moses Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 5. Dezember 2024, Teil 8

Redaktion

Berlin (Weltexpresso) - Herr Wech, Sie haben bereits Michael Schumacher und Boris Becker portraitiert. Was war das Interessante an Edwin Moses, das ihn für einen Dokumentarfilm prädestinierte?

Edwin Moses hat eine in der Leichtathletik einzigartige Siegesserie hingelegt. In den 70-/80erJahren hat ihn knapp zehn Jahre lang niemand geschlagen. Er hat also seinen Sport fast ein ganzes Jahrzehnt über dominiert. Und er hat 122 Rennen hintereinander gewonnen. Jedes einzige. Es gibt immer wieder Ausnahmeathleten. Manchen springen hoch, andere können sich so gut fokussieren, dass sie bei Wettbewerben ihre Leistung immer punktgenau abrufen und deshalb Goldmedaillen gewinnen können. Edwin Moses aber zeichnet sich durch etwas anderes aus: Er hat Höchstleistungen vollbracht in einer nie da gewesenen Kontinuität. Mich hat es gereizt herauszufinden, wie ihm das gelungen ist. Und deshalb habe ich mich auf die Suche gemacht – nach Ankerpunkten in seinem Leben, die ihm das ermöglicht haben. Es geht um Stabilität, Durchhaltevermögen, Hartnäckigkeit, Krisenfestigkeit, im Grunde genommen um das, was wir heute mit dem Wort Resilienz beschreiben. Und deshalb glaube ich, dass sich in der Beschäftigung mit dem Leben von Edwin Moses Erkenntnisse finden lassen, die auch in der heutigen Zeit Bestand haben können. Mit anderen Worten: Es geht nicht darum, einem weiteren großen Sportler ein Denkmal zu errichten, sondern herauszufinden, was uns dieses Sportlerleben über die Herausforderungen von heute erzählen kann.


Welche Erkenntnisse sind dabei herausgekommen?

Jeder muss natürlich für sich selbst herausfinden, was er in der Figur Edwin Moses für sich sieht. Mir hat sich im Laufe der Beschäftigung eine Persönlichkeit offenbart, die es so heute kaum noch gibt. Ich würde es fast mit einer Art Ritterlichkeit beschreiben, die ihm innewohnt. Er besitzt einen sehr ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und Solidaritätsgefühl, kann Situationen glasklar und auf eine sehr stimmige Art und Weise einschätzen, er ist gütig, gerecht, großzügig, hart gegen sich selbst, und er hat ein absolut gerades Rückgrat – ich glaube, er würde sich niemals auch nur einen Zentimeter verbiegen, wird immer zu seinen Werten stehen. Und das kann man nur, wenn man diese Werte so verinnerlicht hat wie er. Vor diesem Hintergrund war es auch unglaublich spannend, sich mit seiner Kindheit, Jugend und Erziehung zu beschäftigen, die offenbar sehr liebevoll, aber auch sehr streng und geradlinig war. Eine ganz besondere Mischung, die das Fundament geschaffen hat, auf dem diese Person Edwin Moses gewachsen ist. Es gibt ja das Bildnis des Scheinriesen – bei Edwin Moses würde ich sagen, ist es umgekehrt: Er ist größer, als er scheint. Weil er so in sich ruht und kein Schauspieler ist. Was er erreicht hat, ist einzigartig und hat viel mit seinen charakterlichen Eigenschaften zu tun, mit Hartnäckigkeit, Ausdauer und Zielstrebigkeit. Er erzählte mir einmal, sein Vater habe ihm eingebläut: „Bring die Sache zu Ende.“ Das hat er gemacht.


Und darüber hinaus noch so viel mehr, wie Sie im Film ebenfalls erzählen.

Faszinierend sind ja nicht allein die reinen Zahlen hinter seinen Siegen, sondern vor allem, wie er diese errungen hat.  Er ist studierter Physiker, hochintelligent, und er hat wissenschaftliche Methoden angewendet, um seine Diszlin mit höchstmöglicher Effizienz auszuführen. Daraus hat er geschöpft und damit hat er seinen Sport revolutioniert. Indem er berechnet hat, dass er auf seiner Laufbahn in den Kurven möglichst weit innen laufen muss, um so den Radius der Laufstrecke zu verringern. Das war nur möglich, wenn man die Hürden mit dem linken Bein zuerst überwindet – wofür er wiederum einen idealen Rhythmus von 13 Schritten zwischen den einzelnen Hürden berechnet hat. 13 Schritte – das hat vor ihm noch niemand gemacht, auch weil es physisch unglaublich anstrengend ist. Aber er hat es geschafft, und es hat ihm seine Siege beschert. Man kann gar nicht hoch genug einschätzen, dass er es anders gemacht hat als andere – das war nicht nur Kraft, Ausdauer, harte Arbeit, Schweiß und Tränen, sondern es war auch eine gehörige Portion Cleverness und intellektuelle Analyse. Dass ist es, was meiner Meinung nach aus diesem Spitzensportler eine Ausnahmefigur macht.


Ausdauer hat er auch abseits der Rennstrecke unter Beweis gestellt.

Edwin Moses hat einen großen Anteil an der Professionalisierung des Sports und am Kampf gegen das Doping. Alle, die heute in der Leichtathletik und generell im Sport gut verdienen, stehen damit quasi auf seinen Schultern. Denn er hat sich nicht nur für angemessene Honorare eingesetzt, sondern vor allem erfolgreich dafür gekämpft, dass auch Athleten zu den Olympischen Spielen zugelassen werden, die mit ihrem Sport Geld verdienen – und das zu Recht, denn sie haben ihr ganzes Leben dem Sport gewidmet, es war ihr Beruf. Aber erst mit Edwin Moses wurde der olympische „Amateur-Paragraph“ langsam aber sicher hinterfragt und schließlich für nichtig erklärt. Dieses Verdienst muss man unbedingt würdigen, denn es war ein harter und zäher Kampf gegen Bürokratie und das bis dahin geltende Establishment. Diesen hat er natürlich nicht allein gekämpft, aber jede Bewegung braucht eine Speerspitze, und die war Edwin Moses. Ähnlich wie im Kampf gegen das Doping. Dass Menschen sich mit Hilfe verbotener Substanzen einen Vorteil verschaffen wollen, geht zu 100 Prozent gegen das Gerechtigkeitsempfinden eines Edwin Moses – das war sicherlich die Hauptmotivation dafür, dass er auch diesen langen Kampf bis zum Ende durchgezogen hat. Zwanzig Jahre lang in Sitzungen, in Chemielabors, mit Experten die Untiefen von Urinproben diskutieren, sich mit Bürokraten herumschlagen, gegen alle Widerstände und Einflussnahmen, bis es so etwas gab wie eine US- oder Welt-Anti-Doping-Agentur. Wobei letztere auch heute noch nicht frei von Einflussnahme funktioniert. Der Höhepunkt war sicherlich die Verurteilung von Lance Armstrong durch die US-Anti-Doping-Agentur unter seiner Federführung. Eine solche Ikone vom Sockel zu stoßen – ich glaube, wir alle können uns nicht vorstellen, auf welche Widerstände man dabei stößt. All das über Edwin Moses zu wissen, ist wichtig, um die wirkliche Leistung dieses Mannes zu verstehen. Es brauchte jemanden genau wie ihn, um diese Dinge zu vollbringen. Durch seine Mischung aus Souveränität, Ausdauer und absoluter Integrität war er wie geschaffen dafür.


Angesichts dieser energiezehrenden Leistungen stellt man sich automatisch die Frage, wie es um das private Leben von Edwin Moses bestellt war, ob da vielleicht etwas auf der Strecke geblieben ist.

Edwin Moses war verheiratet und sagt über diese Zeit „Mir gefiel es, verheiratet zu sein, als ich verheiratet war.“ Heute lebt er allein in seinem Haus in Atlanta. Man könnte also sagen, die Beharrlichkeit, mit der er seine sportliche Karriere verfolgt hat, hat in seinem Privatleben nicht die gleiche Kontinuität gebracht. Aber Edwin Moses hat einen Sohn, Julian, der heute in Berlin lebt und zu dem er eine sehr gute Beziehung pflegt. Wir haben ihn über einen sehr langen Zeitraum immer wieder getroffen – ich glaube, er ist ein glücklicher Mensch. Wer wissen will, was Frauen, die ihm sehr nahestehen, über ihn denken, muss den Film ganz bis zu Ende schauen.


Interessant ist auch, was Sie zu seiner Herkunft erzählen.

Gedreht haben wir u.a. in seiner Geburtsstadt Dayton, Ohio. Die Gebrüder Wright haben dort das Fliegen erfunden. Und es ist eine unerwartet große und beeindruckende Stadt, die einen der wichtigsten U.S.-Luftwaffenstützpunkte beherbergt. Edwin Moses‘ Eltern waren beide Lehrer, sein Vater war der erste Schwarze Schuldirektor in Dayton. Wahrscheinlich ist es eine Binsenwahrheit, dass man zu den Wurzeln gehen muss, um einen Menschen wirklich zu verstehen. Bei Edwin Moses ist es unerlässlich, finde ich. Er stammt aus der Mittelschicht, entsprechend ist seine Geschichte keine Aufsteigergeschichte über jemanden, der sich von ganz unten nach ganz oben hochkämpfen musste. Er hat aber eine Schwarze Identität, und er hat sich auf seine ganz eigene Art und Weise mit diesem Thema auseinandergesetzt. Ich denke, wichtig in seinem Leben ist, dass er diese Identität erkannt hat und dafür einsteht, dies aber anders tut, als man es vielleicht von anderen Schwarzen Ikonen in den USA kennt. Er ist nicht der Typ, der wie ein Tommie Smith die Faust in den Himmel streckt. Ich würde ihn eher als eine Art „Gentleman“ beschreiben, der nicht GEGEN etwas kämpft, sondern immer FÜR etwas. Und der versucht, in der Art und Weise, wie er lebt, ein Vorbild auch für andere zu sein.

Wobei ich gestehen muss, dass ich mich immer etwas unbehaglich dabei fühlte, mich mit diesem Teil seiner Biografie intensiv zu beschäftigen. Darf ich als Weißer Filmemacher überhaupt Fragen zur Schwarzen Identität stellen? Ist das statthaft? Edwin Moses hat mich immer bestärkt, das zu tun. Und alle People of Colour aus den USA, die ich für diesen Film interviewt habe, sahen es genauso. Und schließlich hat auch Executive Producer Morgan Freeman seinen Segen gegeben und macht sich für 13 STEPS stark. Im September läuft der Film auch auf dem International Black Film Festival in Montreal. 


Besonders sein Bruder und sein Sohn äußern sich im Film zu diesen Fragen.

Mit seinem Bruder haben wir sehr lange gesprochen. Und ich muss sagen, dass ich selten jemanden erlebt habe, der es schafft, Intellekt und Empathie so wunderbar zu verbinden wie er. Irving Moses hat beides, eine sehr seltene Gabe. Seine Schilderungen über die Rassenunruhen der 60er Jahre und wie die Familie Moses diese erlebt und gesehen haben, gehen unter die Haut. Und Edwin Moses schildert, wie schwer es dann für ihn als Schüler und „smart kid“ war, seine Rolle 8 innerhalb der Schwarzen Community in Dayton zu finden, die ihm vorwarf, er wolle ein „Weißer Schwarzer“ werden. Auch sein Sohn Julian, der heute in Berlin lebt, schildert eindringlich, wie unglaublich er es fand, als er entdeckte, dass in der Geburtsurkunde seines Vaters aus dem Jahr 1955 unter Herkunft „Negro“ stand. Und wie normal es dagegen für ihn war, in seiner Schulklasse in Berlin mit Kindern aus allen Ländern dieser Welt gemeinsam aufzuwachsen.


Sie sprachen Morgan Freemans Beteiligung als Executive Producer an. Ebenso überraschend ist, dass – neben den prominenten Sportlern, die zu Wort kommen – auch Spike Lee und Samuel L. Jackson im Film mitwirken. Wie kam dies zustande?

Wie Edwin Moses sind auch Spike Lee und Samuel L. Jackson Absolventen des Morehouse College in Atlanta. In den USA war Schwarzen sehr lange Bildung an Einrichtungen verwehrt, die für Weiße bestimmt waren. So entstanden eigenständige private und öffentliche Hochschulen ausschließlich für Schwarze, die sog. HBCUs (Historically Black Colleges and Universities). Der Gedanke dahinter war, dass junge Schwarze an diesen Einrichtungen in einem ,safe space‘ ohne Anfeindungen studieren können. Morehouse ist ein solches, sehr renommiertes College für junge Schwarze Männer, Martin Luther King z.B. hat hier ebenfalls studiert. Eine große Rolle spielt an diesen Colleges der Corpsgeist – auch wenn sie nicht im gleichen Jahrgang waren und eng miteinander befreundet sind, verbindet Edwin Moses, Spike Lee und Samuel L. Jackson der gemeinsame Morehouse-Hintergrund. Sie sind „Morehouse Brothers“, wie Spike Lee immer so schön sagt, und als solche standen die beiden sehr gern zur Verfügung.


Vielleicht noch ein Wort zur Material-Recherche – wie aufwändig war diese?

Die Materialsuche ist immer aufwändig! Aber zum Glück gibt es bei BROADVIEW ein eingespieltes und hoch motiviertes Team. Der Motor dahinter ist Produzent Leopold Hoesch, der die ursprüngliche Idee zu diesem Projekt hatte und unbeirrbar und gegen alle Widerstände durchgefochten hat. Ich muss sagen, er hat die einmalige Gabe, einem Wind unter die Flügel zu geben und damit Projekte zum Fliegen zu bringen. Und er hat dafür gesorgt, dass wir für die Suche nach Material, das schwer zu finden ist, auch diesmal wieder mit Archiv-Producer Thorben Bockelmann zusammenarbeiten konnten. Thorben leistet wirklich archäologische Arbeit! So hat er es z.B. geschafft, Rohmaterial zu finden, das im Juni 1987 bei einem Rennen in Madrid entstanden ist. Wie man in dem Film sieht, handelt es sich dabei um ein relativ kleines Sportfest im Estadio Vallehermoso. Als diese Bilder entstanden, konnte niemand wissen, dass dies das Rennen sein würde, bei dem Moses‘ unglaubliche Serie von 122 Siegen endete. Für uns waren diese Einstellungen von unschätzbarem Wert. Sie zeigen Edwin Moses am Tag seiner ersten Niederlage seit knapp zehn Jahren – und gleichzeitig erzählen sie die Geschichte seines großartigen Triumphes. 

Foto:
©Verleih

Info:
Regie Michael Wech
mit Edwin Moses, Samuel L. Jackson, Spike Lee, Julian Moses, Karsten Warholm, Tommie Smith, Michael Johnson u.a.  

Abdruck aus dem Presseheft