Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 30. Januar 2025, Teil 3
Redaktion
New York (Weltexpresso) - Halina Reijn merkt an, dass es keinen Film gäbe, wenn Romy ihrem Mann einfach sagen würde, was sie wirklich will – wie sie es in einer frühen Szene beinahe tut. Aber, so bemerkt Kidman, „sie ist nicht in der Lage, ihrem Mann oder sich selbst gegenüber völlig authentisch zu sein, weil sie so große Angst hat, ihre innersten Gedanken und Wünsche und Gefühle und Geheimnisse preiszugeben - und all die Dinge, die sie als beschämend empfindet.“ Sich dem zu stellen und zu verbalisieren, was sie will, würde ihre Vorstellung des Bildes zerschlagen, das sie projizieren will in einer Welt, in der weibliches sexuelles Verlangen als Tabu, ja sogar als pervers gilt.
„Ihr Leben ist komplett kontrolliert“, sagt Halina Reijn. „Sie möchte eine perfekte Mutter sein, wie eine Mary Poppins. Und dann ist sie gleichzeitig CEO eines Unternehmens, das Automatisierung anbietet, was eine perfekte Metapher für ihren Verstand ist – dass sie alles kontrollieren will, alles ist streng organisiert.“
All das ist eine Reaktion auf eine Kindheit, die, wie der Film durchgehend andeutet, in einer Sekte verbracht wurde und von einer chaotischen Freiheit geprägt war. „Als Kind der sexuellen Revolution hat sie für sich beschlossen, so organisiert wie nur möglich sein zu wollen“, sagt die Regisseurin und Autorin. „Ich werde ein organisiertes Leben führen. Ich kann alles. Ich bin perfekt. Und alles, was an mir beschämend oder seltsam ist, wird weggepackt, werde ich mit einem Eisbad, einer Therapie, Botox und 600 anderen Behandlungen bekämpfen.“ Infolgedessen liegt das Wesen ihrer Fantasien – und der Grund, warum sie sich von ihnen abgestoßen fühlt – in einer Art Entfesselung und Unterwerfung, die eine Atempause von dem straff choreografierten, glänzenden Äußeren bietet, das sie so obsessiv pflegt. „Wenn Sie fragen, was ihr Wunsch ist, denke ich, dass es um Kontrollverlust geht, sich dem anderen zu unterwerfen und einen kleinen Moment zu erleben, in dem man keine Kontrolle hat“, sagt Reijn. „Das ist ihr Fetisch. Daran ist nichts auszusetzen, das ist absolut in Ordnung. Aber vor nicht allzu langer Zeit galt das als Krankheit. Es wurde als pathologisch angesehen,das zu wollen. Und gerade für eine Feministin ist das natürlich
völlig verwirrend."
Genauer gesagt wird dieser Wunsch von Samuel herausgekitzelt, der es darauf anlegt, wiederholt Grenzen zu überschreiten und Romy zu entwaffnen, trotz oder gerade wegen des Machtgefälles zwischen ihnen. „Er erkennt sofort eine Schwäche in ihr, die sonst niemand auf diese Weise sehen würde, und sie sieht in ihm eine Stärke“, sagt Halina Reijn. „Er trägt einen großen Widerspruch in sich,nämlich absolute Männlichkeit, aber auch diese sehr sensible, einfühlsame Seite, die er auch hat.“ Reijn sieht in Samuel jemanden, der sich, wie viele junge Männer, mit den Konturen seiner Männlichkeit in einer sich verändernden Welt auseinandersetzt und versucht, sie neu zu definieren. „Diese neue feministische Welle hat viel mit Zustimmung zu tun und damit, wie man Frauen behandeln kann und wie sie behandelt werden wollen – damit hat er ein bisschen zu kämpfen, aber er setzt sich auch wirklich damit auseinander, in meinen Augen auf eine sehr schöne Art und Weise“, sagt die Filmemacherin. „Er probiert all diese verschiedenen Rollen an ihr aus. Er probiert aus: Wer wäre ich, wenn ich männlicher wäre? Aber er fragt sie auch: Glaubst du, ich bin ein schlechter Mensch?“
„Samuel schenkt Romy eine ganz besondere Aufmerksamkeit, nach der sie sich vielleicht sehnt“, sagt Harris Dickinson. Es ist eine spezielle Mischung aus Sensibilität und Durchsetzungsvermögen, die es Samuel ermöglicht, zu der Romy vorzudringen, die sie am liebsten verborgen halten würde. Er ist so darauf geeicht, ihre Mauern einzureißen, dass man sich fragen könnte, ob Samuel – der ihr erstmals fast wie aus einem Traum auf den Straßen von New York erscheint – eine Projektion ist, die aus den Tiefen von Romys Wünschen entstanden ist. „Wenn wir wirklich tief gehen, würde ich sagen, dass er eine Fantasie ist“, sagt Halina Reijn. „Er ist ein Engel, den sie erschaffen hat, oder er ist ein Therapeut, der mit ihr einen Exorzismus durchführt.“
„Sie sind beide verwundete Seelen und beide heilen miteinander, aber auf sehr unterschiedliche Weise“, sagt Kidman. „Und die Gesellschaft würde sagen: So heilt man nicht. In meinen Augen ist der Film sehr provokativ, aber nicht feindselig. Ich denke nicht, dass er wertend ist.“ Obwohl es eine verbotene Affäre ist, bietet sie auch eine Art Zufluchtsort, an dem ihre Verbindung wahrhaftig und schön ist, ein Orkan der Leidenschaft und echter Romantik. In einem Film, der von Lust und unausgesprochenen Trieben strukturiert und angetrieben wird, entstehen Szenen, die von unangenehm und lustig (und von unangenehm lustig zu tatsächlich lustig) über leidenschaftlich und sexy bis hin zu herzzerreißend und kathartisch zärtlich sind, und das alles innerhalb weniger spannender, straff inszenierter Minuten.
„Was auch immer wir über ihre Beziehung denken mögen, in dem von ihnen abgesteckten sicheren Raum, in dem sie sich treffen, sind sie sehr ehrlich und auf eine rohe, bewegende Weise sind sie unglaublich sie selbst“, sagt Reijn. „Es liegt eine Schönheit darin, obwohl sie etwas Verbotenes tun. Dabei sind sie ganz sie selbst, und ihm gelingt es, ihr gegenüber unglaublich warmherzig und einfühlsam zu sein, was auch gegenüber seinen eigenen Bedürfnissen und Wünschen gilt." Natürlich besteht die Gefahr ihrer Liaison darin, dass der Rest der Welt es nicht so sieht. Eine Geschäftsführerin und verheiratete Frau sollte keine Affäre mit ihrem jungen Praktikanten haben – das ist ihnen ständig bewusst, das realisieren sie auch. Doch ihr übermäßiges Bewusstsein dafür, in einer Zeit, in der unser kultureller Blick auf Sexualität und Macht betonter denn je ist, ist genau, was ihre Leidenschaft befeuert und die Kippachse, auf der ihr Spiel ruht.
„Es ist alles Meta“, sagt Halina Reijn. „Die Figuren sind sich natürlich bewusst, was sie tun – sie diskutieren sogar darüber: ,Du musst nein sagen, aber du musst ja sagen.’ Sie spielen eine Art Spiel mit Worten über Macht und Sexualität. Samuel nutzt die Hierarchie zwischen ihnen für sexuelle Spannung. Selbst wenn sie kämpfen, selbst wenn sie sich gegenseitig erpressen, ist es immer noch ein sexuelles Spiel.“
In diesem Sinne ist der Film oft eine schelmische Sittenkomödie und gleichzeitig eine Verspottung und ebenso eine Hinterfragung sexueller Politik. Doch auch wenn Katze und Maus ständig die Rollen tauschen, „hat sie am Ende natürlich die Macht“, sagt Reijn über Romy. „Sie ist diejenige, die diese Grenze nicht überschreiten sollte.“
Durch ihre eigene Angestellte Esme wird Romy dazu gezwungen, sich dieser Tatsache zu stellen. Esme ist eine junge Frau, die in Romy und dem Bild, das sie als einflussreiche, „perfekte“ weibliche Führungskraft projiziert, das Versprechen einer besseren Welt sieht. „Hier geht es um eine Frau an der Macht, die den falschen Weg einschlägt“, sagt Reijn. „Macht korrumpiert. Punkt. Es gibt einfach nicht viele Frauen an der Macht, aber Macht korrumpiert auch sie.“
Die anspielungsreiche Dekonstruktion der Idee des „Girlboss“ in BABYGIRL trifft in gewisser Weise auf Esme selbst zu – selbst dann, als sie Romy wegen ihres unethischen Verhaltens zur Rede stellt. „Sie erpresst Romy und ist sehr moralistisch“, bemerkt Reijn. „Sie sagt so etwas wie: ‚Du wirst ein guter Mensch sein. Du wirst eine Geschäftsführerin sein, zu der ich aufschauen möchte.‘ Sie will sie nicht zerstören, weil sie eine Feministin ist. Sie will Romy verändern. Aber natürlich gewinnt sie dadurch auch an Macht, hat ihrerseits Macht über Romy.“
Je mehr Romy – von Samuel, von Esme und sogar von ihrer eigenen Teenager-Tochter – mit irritierenden Vorstellungen von Sexualität und Moral konfrontiert wird, wird der Film zu dem, was Reijn (die zuvor mit BODIES BODIES BODIES den wohl ersten echten Gen-Z-Comedy-Klassiker drehte) als Komödie über den Kulturschock zwischen den Generationen bezeichnet. Die ultimative Pointe, so Reijn, sei, dass wir am Ende alle gleich sind. „Für mich als Filmemacherin lautet die Schlussfolgerung: Wir sind alle korrumpiert und wir sind alle Engel. Wir sind alle Teufel und wir sind alle Engel. Wir alles haben das in uns.“
Foto.
©Verleih
Stab
Halina Reijn. Regie & Drehbuch
Besetzung
Romy. Nicole Kidman
Samuel. Harris Dickinson
Esme. Sophie Wilde
Jacob. Antonio Banderas
Isabel. Esther McGregor
Nora. Vaughan Reilly
Mr. Missel. Victor Slezak
Hazel. Leslie Silva
Abdruck aus dem Presseheft