bbbbbbSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 30. Januar 2025, Teil 2

Redaktion

New York (Weltexpresso) - Einst wurde der niederländischen Filmemacherin Halina Reijn von einer Freundin über eine entfernte Bekannte erzählt, die in den ganzen 25 Jahren ihrer Ehe mit ihrem Mann niemals einen Orgasmus erlebt hatte. Reijn war fasziniert von dieser Geschichte, konnte sich aber sofort vorstellen, dass sie wahr ist. In BABYGIRL hat sich Romy, gespielt von Nicole Kidman, mit genau dieser Situation längst arrangiert. Als erfahrene Geschäftsführerin, Mutter und Ehefrau lebt sie in New York City in einer Welt, in der umfassende Kontrolle, strenge Terminplanung und ein allzu geschärftes Bewusstsein dafür, wie sie in einem von Männern dominierten Feld wahrgenommen wird, an der Tagesordnung sind. In ihrer eigenen langjährigen Ehe verspürt sie nie wirklich Freude an ihrem liebenswerten,
fürsorglichen und künstlerisch veranlagten Ehemann Jacob, gespielt von Antonio Banderas.

BABYGIRL steckt voller verspielter Provokationen und geht an all die zärtlichen, die bösartig-komischen und die unerwartet romantischen Orte, zu denen eine bestimmte Art von Unterdrückung führen kann, und denen man entgegenstreben wird, wenn man Erlösung finden will. Während Romy versucht, ihre mühsam gepflegte Erscheinung aufrecht zu erhalten, wird sie doch schnell durchschaut von Samuel (Harris Dickinson), einem neuen Praktikanten ihrer Firma, der ihr vorkommt wie ein Engel, der gekommen ist, um sie zu retten und sie lustvoll aus ihrem Käfig unterdrückter Begierden zu befreien. Er erkennt
in ihr sofort den Wunsch, endlich die Kontrolle zu verlieren, und er beginnt, unter die von ihr so sorgfältig konstruierte Oberfläche zu dringen.

Das ist der Beginn einer unkonventionellen Liebesaffäre zwischen der weiblichen CEO eines Weltkonzerns und ihrem jungen, frech-unverschämten männlichen Praktikanten. Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel, bei dem sich die Achse der Macht wiederholt und auf aufregende Weise verschiebt; ein prickelnder Film, der auf den ersten Blick an die Blütezeit der an den Kinokassen erfolgreichen Erotikthriller der 90er Jahre erinnert. Wenngleich Halina Reijn in diesen Filmen mit dem Widerspruch konfrontiert wurde, der Frauen in der Gesellschaft auferlegt wird – einerseits ständig sexualisiert zu werden und andererseits dennoch nie Kontrolle darüber zu haben –, entdeckte sie in der Darstellung von Frauen, die in diesen Filmen das bekommen, was sie wollen, auf eine verquere Weise Bestätigung und Trost. „Als ich diese Filme sah, dachte ich mir: ‚Oh, eigentlich sind die Dinge gar nicht so verrückt, die in meinem Kopf vorgehen!‘“, sagt sie. „Diese Filme sind mir nah, liegen mir sehr am Herzen, aber natürlich sind sie fast alle von Männern inszeniert und von Männern geschrieben.“

Das Genre ist in der Tat eine Männerdomäne, von Adrian Lynes 9½ WOCHEN über Paul Verhoevens BASIC INSTINCT bis hin zu Michael Hanekes DIE KLAVIERLEHRERIN. „Ich habe mich am Anfang bewusst entschieden, einen Erotikfilm zu machen, genauso sexuell wie all diese Filme, die ich immer so sehr bewundert habe. Aber ich würde es jetzt komplett aus weiblicher Sicht machen. Was bedeutet das und wie sieht das aus?" In Reijns Händen wandelt sich das bewusste Auf-die-Spitze-Treiben der sexuellen Sitten, wie man es aus dem Genre kennt, zu etwas zutiefst Menschlichem, etwas Bissig-Lustigem, ein
erotischer Thriller für eine Zeit, in der alles erlaubt ist, aber die puritanischen Moralvorstellungen in Amerika noch tief verwurzelt sind. Und schließlich liegt im Kern der verbotenen Frucht ein verführerischer, zärtlicher Akt der Selbstakzeptanz für die Protagonistin.

„Ich stelle Fragen nach Selbstliebe. Hauptsächlich, wie kann ich alle Teile von mir selbst lieben?“, sagt Reijn. Diese Überlegungen wurden von Paul Verhoeven inspiriert, der Reijn, die als Schauspielerin gearbeitet hat, bevor sie eine gefeierte Filmemacherin wurde, in einer wichtigen Nebenrolle in seinem Film BLACK BOOK inszeniert hatte. „Paul Verhoeven hat mir immer Über die Produktion  gesagt, dass ich nur dann einen Film machen könnte, wenn ich eine bestimmte Frage hätte. Für diese Geschichte habe ich mich gefragt: Sind wir Tiere oder sind wir zivilisiert? Können wir mit dem Tier in uns Frieden schließen? Ist es möglich, dass unsere verschiedenen Teile koexistieren und wir im Gegenzug unser ganzes Selbst ohne Scham lieben können?“

Diese Ideen und Reijns Herangehensweise, die gewagte, prickelnde Form eines Sex-Thrillers zu nehmen und sie durch einen deutlich zeitgenössischen weiblichen Blickwinkel zu filtern, waren eine völlig neue Erfahrung für Kidman, die sich an ihre Zeit beim Dreh des Films als eine Art Fiebertraum erinnert. „Ich habe schon viele sexuell aufgeladene Filme gemacht, aber dieser ist anders“, sagt Nicole Kidman. „Dieses Thema in die Hände einer Frau zu legen, die das Drehbuch geschrieben hat, Regie führt und selbst eine wirklich großartige Schauspielerin ist, ließ mich auf seltsame Weise eins werden mit ihr, was ich noch nie mit einem Regisseur erlebt habe. Wenn man mit einer Frau an diesem Thema arbeitet, kann man alles miteinander teilen.“

In Kidmans Tour-de-Force-Darstellung sehen wir ein komplexes und ungewöhnlich nahbares Porträt einer Frau, die mit ihren eigenen Begierden im Konflikt steht, die Darstellung einer bestimmten Art von mächtiger, verklemmter New Yorkerin aus der Oberschicht, die an ihre Figuren in EYES WIDE SHUT und BIRTH erinnert. Romy kämpft darum, die unvereinbaren Gegensätze ihrer Begierde und ihrer zivilisierten Fassade zu balancieren – der versierten Führungskraft und Matriarchin sowie der Frau hinter der Fassade, die nachgeben, loslassen und sich befreien will. Mit anderen Worten: Reijns Film setzt sich nicht nur ernsthaft mit unseren Vorstellungen von Sexualität, Geschlecht und Begehren auseinander – und verkompliziert sie auf reizvolle Weise –, sondern auch mit dem zeitgenössischen Diskurs über genau diese Dinge. Während Romy und Samuel nach und nach sexuelle Fantasien ausloten, die Regeln und Grenzen ihrer Liebelei auslegen und dann lustvoll brechen, konfrontiert der Film den großen delikaten Schatten unserer Kultur – Macht und Sex –, nur um alles genüsslich auf den Kopf zu stellen und wieder auf eine neue Seite zu drehen. „Die ganze Beziehung zwischen den beiden läuft nach dem Motto: Wer ist die Katze? Wer ist die Maus? Wer benutzt wen?

Und das könnte man auch bei Romy und Jacob fragen: Wer benutzt hier wen?“, sagt Reijn und bezieht sich dabei auf Romys Ehemann, einen gefeierten Theaterregisseur. „Könnte er mit seinem Gehalt beim Theater in so einem Haus leben? Ich glaube nicht. Sie benutzen sich alle gegenseitig, weil sie alle Menschen sind.“ Der Film wird zu dem, was Reijn als Spielwiese bezeichnet, eine unterhaltsame, sexy und oft sich gefährlich anfühlende Erfahrung, bei der der Zuschauer die Komplexität des Begehrens in einer sicheren Umgebung betrachten kann. „Es ist kein Dokumentarfilm“, sagt Reijn. „Es ist alles gestellt. Wir alle kaufen eine Eintrittskarte, wir alle werden dies gemeinsam erleben. Wir können danach darüber reden. Ich war mir sehr sicher, dass es notwendig war, besonders nachdem ich nach Amerika zog, wo die Sexualmoral unverändert sehr verklemmt zu sein scheint. Ich wollte das erforschen, aber auf eine sehr menschliche, herzliche Art und Weise.“

Das wird vielleicht am deutlichsten in der Darstellung der stürmischen Affäre von Romy und Samuel, in der die verbotene Frucht sehr wohl die Quelle ihrer gegenseitigen Anziehung sein könnte. „Dieser Film ist unbedingt eine Liebesgeschichte und für mich voller Leidenschaft und Romantik“, sagt Reijn über die Beziehung zwischen Romy und Samuel. „Ich möchte, dass sich das gesamte Publikum in sie verliebt, und ich möchte, dass sich das gesamte Publikum in ihn verliebt und sich von ihrer Liebe verführen lässt. Dass man sich wünscht, dass sie zusammen sind, obwohl man weiß, dass es nicht richtig ist,sich das zu wünschen.“

Foto.
©Verleih

 
Stab 
Halina Reijn.     Regie & Drehbuch
 
Besetzung  
Romy.     Nicole Kidman
Samuel.    Harris Dickinson
Esme.      Sophie Wilde
Jacob.      Antonio Banderas
Isabel.   Esther McGregor
Nora.      Vaughan Reilly
Mr. Missel.  Victor Slezak
Hazel.       Leslie Silva

Abdruck aus dem Presseheft