202504540 1 ORGInternationalen Filmfestspiele Berlin, BERLINALE 2025, Wettbewerb Teil 7

Hanswerner Kruse

Berlin (Weltexpresso) – Blaues Meer. Ein riesiges Augenpaar. Die Bikinischönheit am Strand. Mit extremen Nahaufnahmen geht die Kamera hautnah an die Leute. Ein Mann beobachtet fasziniert die Frau, es ist John, der 70-jährige Ex-Spion, der in einem Grandhotel an der Côte d'Azur lebt.


Sie ist seine Zimmernachbarin und erinnert ihn an seine wilde Zeit an der Riviera in den 1960er-Jahren, als er in eine Welt voller Gefahren und Geheimnissen verstrickt war. Doch als die Fremde eines Tages spurlos verschwindet, ist er alarmiert. Erinnerungen, Fantasien, Flashbacks an seine Agentenzeit flackern auf. Er denkt an verführerische Diven und brutale Spione im glamourösen Ambiente, die er in seiner Vergangenheit leben und sterben sah. Das erfährt man aus dem Programmheft, denn im Film ist man selbst zunächst auf eigenen Assoziationen zum Film Noir und Spielorten am Mittelmeer zurückgeworfen. Kurz erfährt man noch, dass es um Diamanten geht, die irgendjemand irgendwelchen Händlern geklaut hat. 

Aber im weiteren Verlauf des Werks wird keine durchgehende Geschichte erzählt, mit fantastischen cineastischen Mittel werden die Stereotype des Genres und die Klischees der vielfach erzählten Rivera-Krimis zersetzt oder spielerisch verwandelt. Man weiß nicht, ob die aneinandergereihten, ständig verfremdeten Ereignisse real sind, aus Johns Vergangenheit kommen oder seine Ängste widerspiegeln. Ruhige Handlungsfetzen wechseln mit kinetischen Hexereien.

Am Meer liegt ein Augenpaar. Hinter einem zerfetzten Gesicht einer Frau taucht ihr heiles Antlitz auf, an dem messerresistente Lederfetzen hängen. Regnende Diamanten. Die Kamera zeigt kaleidoskopartige Szenen, Stroboskopeffekte oder anders verfremdete, etwa sich schnell drehende Bilder. Wir werden in surreale Träume, manchmal Alpträume entführt. Denn in diesem Film geht es nicht oder kaum noch um Inhalte, sondern vor allem um die experimentelle Form. Collagen werden an Collagen gereiht, von denen man – wie in der Bildenden Kunst oder dem zeitgenössischem Tanztheater – einfach nur fasziniert und bewegt sein kann. 

Ein Mann foltert scheinbar eine Frau, irgendwann fährt die Kamera zurück. „Diese Szene noch mal“, heißt es vom Regisseur aus dem Off. „Mhh, Das Blut schmeckt heute wie Schokolade“, meint die Schauspielerin. Solche Film-im-Film-Szenen tauchen häufig auf und heben die scheinbare Brutalität auf. Die Kämpfe zwischen den Gangstern oder Geheimagenten wirken oft wie dramatische Choreografien. Gerade die irgendwann im hautengen Lederkostüm auftauchende Serpentik, tanzt ihre Gegner aus. Sie verändert sich ständig, scheint unverwundbar, sexy und mächtig stark – Frauen sind keine Deko mehr.

Da hat es tatsächlich ein experimenteller Thriller in den Wettbewerb geschafft, den man sonst eher im Forum – oder noch genauer im Forum-Expanded vermutet hätte. Das zeigt seit Jahren Filme von Kunstschaffenden, die bewegte Bilder in ihre Arbeiten integrieren. Oder traditionelle Filmschaffende, die sich der bildenden Künste bedienen.  

Nach diesem großartigen Werk, der für seine experimentelle Qualität durchaus einen Silberbären verdient hat, war ich der einzige, der nach der Pressevorführung im kleinen CinemaxX klatschte. 
Also: 
Wenn man den Film besucht, sollte man wissen, dass man sich auf Herausforderndes und Verunsicherndes einlässt. 

Auf der Pressekonferenz 
 „Wir wollten einen psychedelischen und poppigen Film machen“, meint das Regiepaar Hélène Cattet & Bruno Forzani. Das sei quasi ein zerrissener Liebesbrief an die Filme der 1960er-Jahre. In ihrem Werk geht es nicht nur um Film, sondern auch um Musik und Tanz. Die Schauspielerin Thi Mai Nguyen, die Serpentik darstellte, ist auch eine professionelle Tänzerin. Ihre Eltern beherrschen die Kampfkunst, die durchaus Ähnlichkeit mit tänzerischen Choreografien aufweist. 

Eigentlich wollte das Regieteam ein Drehbuch für einen düsteren Comic verfassen, aber aus ihrer Arbeit entstand dann doch dieses vielschichtige Werk. Das alles sei großartige Teamarbeit am Set gewesen, sagt Schauspieler Yannick Renier. Man merkt allen Beteiligten an, dass sie mächtig Spaß an der ungewöhnlichen Zusammenarbeit hatten. Denn vor allem waren sie schwer beeindruckt, dass sämtliche grotesken, experimentellen, verrückten Bilder oder Szenen vom Regiepaar so detailliert entworfen waren. Der Verfasser dieser Zeilen übrigens auch. 

 

Foto: 
Ein eher untypisches Bild der kampf-tanzenden Thi Mai Nguyen
© Cattet-Forzani

Info:
„Reflet dans un diamant mort“, B, L, It, F 2025, 87 Minuten, Regie / Buch Hélène Cattet & Bruno Forzani, KameraManu Dacosse, Montage Bernard Beets mit Fabio Testi, Yannick Renier, Thi Mai Nguyen und anderen