Ein Programm zum Abschied vom Potsdamer Platz zwischen 1. und 15. Dezember im Kino Arsenal
Romana Reich
Berlin (Weltexpresso) - Eine Etappe geht zu Ende: Mitte Dezember schließt das Kino Arsenal am Potsdamer Platz, um im Januar 2025 umzuziehen und am neuen Standort im silent green im Wedding heimisch zu werden, bevor der neue Saal Anfang 2026 öffnen wird.
Seit dem 1. Juni 2000 und noch bis zum 15. Dezember 2024 setzt das Arsenal alles daran, Kino immer wieder neu zu erfinden und allabendlich auf die Frage „Was kann Kino?" möglichst unterschiedliche Antworten zu geben. Anlässe zur selbstreflexiven Betrachtung unserer Kinopraxis gab es über die Jahre hinweg genug: den Potsdamer Platz selbst, der als Standort von Anfang an eine Herausforderung war; die qua Digitalisierung bewirkte Allgegenwart von bewegten Bildern außerhalb des Kinosaals; die Pandemie, die ein verändertes Freizeitverhalten und eine Explosion des privaten Streamings zur Folge hatte; die notorisch knappen Ressourcen und schließlich die Bewahrung offener kultureller Räume und das Aufrechterhalten des Dialogs angesichts von multiplen politischen Krisen.
Vom 1. bis zum 15. Dezember verabschiedet sich also das Kino vom bisherigen Publikum und vom Potsdamer Platz mit einem Programm, das aus allen Nähten platzt: 40 Veranstaltungen in zwei Wochen!
Statt einer linearen rekapitulierenden Geschichtsschreibung wird ein Kaleidoskop von Aspekten angeboten, die sich auf die Kraft und die Möglichkeiten des Kinos beziehen – von A wie Abschied bis Z wie Zukunft – und einen kleinen Ausschnitt dessen zeigen, was Kino kann: Abschied, Assoziation–Alienation–Transformation, Autobiografie, Camp, Champagner, Dialog, Dostojewski, Feminismus, Gegenwart, Genre, Geschichte, Glanzrollen, Gossip, Kairo, Kinohopping, Lachen, Lebendiges Archiv, Literatur, Märchen, Magie, Musical, Natur, Opulenz, Performance, Performing Documentary, Premiere, Pop & Politik, Potsdamer Platz, Projektion, 70 mm, Sony Center, Rising Stars, Falling Stars, Stillleben, Überholen, Uni, Verleih, Virtuosität, Weltreise, Winterfest, Zwischenräume, Zukunft. Das kann Kino – und noch viel mehr.
Hier gibt es die Programmübersicht zum Abschied am Potsdamer Platz vom 1. bis zum 15. Dezember zum Download.
Abschiedsprogramm Tag 12 / Donnerstag, 12. Dezember 2024
Do 12.12., 18:30h, Kino 1
Kino kann Performance
EL MERAYA Melissa Dullius, Gustavo Jahn Ägypten/Brasilien/D 2018 16-mm-Filmperformance mit Live-Sound OmeU 19'
PRINT ANALYSIS Ojoboca (Anja Dornieden und Juan David Gonzales Monroy) D 2024 16 mm-Filmperformance und Lesung (Text: Anja Lückenkemper, Luisa Greenfield und Pablo Lerner) 25'
CAMERA THREAT Bernd Lützeler D 2017 Live-35mm & DCP-Doppelprojektion OmeU 30'
Ein Expanded-Cinema-Abend: Berliner Filmemacher*innen und Künstler*innen – alle Mitglieder des selbstorganisierten Filmlabors LaborBerlin und Berlinale-Forum-Expanded-Weggefährt*innen – zeigen Filmarbeiten, die das klassische Kinodispositiv auf die eine oder andere Weise sprengen. Melissa Dullius, die gemeinsam mit Gustavo Jahn als Duo Distruktur aktiv ist, präsentiert den Kurzfilm EL MERAYA in einer Performance-Version mit 16-mm-Filmprojektion und live eingespieltem Text und Sound. Ojoboca, bestehend aus Anja Dornieden und Juan David González Monroy, zeigen mit PRINT ANALYSIS eine neue 16-mm-Filmperformance und Lesung, basierend auf ihrer gleichnamigen 4-Kanal-16-mm-Filminstallation. Bernd Lützeler schließlich bringt seinen Film CAMERA THREAT, der seine Weltpremiere im Forum Expanded feierte, zur Wiederaufführung. Der Multi-Genre-Film besteht aus von Lützeler inszenierten Spielszenen und auf Flohmärkten Mumbais gesammelten Found-Footage-Sequenzen, die vom Filmemacher aus einer digitalen und einer analogen Projektion live auf der Leinwand zusammengesetzt und synchronisiert werden. (Uli Ziemons)
Do 12.12., 21h, Kino 1
Kino kann Pop & Politik, Einführung Bert Rebhandl, vorgestellt von Birgit Kohler
SYMPATHY FOR THE DEVIL (ONE PLUS ONE) Jean-Luc Godard UK 1968 35 mm engl. OF 102'
Der Mai 68 mit seiner engen Verbindung von Kino und Revolte, Film und Politik war stets ein wichtiger Referenzpunkt für das Arsenal. Im Jahr 2008 gab es einen groß angelegten und in einer ausführlichen Broschüre dokumentierten Versuch, sich im Rahmen eines Programms von 98 Filmen über drei Monate hinweg mit den Manifesten, Kollektiven, Vorboten und Nachwirkungen des Mai 68 zu beschäftigen. Der damalige Eröffnungsfilm, Jean-Luc Godards SYMPATHY FOR THE DEVIL (ONE PLUS ONE) bringt Pop und Politik zusammen, indem er die Studio-Sessions der Rolling Stones zu „Sympathy for the Devil“ mit Mick Jagger als hochkonzentriertem Musiker kombiniert mit Schauspielern, die Texte der Black Panther vortragen, bezeichnenderweise auf einem Schrottplatz. Weitere Stränge sind ein Interview mit „Eve Democracy“ (Anne Wiazemsky), die nur zwei Antworten kennt, ja und nein, sowie ein Jung-Nazi, der im lila Jeansanzug Passagen aus „Mein Kampf“ deklamiert. Klaus Theweleit: „Es gibt kaum eine bessere Dokumentation des politischen Moments – des Geisteszustands – der mit ‚1968‘ bezeichnet wird.“ (Birgit Kohler)
Foto:
SYMPATHY FOR THE DEVIL (ONE PLUS ONE) Jean-Luc Godard UK 1968
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