
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Schade, man hätte den internationalen Filmtitel auch bei uns verwenden sollen: 80 Plus! Denn darum geht es, was mit Menschen – hier zwei Frauen – alles passieren kann, wenn sie alt geworden Lebensentscheidungen treffen: die eine, zu sterben, die andere, endlich richtig zu leben. Die eine ist Helene, ein ehemaliger Bühnenstar, der Christine Ostermayer die elegante Erscheinung und das gewisse Etwas gibt. Die andere ist Toni, durch Margarethe Tiesel in einer Art und Weise dargestellt, wozu meine Wiener Mama „eine Gescherte“ gesagt hätte: also sprachlich primitiv im extremen Dialekt, ungebildet und im Verhalten ordinär dazu.
Diese beiden begegnen sich in einer luxuriösen Reha-Klinik in der Nähe Wiens, wobei begegnen schon das falsche Wort ist. Denn Toni lauert der bekannten Schauspielerin geradezu auf, versucht, mit ihr ins Gespräch zu kommen, eben eine impertinente Person, denkt sich Helene, die ganz andere Sorgen hat und gerade von ihrem Neffen eine Abfuhr erhalten hatte: dieser erzkatholische Politiker verweigert ihr den letzten Liebesdienst: sie nach Zürich zum Sterben zu begleiten. Das darf man nicht! Dort hat sie alles schon organisiert und will, daß er sie in ihrem Jaguar hinbringt.
Toni dagegen ist lebenssüchtig. Sie hatte sich nach einem Sturz gerade ein wenig mehr als krank gestellt und eine einwöchige Kur in diesem Luxus herausgeschlagen, was sie ausgiebig mit Bädern und Massagen nutzt. Und gerade, als der Neffe Josef (Manuel Rubey) mit Anhang aus Helenes Appartement rauscht, kommt Toni und will ein Autogramm von Helene. Das ist mehr als ein Mensch ertragen kann und es brechen alle Abwehr- und Schutzdämme von Helene. Nachdem sie sich erst aufregt, erzählt sie, daß sie unheilbaren Krebs hat, weshalb sie zu ihrem terminlich festgelegten Todestag nach Zürich will und was eben mit ihrem Neffen los war, als sie ihn bat, mit ihrem Jaguar ihr Fahrer zu sein. Dabei kann sie selbst nicht fahren.
Kein Problem, meint Toni, sie kann fahren. Und so zuckeln beide los, denn die Fahrkünste von Toni müssen sich erst entwickeln. Uns so beginnt ein beglückender Roadmovie zwischen Tragödie und Komödie, wobei auf der Leinwand die Komödie stattfindet und nur im Hintergrund die eigentliche Tragödie, nämlich selbstbestimmt sterben zu wollen und zu dürfen, lauert.
Wenn nach der Autofahrt, die Inhalt des Films ist, die beiden in Zürich von der Polizei verfolgt und gestellt werden, und zur Verblüffung der Schweizer Polizei die beiden alten Damen aussteigen, hat eine intelligente Regie dies zum Auftakt, also an den Filmanfang gestellt. Denn gleich wird geklärt, warum die beiden hier sind und es eilig haben, denn unterwegs ist allzu viel passiert, so daß der Termin längst geplatzt ist.
Und dann wird im Film von vorne erzählt, wie auch wir begonnen hatten. Doch tatsächlich ist die Komik mit im Gepäck, denn diese beiden extrem unterschiedlichen Frauen haben erst einmal damit zu tun, sich aus ihren gelebten Rollen herauszuschälen, was für Helene bedeutet, ihr distanziertes Getue zu lassen und sich auf Toni einzulassen. Toni dagegen entlarvt sich als eine im Leben zu kurz Gekommene, durchaus reflektierende patente Frau, die immer für andere da war und mehr gab, als bekam. Das wird nicht mit dem Holzhammer aufgetragen, sondern ist Ergebnis der Gespräche und Erlebnisse beider.
Daß die Tour nicht direkt auf der Autobahn gen Zürich weitergehen kann, verdankt der Film dem Einschreiten des engherzigen Neffen Josef. Der räsoniert, was der inszenierte Tod seiner bekannten Tante für ihn, den bekannteren Neffen an öffentlichem Aufruhr bedeuten wird, wo doch seine Partei als überaus christlich solchem selbstbestimmten Sterben den Kampf angesagt hat. Also fährt er mit seinem Auto los, um die Tante zu stellen und – so schnell kann das mit Beziehungen gehen – in eine Anstalt einweisen zu lassen.
Aus dieser Verfolgung erfährt die Handlung zusätzliches Tempo und wie es so salopp heißt: der Weg wird das Ziel. Absolut empfehlenswert, gekonnte Darstellung, witzige Passagen, ohne das Eigentliche: das Sterben und hier das selbstbestimmte Sterben zu desavouieren. Und das ist eine Kunst.
Foto:
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Info:
Besetzung
Helene. Christine Ostermayer
Toni. Margarethe Tiesel
Thea. Julia Koschitz
Josef. Manuel Rubey
Ferdinand. Thomas Mraz
Heimleiterin Petra Morzé
Stab
Regie und Drehbuch. Sabine Hiebler und Gerhard Ertl
Dramaturgie. Karoline Bochdansky