Redaktion
Paris (Weltexpresso) – Wie hat sich Ihre Zusammenarbeit mit Mohammad Rasoulof entwickelt?
Rozita Hendijanian: Vor ungefähr dreißig Jahren haben wir erstmals zusammen im Theater gearbeitet. Ich war die Bühnenassistentin von Mohammad. Auch wenn es immer wieder Pausen gab, besteht die Zusammenarbeit seitdem. Bei all den Arbeiten, die Mohammad gemacht hat, war ich in irgendeiner Weise beteiligt und präsent. Manchmal offiziell und manchmal inoffiziell.
Mani Tilgner: Das erste Mal hatte ich 2011 im Rahmen meiner Tätigkeit beim Filmfest Hamburg mit Mohammad zu tun. Damals wurde dort sein Film GOODBYE gezeigt. Als er dann kurze Zeit später nach Hamburg zog, unterstützte ich ihn hier auf verschiedenen Ebenen. Bereits 2012 gab es Überlegungen und Planungen zu neuen Projekten, und Ende des Jahres arbeiteten wir zusammen an dem Film MANUSCRIPTS DON’T BURN. Dieser Film wurde zum Teil in Hamburg gedreht und wurde 2013 in Cannes gezeigt.
Was zeichnet Mohammad Rasoulof aus?
Mani Tilgner: Als Beobachter der gesellschaftlichen Verhältnisse schätze ich seinen scharfen, fast soziologischen Blick und als Drehbuchautor die Fähigkeiten, seine Perspektiven, Analysen, aber auch eigenen Erfahrungen gekonnt in komplexe, ergreifende Geschichten zu verpacken. Dabei geht es immer um individuelle, teils tragische Geschichten, aber nie losgelöst von gesellschaftlichen Machtverhältnissen. Als Regisseur zeichnet ihn die Fähigkeit aus, diese Geschichten, trotz aller widrigen Umstände, gekonnt zu erzählen, und die Bereitschaft, sich immer wieder aufs Neue in unbekanntes Terrain zu wagen.
Rozita Hendijanian: Seine wichtigste Eigenschaft ist, dass er immer versucht hat, das Richtige zu tun. Ich kenne ihn so, dass er für das, was er tun möchte, sehr viel Einsatz zeigt. Sein Einsatz, sein Fleiß und sein Fokus auf sein Ziel sind seine wichtigsten Eigenschaften. Er hat nie darauf gewartet, die Erlaubnis zu bekommen, seine Filme zu machen. Er hat immer versucht, Wege zu finden, um den Film zu machen, den er für notwendig hält.
Was waren die besonderen Herausforderungen bei der Arbeit an DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS?
Rozita Hendijanian: Als ich die Geschichte hörte, dachte ich, dass dieses Projekt sehr ambitioniert sei und in meinen Augen erschien es unwahrscheinlich, dass es abgeschlossen wird. Natürlich war ich neben all dem auch sehr besorgt um ihn. Ich wusste, dass er noch eine Gefängnisstrafe offen hatte, und wenn sie ihn festnehmen und die Strafe vollstrecken, könnte er jahrelang weggesperrt werden.
Mani Tilgner: Dass dieser Film fertiggestellt werden konnte und das in dieser Qualität, ist wirklich unglaublich. Jede Wahrscheinlichkeit sprach dagegen, dass die Crew es schaffen würde, unter dem Radar der Sicherheitsbehörden im Iran knapp drei Monate lang an unterschiedlichen, teils öffentlichen Orten zu drehen. Der kleinste Verdacht hätte sofort zum Ende des Projekts führen können. Ganz zu schweigen von der enormen psychischen Belastung, die das Ganze für alle Beteiligten mit sich brachte.
Wie kann man als Produzent:innen aus Deutschland heraus tätig werden, wenn in Iran gedreht wird?
Mani Tilgner: Wir waren natürlich von der ersten Sekunde an beim Projekt und bei der Entwicklung des Projekts dabei. Danach ging es darum, in möglich kurzer Zeit die Finanzierung zu sichern. Bereits nach der zweiten Woche der Dreharbeiten lag uns hier das erste Material vor, von da an ging es in Hamburg bereits mit dem Schnitt los, natürlich in enger Kommunikation mit Mohammad, soweit es die Sicherheitslage zuließ. Zum Ende der Dreharbeiten begannen wir dann in Hamburg die Postproduktion. Mit unseren Partnern von Optical Art und Loft Tonstudios arbeiteten wir an dem Bild und dem Ton. Glücklicherweise schaffte es Mohammad in den letzten Zügen dieses Prozesses selbst nach Hamburg, um das Projekt rechtzeitig für die Premiere in Cannes abzuschließen.
Rozita Hendijanian: Nachdem die Dreharbeiten begonnen hatten, warteten wir jeden Moment darauf, dass etwas passiert. Wir haben oft gesehen, dass die Dreharbeiten unterbrochen werden mussten, weil besorgniserregende Probleme auftraten. Aber zum Glück konnte er die Dreharbeiten beenden. Ein paar Tage nach Abschluss der Dreharbeiten wurde sein Haftbefehl erlassen und er musste den Iran verlassen. Wir konnten nicht vorhersehen, was passieren würde, als er die Grenze überschritt. Aber wir wussten, dass wir die Arbeit abschließen mussten, egal was passiert. Denn das war Mohammads Wunsch.
Wann wurde Ihnen bewusst, dass Mohammad Rasoulof nicht länger in seinem Heimatland würde bleiben können? Wie konnten Sie ihm bei seiner Flucht helfen?
Rozita Hendijanian: Als ihm die endgültige Verurteilung mitgeteilt wurde, rief er mich an und sagte, dass er in einer Stunde losfahren würde. Mohammad hatte gesagt, dass er den Iran verlassen würde, wenn das Gericht das Urteil verkündet, als ob er darauf gewartet hätte, an den Rand des Abgrunds zu kommen. Es war sehr kompliziert, weil es keine Kommunikationsmittel geben sollte. Mohammad kontaktierte uns, wo immer er ein elektronisches Gerät finden konnte. Wir hielten ihn über die Ergebnisse der Postproduktion auf dem Laufenden. Als er einen sicheren Ort erreichte, konnte er die Verbindung zu Andrew,
dem Editor des Films, herstellen. Mit Hilfe verschiedener Personen konnten wir Mohammad in Sicherheit bringen, schließlich konnte er nach Deutschland kommen.
b Es ist wichtig anzumerken, dass Mohammad immer betont hat, dass es sein selbstverständliches Recht ist, im Iran zu leben und zu arbeiten. Selbst als ihm 2017 eine einjährige Gefängnisstrafe drohte, entschied er sich, in den Iran zurückzureisen. Er war eher bereit, ins Gefängnis zu gehen, als den Iran dauerhaft zu verlassen. Vom Sommer 2022 bis zum Frühjahr 2023 war er dann auch tatsächlich im Evin-Gefängnis in Teheran inhaftiert. Doch bereits kurz nach seiner Freilassung wurde ein neues Verfahren eröffnet und diesmal drohten acht Jahre Haft.
Wie haben Sie die Weltpremiere in Cannes erlebt?
Mani Tilgner: Es war unglaublich schön, nach der intensiven Zusammenarbeit aus der Ferne, Teile der Cast und Crew endlich persönlich treffen zu können. Mit manchen Personen hatte ich bereits viele Jahre über die Distanz zusammengearbeitet.
Rozita Hendijanian: Es war ein sehr merkwürdiges Gefühl, die Freude und das sehr gute Gefühl, beim Festival in Cannes dabei zu sein, und dann das unglaubliche Gefühl, als für das Produktionsteam lange applaudiert wurde. Andererseits waren wir alle besorgt um die Teammitglieder, die im Iran waren, und traurig, dass sie nicht mit den anderen in Cannes sein konnten.
Wie sieht die aktuelle Situation aus? Gibt es äußeren Druck von den iranischen Behörden?
Rozita Hendijanian: Wir können nie wirklich verstehen, was in ihren Köpfen vor sich geht. Wir betrachten es so, dass wir als unabhängige Filmemacher:innen, denen die Themen im Iran wichtig sind, überlegen müssen, was wir tun sollen – und nicht daran zu denken, was die unterdrückenden Kräfte denken. Unser Fokus und unsere Bemühungen lagen immer darauf, einen freien Raum für das unabhängige Kino zu schaffen.
Mani Tilgner: Im Vorfeld der Premiere wurde auf die Crew und sogar auf deren Familien Druck ausgeübt, das Screening zu verhindern. Mehreren Personen wurde der Pass abgenommen und sie haben aktuell keine Möglichkeit, das Land zu verlassen. Ob noch weitere Sanktionen drohen oder sich die Situation wieder etwas entspannt, ist nach wie unklar und schwer zu prognostizieren.
Foto:
©Verleih
Info:
Deutschland, Frankreich, Iran, 2024
Lauflänge: 167 Min.
Stab
Regie & Drehbuch Mohammad Rasoulof
Kamera Pooyan Aghababae
Darsteller
Iman Misagh Zare
Najmeh Soheila Golestani
Rezvan Mahsa Rostami
Sana Setareh Maleki
Sadaf Niousha Akhshi
Ghaderi Reza Akhlaghi
Fatemeh Shiva Ordooei
Frau im Auto Amineh Arani
Abdruck aus dem Presseheft