Die 75. Internationalen Filmfestspiele Berlin, BERLINALE 2025, Wettbewerb Teil 15
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) – Das gibt es gar nicht, Andrew Scott sieht dauernd aus wie der ältere Mark Ruffalo. Nicht nur für mich, wie ich beim Recherchieren feststelle, aber für mich besonders. Und dann komme ich darauf, warum ich ihn so gut kenne. Natürlich als Professor Moriaty, den kongenialen Gegenspieler von Sherlock Holmes, den Benedict Cumberbatch gibt. Das hat mich so beschäftigt, wie es zu desem Verwechseln kommt, daß ich der Handlung mit etwas weniger Aufmerksamkeit zusah, was nicht schlimm ist, weil äußerlich nicht viel passiert, wenn nach der Premiere von OKLAHOMA am 31. März 1943 die Feier in der Bar Sardi’s stattfindet, in die Lorenz, genannt Larry Hart (Ethan Hawke) schon während der Aufführung geflüchtet ist, weil er dieses Musical nicht ertragen kann, das sein alter Partner, der Komponist Richard Rodgers (Andrew Scott) mit dem neuen Librettisten und Songschreiber zum größten Erfolg führt.
Wir sind nun Zeugen, wie Hart in gefühltem durchgehenden Monolog seine Erfahrungen mit seinen Ansichten über das Leben vermischt, ganz besonders über die Liebe, über Freundschaft, Kunst, Musik, Alkohol (dem er verfallen ist, wobei alle so tun, als ob er nicht trinkt), Alter und Jugend, Frauen und Männer, Anspruch und Wirklichkeit. Tatsächlich sind Rodgers und Hart seit über 20 Jahren ein erfolgreiches Musical-Duo, die Texte zu den noch heute bekannten Melodien kann man nachlesen und viele kennt man noch im eigenen musikalischen Gedächtnis. Der Filmtitel – und das ist eine kleine Ironie oder auch Hommage ans Kino – BLUE MOON, ist ein Song, der gar nicht in einem Musical, also dem Broadway und Ort ihrer Erfolge vorkommt und um den es hier im Film geht, sondern in einem Hollywoodfilm, Manhattan Melodrama von 1934.
Der Film beginnt in einer dunklen Gasse bei Regen – in den Filmen der diesjährigen Berlinale regnet es ständig! -, wo der eindeutig betrunkene Hart erst torkelt, dann zu Boden fällt und im Krankenhaus kurz darauf, am 22. November 1943 an Lungenentzündung stirbt. Eigentlich seltsam, daß der Film keinen Bezug nimmt auf seine Herkunft, Vater und Mutter deutsche Juden, stattdessen nur um sein Künstlerdasein kreist, bzw. um seine Freundschaft und Zusammenarbeit mit dem Jugendfreund Rodgers, der im Film gegenüber Hart eine überaus freundliche Rolle spielt. Der Film setzt ein, als diese Freundschaft gerade einen Riß bekommen hat, durch die Zusammenarbeit von Rodgers mit Hammersmith, der ebenfalls seltsamerweise im Film gar nicht auftaucht, obwohl ja die Premierenfeier in der Bar der einzige Filminhalt ist. Man erkennt das Bemühen von Rodgers um Hart, dem er eine Wiederauflage und Überarbeitung eines alten Musicals vorschlägt, was Hart begeistert annimmt, was auch uraufgeführt wurde und zeitlich zwischen der Premierenfeier in der Bar und seinem Tod liegt.
Wenn man die ganzen Zusammenhänge der amerikanischen Szene kennt, dann ist dieser Film eine so zynische, wie ehrliche Abrechnung mit der Kommerzialisierung von Gefühlen, Musik und Text. Und eine mit Alkohol auch. Aber die erwartet man in einer Bar durchaus. Wie macht man einen Film, der fast ausschließlich in einer eher engen Bar spielt? Man nimmt wenig Personal und läßt die alle im Zwiegespräch zu Wort kommen. So spielt der Pianist am Klavier, ein Soldat – wir sind 1943! - Barmusik und da gibt es zwangsläufig professionelle Gespräche zwischen beiden; was Hart mit dem Barmann Eddie (Bobby Cannavale) auszutauschen hat, ist da schon deftiger, denn von Anfang an schwärmt Larry von der schönen jungen blonden Elizabeth Weiland (Margaret Qualley), Studentin und Poetin und in vielen Nachtgesprächen mit Larry eng verbunden, der mit gekränktem Herzen zusieht, wie sie am Schluß zum Weiterfeiern von Rodgers abgeschleppt wird, was auch genau ihrem Wunsch entspricht. Erst einmal ist ja Larry schon früher abgehauen und fast der einzige Gast in der Bar, in den dann die High Society der Premiere hineinströmt. Da fragt der Barmann schon einmal nach, denn Hart ist auch für seine Vorliebe für Männer bekannt, was man damals offiziell verschweigen mußte. Clever, wie das her gelöst wird.
Die Gespaltenheit, die der Filmfigur Hart anzumerken, anzuhören ist, ist eine zwischen Ehrlichkeit in der Kunst und dem kommerziellen Erfolg mittels Massengeschmack, als den er das Musical Oklahoma bezeichnet, denn es geht da um eine Liebesgeschichte auf dem Land, die kitschig und sentimental in Kriegszeiten die Leute beruhigen soll und in einer Art Wort und Musik zusammenbringt, die für Hart das Gegenteil von Kunst ist. Diese Mischung aus Neid auf den Erfolg und den neuen Songschreiber für seinen alten Freund Richard und die echte Abqualifizierung solchen Kitsches tragen die Gesprächsfetzen und Urteile von Hart, mit denen er andere überzieht. Er ist eine Mischung aus Zugewandtheit und Anmache, wie er den anderen seine Weltsicht aufdrängt – aber auch Recht hat!!
In der Bar ist ständig was los, es kommen die Premierengäste, verziehen sich in den ersten Stock, Larry begrüßt sie oder auch nicht und dann wird noch einmal eine Szene ganz wichtig, als nämlich Rodgers ihn zum einen zu seiner anschließenden eigenen Premierenfeier einlädt, Larry aber nicht will, und als Rodgers ihm die Neuauflage eines alten gemeinsamen Stücks vorschlägt, mit 4-5 neuen Songs. Das wird er tun und die Neufassung wird ein großer Erfolg, noch vor seinem Tod. Doch dies ist nicht mehr Thema des Films, der mit dem Abrauschen von Rodgers – wie gesagt mit Elizabeth, die ihm sichtlich sehr gut gefällt und für die die Mitnahme durch den Meister genau das ist, was sie immer erhoffte.
Zurückbleibt der wieder einmal in seinem Metier geschlagene Künstler und Mann Larry Hart, der ständig alle zu seiner Party einlädt. Nur es kommt keiner.
P.S. Erst dachte ich, diesen Film kann nur der verstehen, der die Zeit und die amerikanischen Verhältnisse kennt. Aber das stimmt nicht. Dieser Mann und seine Monologe und Dialoge, ja sein ganzes Leben, istwie eine Metapher über Künstlerschicksale, über Wahrheit in der Kunst, Verlogenheit, Erfolg, Mißerfolg, Neid, Eifersucht und vor allem über tiefe Einsamkeit.
Foto:
©Berlinale
Info:
Stab
Regie. ◦ Richard Linklater
Buch. Robert Kaplow
Kamera. Shane F. Kelly
Mit
• Ethan Hawke (Lorenz Hart)
• Margaret Qualley (Elizabeth Weiland)
• Bobby Cannavale (Eddie)
• Andrew Scott (Richard Rodgers)