Die 75. Internationalen Filmfestspiele Berlin, BERLINALE 2025, Vor dem Wettbewerb Teil 3
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) – Das ist ein Film, der direkt in historische Museen gehört, weil er uns zeigt, wie mühselig und entbehrungsreich das Leben der Landbevölkerung in China noch 1991 war, was sicher zu vergleichen ist mit den Verhältnissen auf dem Land des 18. Und 19. Jahrhunderts in Mitteleuropa. Der wunderbare deutsche Film HEIMAT spielt dem gegenüber gefühlte hundert Jahre später, obwohl er die Mitte des 19. Jahrhunderts abbildet. Der Vergleich hinkt, ist aber insofern wichtig, weil wir wenig Filme kennen, in denen das Leben auf dem Dorf gezeigt wird, ach was, Dorf ist noch viel zu viel, also kleine Hütten und eine kleinteilige Gemeinschaft von Menschen, deren ganzes Leben darin besteht, Acker zu bestellen, von deren Frucht sie leben und mit dem, was sie verkaufen können, ihr übriges Leben bezahlen.
Landflucht ist eingeschlossen, denn jeder, der kann, versucht in der Folge in die Stadt zu ziehen, weil die Arbeit auf dem Acker, wo noch Ochsen den Pflug ziehen, bis einer einen kaufen kann, so mühselig, körperlich anstrengend, ja ruinös ist, daß geht, wer kann. So ist es auch mit den Eltern von Wang Shang (Chuang) geschehen, die mit den beiden großen Kindern in die Stadt gezogen sind, den Kleinen bei der Großmutter zurückgelassen haben. Was wir sehen ist eigentlich der Übergang von der kleinbürgerlichen Agrarwirtschaft zur Wanderung in die Städte, also ein sozioökonomischer Wandel, der tatsächlich im China der 1990er Jahre so ablief und noch nicht abgeschlossen is.
Der Junge ist der eine, mit dem wir das soziale Leben dieser kleinen Menschenansammlung erleben. Er spielt mit den anderen Jungen und wie Kinder so sind, entdecken sie immer wieder etwas, was sie fesselt und mit dem sie spielen. Sie gehen zur Schule, Lernen und Bildung wird ihnen als Aufstiegsmöglichkeit nahegelegt. Als Schulgeld müssen sie pro Schulhalbjahr Getreide abliefern und wenn Erntezeit ist, macht die Schule zu, denn auch Sechsjährige werden auf dem Feld gebraucht. Wir sehen, wie gedroschen wird, wir sehen die alten Geräte, nein, sie sensen das Getreide nicht ab, sie sicheln auch nicht, beides Begriffe von Gegenständen, die heutige Kinder hierzulande kaum mehr kennen; in China ist es eine Mischung aus beiden Geräten, mit denen die Frauen die Ähren abschneiden, deren Weiterverarbeitung von Männern dann gezeigt wird. In meiner Jugend noch bekannt, Heutigen unbekannt. Insofern ist dieser Film eine kulturhistorische Leistung, weil er die arbeitende Bevölkerung von gestern und vorgestern zeigt.
Doch wäre das zu wenig, um zu fesseln, was eindeutig die junge hübsche Zhang Chuwen (Xiuying) vermag. Sie soll verheiratet werden, weil eine Wichtiger sie will, sie will aber einen anderen. Doch hatte sie eines Tages für ihre Verwandte, die schwanger war, aber Kinder waren nicht erwünscht, beim Gesundheitsdienst, der in die Dörfer kam, um zu kontrollieren, daß keine Schwangerschaften vorliegen, die wohl abgebrochen worden wären, sich untersuchen lassen, wobei der Staatliche, dem sie aufgefallen war und der sie dann heiraten wollte, von dem medizinischen Personal verlangt, sie genau zu untersuchen, was die Ärztin oder Arzthelferin tat und ihr Jungfernhäutchen verletzte. Offiziell galt sie ja als Ehefrau mit zwei Kindern. Diesen Mann konnte sie als Ehemann ausschlagen, aber als sie mit dem verheiratet wurde, den sie aus Liebe wollte, gab es den ersten Konflikt, als sie bei ihrer Entjungferung nicht blutete und er nicht mehr mit ihr sprach, weil er eine voreheliche Liebschaft annahm. Das wird nur nebenbei erzählt, wird nicht weitergeführt, aber das sind so Kleinigkeiten im Film, die zeigen, daß er sehr genau das Umfeld wiedergibt.
Wie schön die Getreidefelder im Wind und der Sonne wogen, ein unendlicher Horizont, das Land erscheint unendlich, diese Riesenland, wo doch die gleichen Probleme bestanden und bestehen wie hier, nur Jahrhunderte vorher, was China in einer unglaublichen Kulturrevolution bewältigt hat. Man hat nach diesem Film einen anderen Blick auf China. Einen menschlichen.
Foto:
©Berlinale
Info:
Directed by: Huo Meng Written by: Huo Meng
Wang Shang (Chuang)
Zhang Yanrong (Great Grannie)
Zhang Chuwen (Xiuying)