken.“
Eydelshteyn gibt dieses Kompliment gern zurück: „Mikey ist eine brillante Partnerin, eine groflartige Schauspielerin, eine fantastische Frau. Sie ist eine der besten Menschen, mit denen ich je arbeiten durfte und stets professionell. An einem bestimmten Punkt wurde mir klar, dass Mikey und ich auf einer Wellenlänge sind. Wir kommen aus verschiedenen Kulturen und sprechen verschiedene Sprachen, aber wir besitzen das gleiche Verständnis für Humor. Wenn sie Witze macht, kann ich sie verstehen, und das ist sehr lustig. Sie reißt dumme Witze und lacht viel. Ich erinnere mich noch daran, als sie das erste Mal über einen meiner Witze lachte, war ich glücklich.“
Madisons Interaktionen mit Borisov hatten natürlich einen anderen Tenor. Ani verbringt einen Groflteil des Films damit, entweder mit Igor zu kämpfen oder ihn mit Schimpfwörtern und Beleidigungen zu überhäufen. Allerdings verliert Igor nicht die Beherrschung und in Borisovs Spiel zeigt sich die Figur sowohl lustig als auch gefühlvoll. Madison erkärt: „Wenn ich mich in einer Szene zu Yura umdrehte, überraschte mich die Emotion in seinen Augen. Er gab Igor so viele interessante Persönlichkeitsmerkmale und spielte ihn mit diesem trockenen Humor. Als Schauspieler hat Yura zudem eine interessante Beziehung zur Zeit. Er opfert nie die Integrität der Figur während einer Szene, selbst wenn der Kamera das Material ausgeht. Er nimmt sich Zeit, was die Figur reifen lässt.“
Borisov zeigt sich von seinem Co-Star ebenfalls beeindruckt: „Mikey ist als Schauspielerin, als Frau und als Mensch wahnsinnig stark. Sie war in jedem Moment immer drehbereit und gibt für die Szene alles, was sie besitzt. Während der Dreharbeiten war sie wie eine Schwester für mich. Ich respektiere sie wirklich sehr!“
Zehn der 37 Drehtage wurden für die Arbeit an der entscheidenden Sequenz des Einbruchs und der Schlägerei verwendet, die etwa 25 Minuten lang in Echtzeit abläuft. Es war ein enormes Unterfangen, bei dem wechselnde Variablen berücksichtigt werden mussten, um einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten. Daniels erklärt: „Ich musste dafür sorgen, dass es so aussieht, als würde alles kontinuierlich ablaufen. Erschwerend kam hinzu, dass wir sehr tageslichtabhängig waren. Unser Haus hatte Fenster und überall riesige Spiegel und wir drehten im Winter mit bestenfalls acht Stunden Licht. Im Vorfeld mussten wir uns sehr gut überlegen, in welcher Reihenfolge wir drehen wollten. Uns blieb nichts anders ̧brig, als das Tageslicht von Grund auf neu zu erschaffen, wenn es schwächer wurde. Dabei halfen Low- Budget-Methoden, um die Beleuchtung so gut wie möglich zu kontrollieren. In den zehn Drehtagen erlebten wir jedes erdenkliche Wetter und es musste so aussehen, als ob wir 25 Minuten am Stück drehen würden. Purer Stress, aber wir haben es geschafft und ich bin wirklich stolz auf die Sequenz.“
Improvisation ist ein wichtiger Bestandteil von Bakers Herangehensweise an das Filmemachen. Manchmal geht es bei der Improvisation darum, vom Drehbuch abzuweichen und sich Dialoge auszudenken. Es kann aber auch bedeuten, eine Szene aus einer kurzen Beschreibung gänzlich zu entwickeln. Madison erklärt: „So wie Sean schreibt, könnte es einen Absatz geben, in dem es heiflt: Ani ist im Club und geht auf die Kunden zu. Dann liegt es an mir, diesen Moment zum Leben zu erwecken. So etwas habe ich noch nie erlebt, eine zehnminütige Szene, in der ich einfach von Kunde zu Kunde gehe und mit ihnen spreche, während ich gefilmt werde. Es ist ein komplettes Live-Set und fühlt sich absolut echt an. Genau so macht es Sean Baker. Dadurch gelingt es ihm, diese unglaublichen Momente der Realität zu schaffen.“
Diese Art von Interaktion fand auch in Las Vegas, Brooklyn und Manhattan statt. Während der Arbeit an den Szenen, in denen Ivan gesucht wird, drehten Madison, Borisov, Karagulian und Tovmaysan unter anderem im ehrwüdigen Brighton Beach Restaurant Tatiana's, in einer Billardhalle und in einer Spielhalle. „Diese Szenen im Doku-Stil waren aufregend“, sagt Madison. „Das kribbelnde Gefühl, eine Kamera in ein Restaurant oder auf eine Strafle voller ahnungsloser Menschen zu bringen und eine Szene in deiner Rolle zu drehen, werde ich nie vergessen.“
Schlussendlich wird Anis zukünftiger Ex-Mann Ivan von seinen unerbittlichen Eltern in die Schranken gewiesen. Bakers Filme besitzen oft zweideutige Schlüsse und enden mit Szenen, die in ihrer Schönheit und mit emotionaler Wucht verblüffen. ANORA bildet da keine Ausnahme und zeigt diese Merkmale in den letzten Momenten, in denen Ani mit ihrem ehemaligen Entführer Igor in einem Auto sitzt, welches sie zurück in ihr Haus in Brighton Beach fährt.
Madison erinnert sich: „Im Drehbuch gab es einen Absatz, der diesen Moment beschrieb. Im Gegensatz zur ursprünglichen Szene wurde es etwas verändert, da sich auch die Geschichte während der Dreharbeiten weiterentwickelte. Es ist eine so wichtige Szene und Yura und ich wollten ihr wirklich gerecht werden. Was mir daran gefällt, ist, dass sich jede*r Zuschauer*in eine eigene Meinung über diesen Augenblick bilden kann.“
Foto:
©Verleih
Info:
Stab
Regie. SEAN BAKER
Drehbuch. SEAN BAKER
BESETZUNG
Rolle Schauspieler*in
Ani MIKEY MADISON
Ivan. MARK EYDELSTHEYN
Igor YURA BORISOV
Toros. KARREN KARAGULIAN
Garnik. VACHE TOVMASYAN
Abdruck aus dem Presseheft