holger58. Internationale Hofer Filmtage

Holger Twele

Hof (Weltexpresso) - 145 Filme, darunter 57 Welt-, 10 Europäische und 66 Deutschland­premieren aus den verschiedensten Genres und mehr als 20 Ländern: Die Hofer Filmtage lockten auch im 58. Jahr ihres Bestehens neben rund 850 Gästen und Fachleuten aus der Filmbranche zahlreiches Publikum an. So wurden deutlich mehr Karten verkauft als im Vorjahr. Neben neuen internationalen Produktionen lag der Schwerpunkt des vom künstlerischen Leiter Thorsten Schaumann zusammengestellten Programms wie immer auf deutschsprachigen Spiel- und Dokumentarfilmen. Ein perfektes Forum für Newcomer und für filmische Entdeckungen. Bekannte Namen gab es allerdings nur selten. Unter den Ausnahmen ist Rosa von Praunheim, der schon seit Jahrzehnten seine Filme in Hof präsentiert.

 

Dieses Jahr war er mit seiner humorvoll-provokativen Dokufiktion 30 JAHRE AN DER PEITSCHE vertreten. Der von großer Sympathie und vor allem von Respekt getragene Film lässt das Leben der in Berlin lebenden Domina Lady Maclaine in nachinszenierten Spielszenen Revue passieren, wobei so manches Klischee ad absurdum geführt wird. Die Domina, die glaubhaft versichert, dass in ihrer langen Karriere nie ein Mensch zu Schaden gekommen sei, wohnt im gleichen Mietshaus wie der Regisseur selbst, was ihm lange verborgen geblieben ist. Für ihre Tätigkeit berufen fühlte sich die Lady allerdings nie. Sie kam erst durch ihren ersten Lebenspartner auf die Idee, der sich nach außen hin als Macker präsentierte, im Grunde genommen aber ein schwacher Mensch war, der seine Kindheitstraumata in entsprechenden devoten Praktiken auslebte und wiederholte und genau das von seiner Geliebten forderte. Etwas schade lediglich, dass Rosa von Praunheim diese Thematik auch bei den anderen Freiern immer wieder anklingen lässt, sie zugunsten seiner im Mittelpunkt bleibenden Protagonistin, die von einer jungen Schauspielerin verkörpert wird, aber in ihren gesellschaftlichen Dimensionen doch etwas verschenkt hat.

 

Zumindest in formaler Hinsicht lassen sich interessante Vergleiche mit dem österreichischen Film DER SOLDAT MONIKA von Paul Poet ziehen, in dem ebenfalls eine von Vorurteilen belastete Frau zur Protagonistin wird. Der Film wurde in Hof als Dokumentarfilm angekündigt. Gleichwohl werden wichtige Stationen ihres Lebens in animierten Zeichentricksequenzen vermittelt und hier sind es im Unterschied zu Praunheims Film gleich drei Schauspielerinnen, die sich dem Leben dieser höchst umstrittenen Frau in inszenierten direkten Begegnungen nähern. Monika Donner gilt als Aushängeschild der rechten und rechtsextremen Szene im deutschsprachigen Raum und als populäre Corona-Leugnerin. Darüber hinaus ist sie eine Vorzeigefigur der LGPTQ-Szene. Ihr Werdegang ist phänomenal. Als „Junge“ geboren, brachte sie es als Soldat im Bundesheer zum Kompaniekommandanten, absolvierte danach ein Studium der Rechtswissenschaften und arbeitete später im Verteidigungsministerium. 2010 erstritt sie sich das Recht, ihren Geburtsnamen ohne geschlechtsangleichende Operation zu ändern. Ursprünglich wollte Paul Poet einen Dokumentarfilm über die sogenannten Idenditären drehen, die auf ihn offenbar wie „langweilige Dumpfgummis“ wirkten. Schließlich stieß er stattdessen auf Monika Gruber, einem schillernden Charakter, höchst umstritten, von den einen gefeiert, von den anderen gehasst. Eine sehr komplexe und ambivalente Figur, die sich nicht in eine Schublade stecken lässt. Er gibt ihr in Gegenüberstellungen insbesondere mit den Schauspielerinnen deutlich Paroli und lässt ihr rechtsextremes Gedankengut nicht unhinterfragt. Was den Film aber besonders spannend macht, ist gerade vor dem Hintergrund der zunehmenden Polarisierung in unserer Gesellschaft die Fähigkeit, sich mit einer solchen Figur ernsthaft auseinanderzusetzen und sie vielleicht nicht gerade mit Sympathie, aber doch mit gebührendem Respekt zu porträtierten. Am Rande kommt dann sogar zum Ausdruck, dass es mit der Toleranz der rechtsextremen Szene mit LGBTQ-Menschen offenbar seine Grenzen hat.

 

Deutlicher als bei den beiden erstgenannten Filmen lassen sich Dokumentarisches und Fiktionales bei anderen Beiträgen unterscheiden. Biografische, familiäre und private Konstellationen spielen allerdings auch dort eine zentrale Rolle. Beispielhaft dafür stehen die folgenden Filme, wobei zumindest im Bereich des Dokumentarfilms weitere Produktionen aus Österreich hervorstechen.

Mit dem Granit-Filmpreis für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde TROG von Gabriele Hochleitner, die anhand eines 500 Jahre alten Bauernhauses die Geschichte ihrer Tante und ihres Onkels und die von elf Kinder der letzten Generation aus den 1940er- bis 60er-Jahren aufzeichnet. Dabei steht der Mief des nach dem Tod des letzten Bauern leerstehenden Hauses in Kontrast zu den lebendigen positiven Erinnerungen der erwachsenen Kinder an ihre Mutter. Nicht minder verdient hätte den Preis BESUCH IM BUBENLAND von Katrin Schlösser. Ihr gelang es, einfühlsam und – wie es der Titel andeutet – zugleich mit milder kritischer Distanz das Vertrauen von Männern unterschiedlichen Alters im südlichen Burgenland zu gewinnen, darunter vielen Bauern, die noch oder wieder alleine leben und ihren Alltag zu bewältigen suchen. Offen erzählen sie von ihrem privaten Alltag, ihren Familien , ihrem zum Teil verlorengegangenen Bezug zu den Kindern und – zwischen den Zeilen – vor allem über Veränderungen, die die im steten Wandel befindlichen Rollenbilder bei ihnen ausgelöst haben und ihr gegenwärtiges Bild von Männlichkeit bestimmen. Es lässt sich allenfalls darüber spekulieren, wem diese Männer bei den letzten Wahlen in Österreich wohl ihre Stimme gegeben haben mögen. Wesentlich ist, dass eine junge Filmemacherin den Mut hatte, sich ausführlich mit einer solchen Thematik und mit sonst kaum in der Öffentlichkeit beachteten Menschen zu beschäftigen, ohne jemanden zu verunglimpfen.

 

Nur auf den ersten Blick scheint es, als hätte der aus dem Iran stammende Schweizer Filmemacher Samir, der ähnlich wie Rosa von Praunheim auf eine lange Filmkarriere zurückblicken kann, mit DIE WUNDERBARE VERWANDLUNG DER ARBEITERKLASSE IN AUSLÄNDER einen Film gemacht, der nur für die Schweiz relevant ist. Samir verbindet anhand von unzähligen Dokumenten und Filmausschnitten seine persönliche Biografie als Ausländer, der lange zu kämpfen hatte, bis er einen Schweizer Pass erhielt, mit der Begegnung und Freundschaft zu zahlreichen Saisonarbeitern aus Italien mit dem anhaltenden wirtschaftlichen Erfolg der Schweiz. Diese wurden als Werktätige dringend gebraucht, waren aber im Grunde genommen unerwünschte Ausländer. Viele von ihnen wurden ausgenutzt und dann abgeschoben. Damals gab es zahlreiche „Schrankkinder“ aus Italien, die vor den Behörden buchstäblich im Schrank versteckt wurden und fortan für ihr Leben gezeichnet waren. Eine Praxis im Umgang mit ausländischen Arbeitskräften, die in der Schweiz zwar ihre speziellen Ausformungen hatte, sich aber strukturell auf andere Länder wie Deutschland übertragen lässt.

 

Im Bereich des Spielfilms überzeugten drei Filme mit jungen weiblichen Protagonistinnen besonders, die auf sehr unterschiedliche Weise davon handeln, jenseits des gesellschaftlichen Mainstream ein Stück persönliche Freiheit zu erlangen – um welchen Preis auch immer.

NAWI – DEAR FUTURE ME von Kevin und Toby Schmutzler spielt zwar in Kenia, wurde aber von Katja Eichinger und Ludwig Prinz von Bayern produziert. Natürlich kann man grundsätzlich fragen, warum ein Film über arrangierte Zwangsehen in Afrika von einem deutschen Team und nicht von afrikanischen Filmschaffenden gedreht worden ist. Gleichwohl geht der Film für Kenia ins Oscar-Rennen und er ist emotional anrührend. Einen großen Anteil daran hat die Hauptdarstellerin Michelle Lemuya Ikeny, die an einer Schule in Kenia gecastet worden ist. In der Rolle der Nawi spielt sie ein hoch intelligentes Mädchen, das in der Schule für ihre Leistungen ausgezeichnet wird, von einer großen Zukunft und dem Besuch der Universität träumt, aber von Stammestraditionen und durch die wirtschaftliche Not der Familie gezwungen wird, einen um Jahre älteren Mann zu heiraten.

Um zerplatzte Träume ganz anderer Art geht es in RABIA – DER VERLORENE TRAUM von Mareike Engelhardt, einer Koproduktion mit Frankreich und Belgien, der auf realen Ereignissen beruht. Zusammen mit ihrer besten Freundin reist eine 19-jährige, gut situierte Französin nach Syrien, um sich dem Islamischen Staat anzuschließen. In Raqqa angekommen, soll sie bald möglich mit einem Kämpfer verheiratet werden, findet sich nach heftiger Gegenwehr aber als Gefangene von Madame wieder, die als charismatische Leiterin eines „Frauenhauses“ den Willen der Frauen brechen möchte. Das gelingt ihr bei der Französin, indem sie diese zu ihrer willfährigen Helferin macht.

Mit dem Förderpreis Neues deutsches Kino ausgezeichnet wurde verdientermaßen der Film JUPITER von Benjamin Pfohl. Allein schon die Geschichte ist bemerkenswert. Denn von der Gesellschaft und der Politik enttäuscht, schließt sich die Familie der 14-jährigen Lea einer Sekte an, die Erlösung in einer höheren Existenz auf dem Planeten Jupiter verspricht. Das bedeutet nichts anderes als kollektiver Selbstmord. Hin- und hergerissen zwischen der Loyalität zu ihrer geliebten Familie und ihren eigenen Zweifeln und Wünschen, muss sich Lea nun entscheidet, wie sie sich in dieser psychischen Ausnahmesituation entscheiden soll. Ein Coming-of-Age-Film der ganz besonderen Art, der in seinen überraschenden Wendungen und der gelungenen filmischen Umsetzung gleichermaßen erforscht, welche Beweggründe rational denkende Menschen haben, um sich einer solchen Sekte anzuschließen, und ob junge Menschen genügend Resilienz haben können, um sich dagegen aufzulehnen. Der Film startet im Januar 2025 in den Kinos.

 

Den erwähnten Filmen gemeinsam ist, dass persönliche und private Geschichten von gesellschaftlichen Entwicklungen nicht zu trennen sind. Oder unmittelbar auf das Plakatmotiv der Filmtage bezogen: Gesellschaftspolitik findet auch unter der Bettdecke statt. Beileibe keine neue Erkenntnis, aber in der Intensität der im „Home of Films“ gelaufenen Filme doch immer wieder aufs Neue überraschend.

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