Bildschirmfoto 2025 01 21 um 08.36.10Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 16. Januar 2025, Teil 9


Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Eigentlich erstaunlich, daß dies erst die dritte Verfilmung der TRAUMNOVELLE des Wiener Dramatikers, Dichters und Arztes Arthur Schnitzler (1862 -1931) ist, dem Sigmund Freud 1906 schrieb: „Seit vielen Jahren bin ich mir der weitreichenden Übereinstimmung bewußt, die zwischen Ihren und meinen Auffassungen psychologischer und erotischer Probleme besteht […]. Ich habe mich oft verwundert gefragt, woher Sie diese oder jene geheime Kenntnis nehmen konnten, die ich mir durch mühselige Erforschung des Objektes erworben, und endlich kam ich dazu, den Dichter zu beneiden, den ich sonst bewundert.“ Beide waren Nervenärzte und beide schrieben Texte. Freud wissenschaftlich, in einem wunderbaren Deutsch, z.B. die TRAUMDEUTUNG, Schnitzler vor allem Stücke, in späteren Jahren Novellen wie die TRAUMNOVELLE, die 1925 veröffentlicht wurde, wo die Psychoanalyse längst anerkannt war.

 

Eine Verfilmung bietet sich angesichts der erotischen Verwirrspiele genauso an, wie gleichzeitig die Verwischung von Traum, Alptraum, Lusttraum, Tagestraum, Phantasie, Visionen Regisseuren und Drehbuchschreibern einen weiten Spielraum gibt. Ziemlich brav hatte 1969 in Österreich Wolfgang Glück die Hauptfigur, den Arzt und Traumprotagonisten mit dem damals als Kaiser Franz Joseph angehimmelten Karlheinz Böhm besetzt, den in EYES WIDE SHUT, dem letzten vollständigen Film des Regiegenies Stanley Kubrick, Tom Cruise darstellte. Allerdings bietet dort Schnitzlers Novelle nur den Hintergrund, während der deutsche Regisseur und Drehbuchautor Florian Frerichs Schnitzler beim Wort nimmt. Aus Wien, was vorübergehend New York war, ist nun Berlin geworden und sagen wir es gleich, diese Aufnahmen von Berlin sind mit das Aufregendste an diesem Film, der hauptsächlich des Nachts spielt, aber mit der Vogelperspektive, bzw. der Aufsicht auf die weiten Straßenzüge des Tags Furore macht.

Die Geschichte selbst, die Geschichte eines Paares, ist so simpel, wie häufig, wie oberflächlich, wie tiefgründig und endet entweder mit dem Tod, der Scheidung oder dem Weiterleben des Paares, sozusagen auf höherem Niveau, also geläutert durch die stattgefundenen Exzesse auf neuer Ebene. Letzteres ist das Anliegen der TRAUMNOVELLE. Ein gut situiertes Ehepaar, Jacob (Nikolai Kinski) und Amelia (Laurine Price), er ist Arzt, sie kümmert sich stärker um den Sohn Henny (Casimir Teufel von Birkensee), stellt fest, daß erotisch der Saft raus ist. Aber sie lieben sich, stellen beide fest und nehmen sich vor, neue sexuelle Erfahrungen machen zu wollen. Zuerst gemeinsam, indem sie sich beide in einem Club auf jeweils andere einlassen, was zumindest dazu führt, daß sie danach miteinander schlafen und sich anschließend ihre erotischen Phantasien erzählen. Doch ab dann folgt der Film, die Erzählung, allein den erotischen Abenteuern von Jacob. Im Original sind die sieben Stationen vielfältig und leicht unübersichtlich, folgen aber dem gängigen literarischen Prinzip, daß der Held verschiedene Stationen durchläuft und geläutert seinen Weg geht.

Jacob muß noch in der gleichen Nacht zu einem sterbenden Patienten, den er tot antrifft, von dessen liebessehnsüchtiger Tochter er angeschmachtet wird, was der eintreffende Verlobte beendet. Nun beginnt die eigentliche Nachttour, wo sich Jacob unvermutet im Zimmer der jungen Prostituierten Mizzi (Nora Islei) wiederfindet, die ihn verführen möchte, was anfänglich gelingt, aber mit seinem „Ich kann das nicht!“ endet. Er flieht und in einem Nachtlokal trifft er auf den Barpianisten Nachtigall ( Bruno Eyron), der noch hohe Schulden bei ihm hat, die ihm Jacob erlassen will, wenn er ihm das Code-Wort verrät, mit dem er Zugang erhält zu einer Art Orgie, die in einer Villa am Wannsee stattfindet. Nachtigall, der dort Musik macht, verrät „Verdi“, was den Zusammenhang nun klar macht, wenn im Film immer wieder musikalisch, dann auch szenisch Verdis MASKENBALL ertönt. Jacob hört die Aufnahme über seine Kopfhörer, die er immer wieder aufsetzt und in seiner Phantasie, die wir auf der Leinwand sehen, selbst im Maskenball auftritt.

Doch nicht nur der Code ist wichtig, die Voraussetzung zum Einlaß sind auch Maske und Umhang. Jacob erinnert sich an den Kostümverleiher Gigiser (Detlev Buck), der ihm noch einen Gefallen schuldet und obwohl – es ist nachts – geschlossen ist, ihn mit beidem ausstattet. Wer den Kubrickfilm kennt, weiß, daß diese nächtliche Großorgie furchterregend und Höhe- und Endpunkt bedeutet. Abgeschwächt findet das auch hier statt. Und was Jacob dort erwartet, ist auch höllisch. Aber es liegt in der Natur der Sache, daß der Held glimpflich davonkommt, sich also vor dem angekündigten Tod retten kann, heim zu Frau und Kind. Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.

So könnte man meinen, aber die Botschaft ist auch noch eine andere. Da im Film Traum und wirkliche Erlebnisse ineinander übergehen, können alle beschriebenen Ereignisse auch im Traum geschehen. Haben wir überhaupt nur einem Traum, dem Alptraum von Jacob zugeschaut?

Mehr in der Diskussion im Anschluß an die Frankfurter Premiere des Films am 17. Januar im Metropolis.

 

Foto:
Kinski
©Verleih


Info:

109 Minuten
Englisch
Deutsch
Deutschland
Berlin / Potsdam / Beelitz / Heiligendamm
4k DCP 1:2.39 Cinemascope
Dolby Digital 5.1
FSK 16

Stab
Drehbuch / Regie / Schnitt:  Florian Frerichs
Vorlage: Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“

Besetzung 
Nikolai Kinski ist Jacob
Laurine Price ist Amelia
Detlev Buck ist Gibiser
Nora Islei ist Mizzi
Bruno Eyron ist Nachtigall
Sharon Brauner ist Sharon