202508071 1 RWD 1780 KopieDie 75. Internationalen Filmfestspiele Berlin, BERLINALE 2025, Wettbewerb Teil 17

Hanswerner Kruse

Berlin (Weltexpresso) - Eigentlich ist der Beginn des Films Kontinental ’25 recht vielversprechend: Ein lichter Wald in einer langen Einstellung. Nach einiger Zeit erscheint ein Mann, der dort Plastikflaschen sucht. Langsam kommt der verlottert aussehende Alte näher. Die Szene wechselt. Plötzlich riesige Saurier, die den Mann gefährlich ankreischen...


Doch wir sind nicht im rumänischen „Jurrasic Park“, sondern in einem Kinderwald. Der Alte setzt sich drunter und macht eine Pause. Später begleiten wir ihn nach Hause, erleben ihn in einem vergammelten Heizungskeller, in dem er seine gefundenen Sachen ablegt und sich dann schlafen legt.

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Unsanft wird er geweckt. Sein Kellerverlies wird gestürmt. Die Gerichtsvollzieherin Orsolya (Eszter Tompa) und einige Gendarmen fordern ihn auf zu verschwinden. Die Beamtin hat sogar einen Umzugswagen bestellt, aber der Obdachlose besitzt keine große Habe. Trotzdem bittet er um etwas Zeit sie einzusacken. Das Räumkommando geht Kaffee trinken (Foto), als es zurückkommt hat sich der Mann mit einem Draht an der Heizung erhängt. Wiederbelebungsversuche bleiben erfolglos. 


Orsolya ist entsetzt, gibt sich die Schuld am Tod des Mannes, sie hätte mehr für ihn tun sollen. Er war ein ehemaliger Starathlet, wurde durch einen Unfall aus der Bahn geworfen, trank zu viel und verlor seine Wohnung. Im Gerichtsbüro weint die Beamtin: „Ich habe für ihn gekämpft, ich hätte es ahnen müssen.“ Die Kollegen und der Chef beschwichtigen, sie habe völlig richtig gehandelt.

Ausgiebig erzählt sie das Drama ihrem Mann (und uns Zuschauern). Mittlerweile bekommen auch die „sozialen“ Medien von dem Drama Wind und geißeln die staatlichen Einrichtungen. Orsolya wird unflätig beschimpft: „Ungarische Schlampe!“ „Dreckige Nutte!“ „Man hätte Euch Ungarn alle töten sollen. Jetzt erwürgt ihr Rumänen!“ Ihr Mann muss allein mit den zwei Kindern in Urlaub fahren, weil sie einfach zu geschockt ist. Den Abschiedssex verweigert sie: „Ich sehe immer den Gehängten!“

Wieder weinend erzählt sie ihrer Freundin (und uns Zuschauern) ausgiebig von den Geschehnissen. Beide Frauen empfinden sehr sozial, spenden viel für alle möglichen Organisationen. Die Trösterin hat ebenfalls einen Obdachlosen hinter dem Haus, er erleichtere sich überall: „Alles Stinkt nach Scheiße!“ Sie habe ihm Sachen gespendet, Geld gegeben, aber alles war nutzlos. Sie unterstützt auch eine Roma-Familie die buchstäblich auf einem Müllplatz haust. Dennoch wollen beide die Hoffnung nicht aufgeben, wollen sich mit anderen zusammentun, schimpfen auf den Staat, der nichts unternimmt.

Orsolya erzählt ihrer Mutter die Geschichte (und uns Zuschauern). Beide sind Ungarinnen, die Mutter fühlt sich hier nicht wohl, leidet unter den Rumänen, ihre Tochter hat immerhin einen staatlichen Job. Beide beschimpfen sich gegenseitig. „Du bist auch mit dem rumänischen Jammervirus infiziert“, schnauzt sie die Mutter an.

Auf der Straße trifft sie einen Lieferboten mit Fahrrad. Er kennt sie und zitiert lateinische Gesetzestexte, denn sie war an der Uni „vor vielen Jahren“ mal seine Rechtsprofessorin. Auf seinem Rucksack steht in Leuchtschrift „Ich bin ein Rumäne“ – damit die Leute ihn nicht überfahren, es gebe so viele ausländische Ausfahrer. Die beiden treffen sich bald in einer Kneipe, auch ihm (und uns Zuschauern) erzählt sie ausgiebig vom Obdachlosen. Aber damit ist sie bei ihm gerade richtig. Sie trinken Unmengen Rotwein und der Ex-Student schwadroniert und schwadroniert über Buddhismus, Gott und die Welt. Sie kommen sich näher, der mindestens 10 Jahre Jüngere nennt sie „Madame Macron“, irgendwann liegen sie dann auf der Wiese im Dunkeln und haben Sex. 

Dieser „Therapeut“ scheint Orsolya gut getan zu haben, aber sie trifft noch einen Popen, dem sie das Drama (und uns Zuschauern) haarklein erzählt. Er spricht sie pathetisch von aller Schuld frei. Sie ruft ihren Mann an und teilt ihm mit, dass es ihr besser gehe und sie jetzt nachkommen werde. Man könnte doch noch ein bisschen länger in Griechenland bleiben – und überhaupt, sie wolle ein anderes Leben, vielleicht wieder unterrichten. Dann fährt sie los. Wir sehen noch minutenlang irgendwelche unbekannten Gebäude in der menschenleeren Stadt, in langen, langen Einstellungen. Vielleicht soll das die Einsamkeit, Isolation und Kälte in der heutigen Zeit symbolisieren. Jede Szenenfolge beginnt mit langen, langen Einstellungen des jeweiligen Ortes.

Die Geschichte Orsolya ist berührend aber ebenfalls politisch aufgeladen: Auf Orban in Ungarn wird geschimpft. Auf die Korruption und die Unfähigkeit des Staates in Rumänien. Auch die Russen kommen nicht gut weg, die bissigen Zitate darf man hier gar nicht aufschreiben. 

Und dennoch die Frage, wie kann ein solcher Film im Wettbewerb der Berlinale laufen? Die künstlerische Umsetzung der Geschichte ist einfach lausig. Sie wird nur starr nacherzählt, dazu braucht es dieses Werk – ohne Nutzung cineastischer Mittel – eigentlich nicht: Eine starre Kamera fängt die jeweiligen Szenen ein. Keine Schwenks. Keine Zooms. Keine Veränderung der Perspektiven. Keine Filmmusik. Kein wechselndes Licht. So karg war nicht einmal das dänische Dogma-Kino. Die Schauspielerin weint viel, ist aber ansonsten nicht besonders emotional, genauso wie die anderen Akteure. Ein herausfallender Höhepunkt dieses ansonsten drögen Films ist nur die nächtliche dionysische Begegnung mit dem Studenten, in dem Orsolya sich sehr wandlungsfähig präsentiert.

Auf der Pressekonferenz

Eigentlich redet nur Regisseur Radu Jude mit der Presse und beantwortet alle Fragen, Schauspielerinnen und Schauspieler sind nur Zierde. Er war bereits häufig auf der Berlinale, hat mit dem expliziten, aber guten Porno "Bad Luck Banging or Loony Porn“ den Goldenen Bären gewonnen.

Er las von der Geschichte Orsolyas in der Zeitung. Interessiert habe ihn die moralische existentielle Krise der Protagonistin. Sie sei am falschen Ort gewesen, wo solche Probleme nicht angesiedelt seien. Die Zuschauer sollten durch die Kamera die Situationen wie mit einem Brennglas wahrnehmen und ins Nachdenken kommen.

Normalerweise müsse man für einen Film viel Geld auftreiben: „Aber ich wollte mal was anderes machen, mit wenig Geld.“ Dafür habe er sich auch im „frühen Kino“ umgesehen, beispielsweise beim Pionier Lumiere. Das merkt man, denn dieser absolut kunstlose Film bebildert lediglich die Zeitungsmeldung.

 

Fotos:
© Berlinale

Info:
„Kontinental ‘25“ , Rumänien 2025,109 Minuten.
Regie, Buch Radu Jude mit Eszter Tompa, Gabriel Spahiu, Adonis Tanța, Oana Mardare, Șerban Pavlu