
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) – Den Amazonas kennen wir in den letzten Jahren vor allem durch die wunderbaren Fotobände des brasilianischen Fotografen und Filmemacher Sebastião Salgado. Da geht es um das Bewahren des Regenwaldes und diese unglaublich schöne weitreichende Wald- und Flusslandschaft. Dieser Film zeigt, wie eine eigensinnige Alte in einer dystopischen Welt auf dem Amazonas, der sich wie eine Schlange durch die Landschaft schlängelt, sich listig ihre Freiheit erkämpft und sie entschieden behauptet.
Wenn man Tereza (Denise Weinberg) (links im foto) zum ersten Mal sieht, wie sie störrisch auf die Ehrung an ihrem Haus, eher eine Holzhütte, blickt, dann weiß man, mit der ist nicht gut Kirschen essen. Diejenigen, die die Ehrung anbringen, die ihr Alter mit 77 Jahren auszeichnet, haben noch staatliche Spruchweisheiten auf den Lippen, die Tereza ihnen mit Recht nicht glaubt. Im Betrieb hat sie Reinigungsarbeiten zu leisten, besser als Junge und genauso gut wie die im mittleren Alter. Doch die Regierung hat beschlossen, daß mit 75 Jahren Schluß ist. Schluß mit allem. Nicht nur mit der Arbeit, sondern auch mit dem Wohnen im eigenen Haus. Die Alten werden abgeschoben in eine Kolonie der Alten und das Ganze wird verkauft als Segen, wie gut es denen nämlich dort geht, die nicht mehr arbeiten müssen und sich ausruhen dürfen.
Aber Tereza will doch arbeiten. Das Geldverdienen ist das eine, viel ist es eh nicht, aber sie hat eine Beschäftigung, die sie kann und gesellschaftliche Kontakte mit der Umwelt. Sie will einfach nicht im Altersluxus leben, als der die Kolonie verkauft wird. Ihre große Enttäuschung wird ihre Tochter sein, die erst alles tut, damit die Mutter abgeschoben wird und dann deren Aufbegehren noch hintertreibt. Zum Altwerden mit 75, vorher waren es 80 Jahre, gehört nämlich auch die Entmündigung. Roberta wird jetzt gefragt, als Vormund, ob ihre Mutter, als sie im Reisebüro einen Flug bucht – der große Traum ihres Lebens, zu fliegen – das auch darf. Die Tochter sagt nein, und sagt erneut nein, als Tereza eine andere Reisemöglichkeit findet.
Jetzt weiß Tereza, daß sie auf sich alleine gestellt ist. Ihr hilft niemand. Niemand. Das macht sie erfinderisch.
Wir erleben wirklich amüsante Szenen auf dem Amazonas, denn das ist klar, dort ist dem Gefängnis, zu dem ihr Haus, ihre Ansiedlung, ihre Stadt geworden mitsamt dem Kastenkäfigwagen, der sie abholen will, am aller ehesten zu entkommen. Wie gut, daß sie genug Geld hat, das sie ihr Leben lang gespart hat. Sie gerät nach Fehlversuchen an Cadu (Rodrigo Santoro), der sie tatsächlich für Geld mitnimmt auf seinem Kleinfrachter, die ganzen Amazonasschleifen entlang. Daß er jedoch nicht ganz koscher ist, das erkennt sie, als am Himmel ein Warnsignal erscheint und er im Nu in eine der Urwaldbuchten hineinfährt, versteckt vor jeglichem Blick von oben.
Dort verbringen beide viel Zeit, denn erst, wenn gelbes Leuchtlicht am Himmel erscheint, sind die Kontrollen vorüber und sie können weiterschippern. Was in der Zwischenzeit passiert, verweigert sich jeglicher Beschreibung. Cadu ist ein Typ, der es sich wohlergehen läßt, ein Vertreter des dulce far niento, wie er entspannt, ja high im Wasser auf seiner Luftmatratze liegt, ja, ja, geschnupft hat er auch etwas, denn seien Augen glänzen mit der Sonne um die Wette. Da wird auch die zuvor doch sehr zugeknöpfte Tereza etwas weicher und mitteilsamer. Ihre Wesensveränderung vom Putzteufel in der Firma zu einer gelassenen, Lebensfreude ausstrahlenden Frau ist an ihren Haaren zu erkennen, die nicht mehr ordentlich im Knoten festgebunden, jetzt lange herumhängen. Freiheit, auch für die Haare.
Aber es kommt noch viel doller, als das Zeichen zum Aufbruch am Himmel erscheint. Denn jetzt lernt sie die echten Amazonasbewohner kennen, von denen Ludemir (Adanilo) ihr sogar verspricht, sie zu fliegen. Aber dazu kann es nicht kommen, denn erst zahlt sie alle Reparaturen, die sein selbstgebauter Flieger nötig hat, und dann den Flug mit ihm. Aber er verzockt alles in einer Spielhölle und so stehen beide mit nichts da. Während er Trübsal bläst, ist sie schon weiter und guckt, wo sie eine Möglichkeit des Weiterkommens sieht. Sie bestaunt Roberta (Miriam Socarrás), die geschäftstüchtig und den katholischen Menschen zugewandt für Geld die ganze Bibel auf einem Lesegerät verkauft und dick daran verdient. Und tatsächlich läßt Roberta sie mitfahren. Unterwegs lernen beide nicht nur, wie gut Tereza die Geräte den Gläubigen andrehen kann, sondern vor allem, wie gut sie sich verstehen.
Doch dann kommt etwas, das alles hätte zum Platzen bringen können. Denn es taucht beim Fahren die Spielhölle auf, von der schon Adanilo geschwärmt hatte, weil sich dort durch einen geringen Einsatz das Leben verändern kann. Und aus der vorsichtigen Tereza wird eine raffinierte Zockerin.
Sie hatte von den Wettkämpfen bestimmter Fische gehört, deren Ausgang: Sieg oder Niederlage der Wetteinsatz ist. Zwar kennt man u.a. aus Spanien Stier-, aus den USA Hundekämpfe, aber Fische? Da ist der Hinweis nötig, daß die Tiere in diesem Film eine ganz wichtige Rolle spielen. Von Anfang an, die kann man gar nicht alle aufzählen, aber eine bestimmte Schnecke, die muß sein. Sie sondert bei Berührung eine blaue Flüssigkeit ab. Die träufelt sich erst Rodrigo, später auch Tereza in die Augen, wobei nach kurzer Zeit die eigene Zukunft zu sehen ist.
In den Kontext gehört nun, daß Tereza heimlich den Schlüssel des Schiffes von Roberta als Wetteinsatz übergibt und damit alle Jetons für den weißen Schleierfisch bekommt, den sie intuitiv als Sieger vorausschaut. Es folgt der Kampf des weißen gegen den roten Schleierfisch, was optisch nicht als brutaler Kampf, sondern eher wie ein wunderbarer Schleiertanz wirkt und das gewünschte Ergebnis bringt. Tereza verläßt als reiche Frau und mit den Schlüsseln zum Schiff die Stätte und längst ist sie für Roberta so wichtig, daß wir wissen, die beiden Frauen schippern weiterhin den Amazonas entlang. Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute. Ein Film, der als Dystopie anfängt und zeigt, zu was Menschen, auch und erst recht alte Menschen fähig sind. Man muß es nur wagen und vor allem die von anderen aufgezeigten Grenzen überwinden. Auch ein alter Mensch ist sein eigener Mensch.
Foto:
Teresa und Cadu auf seinem Schiff, das sie steuern lernt
©Berlinale
Info:
Stab
Regie. Gabriel Mascaro
Buch. ◦Gabriel Mascaro, Tibério Azul
Kamera. Guillermo Garza
Besetzung
Denise Weinberg( Tereza)
Rodrigo Santoro(. Cadu)
Miriam Socarrás (Roberta)
Adanilo Ludemir)