Hanswerner Kruse
Berlin (Weltexpresso) - Als israelfreundliche Kollegen und Kolleginnen sowie der Verfasser dieser Zeilen den Film „No Other Land“ in einer Pressevorführung lange vor der Berlinale sehen konnten, waren wir sehr betroffen.
Er zeigt, wie brutal die jüdischen Siedler und israelischen Soldaten mit der palästinensischen Bevölkerung im Westjordanland umgehen. Wir hatten das Gefühl, diese dunkle Seite des Nahost-Konflikts bisher einfach aus Solidarität mit Israel ausgeblendet zu haben.
Aber genauso betroffen waren wir bei der Preisverleihung der Berlinale am 24. Februar 2024, als offener Antisemitismus im Saal ausbrach, während die Regisseure dieses Dokumentarfilms „No Other Land“ - der Sektion Panorama - ausgezeichnet wurden. Viele nahmen die Übergriffe der Siedler und Soldaten zum Anlass, um den Juden in Israel das Existenzrecht abzusprechen: „From the river tot he sea.“ Berechtigte Israelkritik schlug in Judenhass und Antisemitismus um. In den Statements der Filmschaffenden wurde der Terrorangriff der Hamas auf Israel nicht erwähnt, ebenso wenig die Freilassung der israelischen Geiseln gefordert. Ständig war lediglich die Rede vom „Genozid der Israelis in Gaza“, auch bei einigen Filmschaffenden, die später mit Bären ausgezeichnet wurden.
Berlins Bürgermeister Kai Wegner, die Kulturbeauftragte Staatsministerin Claudia Roth und andere klatschen - um sich hinterher von den Aussagen zu distanzieren, die sie gerade beklatscht hatten.
Worum geht es in dem Film, wir zitieren aus dem Presseheft:
„Ein halbes Jahrzehnt lang filmt der palästinensische Aktivist Basel Adra, wie seine Gemeinde Masafer Yatta durch die israelische Besatzung zerstört wird. Dabei geht er eine unwahrscheinliche Allianz mit einem israelischen Journalisten ein, der sich seinem Kampf anschließen will.
Basel Adra, ist ein junger palästinensischer Aktivist aus Masafer Yatta, der seit seiner Kindheit gegen die Massenvertreibung seiner Gemeinde durch die israelische Besatzung kämpft. Basel dokumentiert die allmähliche Auslöschung von Masafer Yatta, wenn Soldaten die Häuser von Familien zerstören - der größte Akt der Zwangsumsiedlung, der jemals im besetzten Westjordanland durchgeführt wurde. Er begegnet Yuval, einem israelischen Journalisten, der sich seinem Kampf anschließt, und über ein halbes Jahrzehnt lang kämpfen sie gegen die Vertreibung und kommen sich dabei näher.
Ihre komplexe Beziehung wird durch die extreme Ungleichheit zwischen ihnen belastet: Basel, der unter einer brutalen militärischen Besatzung lebt, und Yuval, der ungehindert und frei ist. Dieser Film eines palästinensisch-israelischen Kollektivs von vier jungen Filmschaffenden entstand während der dunkelsten und schrecklichsten Zeiten in der Region, als ein Akt des kreativen Widerstands gegen die Apartheid und der Suche nach einem Weg zu Gleichheit und Gerechtigkeit.“
Der aus Israel nach Deutschland eingewanderte Publizist und Historiker Meron Mendel, erzählte bereits 2023 in seinem Buch „Über Israel reden“, von der Schikanierung der Bevölkerung im Westjordanland. Er leistete dort seinen Militärdienst und war entsetzt, wie die Soldaten, die meistens aus der dortigen israelischen Siedler-Szene kamen, mit den Menschen umgingen:
„Als wir nach Hebron zurückkehrten, wurde mir zudem vor Augen geführt, dass dort eigentlich die palästinensischen Zivilisten militärischen Schutz benötigten - und zwar vor der Gewalt der jüdischen Siedler. Doch wir Soldaten hatten hauptsächlich die Aufgabe, die Siedler gegen palästinensische Angriffe zu verteidigen.“
Eigentlich müsste es sich in der Welt herumgesprochen haben, dass bis zum 7. Oktober 2023 Hunderttausende Israelis gegen Benjamin Netanjahu und seine rechten radikalreligiösen Verbündeten auf die Straße gingen, weil sie nicht mit seiner Politik einverstanden waren.
Es gibt keinen Grund die umstrittenen und heftige kritisierten Maßnahmen der rechtsradikalen Regierung „den“ Israelis anzulasten. Aber Solidarität mit Israel kann nicht heißen, das von der Netanjahu-Regierung geförderte Treiben zu verschweigen oder zu bagatellisieren. Das kann uns der Film lehren.
Dokumentarfilm „No Other Land“, Westjordanland / Norwegen, 2024, 95 Minuten,
Regie Basel Adra, Hamdan Ballal, Yuval Abraham, Rachel, Szor. Filmstart 13. 11. 2024
Foto:
© Antipode-Films
Buchempfehlung:
Meron Mendel „Über Israel reden“, Gebunden 224 Seiten, März 2023
Kiepenheuer & Witsch Verlag, 22 Euro