
Hanswerner Kruse
Berlin (Weltexpresso) - Aus diesem Bob-Dylan-Film kommt man freudig mit Woody Guthries Song in den Ohren heraus: „So long, it's been good to know ya“ (Es war schön, dich zu kennen). Aber wer kennt heute noch diesen Folksänger?
Mit der Ankunft Dylans in New York am 24. Januar 1961 beginnt der Film. Sogleich fährt er ins Krankenhaus, in dem sein Idol Guthrie sterbenskrank liegt. Dort trifft er auf Pete Seeger, einen anderen Folkmusiker. Dylan spielt ihnen den „Song für Guthrie“ vor, dann ein eigenes Stück. Die beiden sind begeistert, sehen in dem Zwanzigjährigen die Verjüngung der Folkmusik, die für sie auch mit dem Kampf für Demokratie und gegen Rassismus verbunden ist. Bald kommt es zu einem ersten Zwist, als Dylan erklärt, er sei kein Folksänger, er würde lediglich Folksongs machen. Doch Seeger widerspricht: „Ein guter Song braucht keinen Schnick-Schnack“. Aber angesichts Dylans neuer Musik wirkt der traditionelle Folk recht hausbacken.
Der Film zeigt wie Robert Zimmermann zum Star Bob Dylan wird, die fünf Jahre bis zu seinem unerhörten Auftritt mit einer Rockband beim Newport Folk Festival 1965. Zunächst sieht Timothée Chalamet in seiner Rolle als Dylan, ihm nicht besonders ähnlich, auch die Stimme klingt etwas anders. Doch im Laufe des Films wird Chalamet ebenfalls zu Bob Dylan mit Locken. Das Werk ist eine Mischung von temporärem Biopic und Spielfilm: Die langjährige Freundin, die der Musiker in New York findet, ist in der Geschichte fiktiv. Sie ähnelt aber seiner damaligen beständigen Geliebten, die häufig recht eifersüchtig auf Joan Baez ist. Ob die Details stimmen, ist nicht so wichtig. Man weiß nicht, hat er wirklich zu Baez gesagt, „deine Texte sind so gewollt wie die Bilder in einer Zahnarztpraxis.“ Aber er macht und denkt immer was er will, findet dafür offene Worte.
Über ihn und Joan Baez, die bereits sehr bekannt ist, fasst er auch Fuß in der New Yorker Szene. Mit „Blowin in the Wind“ oder „The Times They Are A-Changing“ macht er schnell Karriere, weil er das Lebensgefühl der frühen 1960er-Jahre und den Kampf für Veränderungen sehr poetisch ausdrückt. Auf seiner ersten Platte sind noch Coverversionen bekannter Folk-Songs, doch bald werden auch seine eigenen Lieder veröffentlicht.
Sehr schnell steigt Dylan auf, aber verweigert sich dem Starkult, will kein Guru sein. Bei einer Party haut er schimpfend ab: „200 Leute in diesem Raum und alle sehen etwas anderes in mir.“ Natürlich tritt er auf dem Civil Rights March nach Washington und anderen politischen Veranstaltungen auf, aber es geht ihm primär um die Musik, poetische Musik, nicht um politische Revolte.
Aktuelle Ereignisse wie die Kuba-Krise, als die Sowjets dort Raketenbasen stationieren wollen, oder die Ermordung Kennedys kommen in dem Film vor. Sie zeigen, wie sie von den jungen Menschen aufgenommen und verarbeitet werden. Von Dylan natürlich als singender Poet etwa mit „A Hard Rain’s A‐Gonna Fall“. Doch es geht ihm auf die Nerven, dass bei seinen erfolgreichen Festivalauftritten immer das Gleiche von ihm gefordert wird. „Ich will nicht den Rest meines Lebens ‚Blowin in the Wind‘ singen“, echauffiert er sich. „Wieso bestimmen alte Männer was Folk ist?“
Er fängt an, gemeinsam mit Jonny Cash zu musizieren. Im Studio nimmt er mit einer zusammengestellten Rock-Band sein erstes „elektrisches“ Album „Highway 61“ auf. Auf dem Newport Folk Festival spielt er daraus mit seinen Musikern im Juli 1965 „Like a Rolling Stone“ und zwei weitere Songs. Vom wütenden Publikum wird er als „Judas“ beschimpft und mit Flaschen beworfen. Der Auftritt ist ein Skandal, auch wenn etliche Leute zu den neuen Klängen tanzen. Doch zum Schluss reicht ihm Cash seine unverstärkte Konzertgitarre, Dylan singt noch ein letztes Mal unplugged, quasi sein Abschiedslied an die Folkszene: „Take what you need, you think will last.“ Baez sagt ihm, „du hast gewonnen, bist frei von unserem Scheiß!“
„A Complete Unknown“ ist wirklich kein (purer) Musikfilm, sondern zeigt empathisch Dylans musikalische Entwicklung und seine häufigen Rückzüge aus der Öffentlichkeit. Nach dem Film versteht man auch seinen Widerstand, den Nobelpreis selbst anzunehmen.„A Complete Unkown“ USA 2024, 140 Minuten, FSK 6 Jahre, Filmstart 27. Februar 2025
Regie James Mangold mit Timothée Chalamet, Edward Norton, Elle Fanning, Monica Barbaro und weiteren
Fotos:
© Walt Disney Company
Foto links Dylan-Darsteller Timothée Chalamet auf der Pressekonferenz der Berlinale 2025 © Berlinale