holgerSektion Generation der Berlinale 2025

Holger Twele

Berlin (Weltexpresso) - Viele Filme erzählen eine Geschichte, unabhängig davon, ob es sich um einen Spielfilm, einen Dokumentarfilm oder einen Animationsfilm handelt. Gute Geschichten, die nicht schon mannigfach erzählt wurden und auch gut erzählt werden, sind jedoch Mangelware, selbst wenn sie nicht fiktional sind, sondern direkt mit der Realität zu tun haben. Mitunter trägt eine Geschichte nicht für die Dauer eines Kinoabends. Deshalb werden Kurzgeschichten gerne in einer Rahmenhandlung zusammengefasst oder als Serie erzählt.

Das dramaturgische Prinzip findet sich in einigen Filmen der Berlinale-Sektion Generation wieder, die insgesamt 20 Langfilm-Programme umfasste. Eine Gewähr für Kohärenz und Stringenz ist damit nicht automatisch gegeben, Abwechslung immerhin versprochen.

Starten wir den kleinen Überblick mit Kplus. Der französische Altmeister Michel Gondry ist beruflich viel unterwegs. Daher kam er auf die Idee, auf seinen Reisen seiner Tochter Maya kurze Animationsfilme zu schicken. In den ersten Jahren waren das noch einfache Lege-Trickfilme, später dann mit entsprechender Digitaltechnik aufwändigere Stop-Motion-Filme. Maya durfte sich die Titel der Filme selbst auswählen und hatte im „fortgeschrittenen“ Kindesalter dann auch eigene Wünsche und Vorstellungen, was der Papa ihr liefern sollte. Bis, eines Tages, sie sich zum Erschrecken des Vaters keine weiteren Filme wünschte. Aus diesen gesammelten Werken ist der 62-minütige Film „Maya, donne-moi un titre“ (Maya, schenkst du mir einen Titel?) entstanden, in dem Maya als reale Person wiederholt selbst in Erscheinung tritt. Ein bezaubernder Film, der weit über innerfamiliäre Bezüge hinausweist und sich lediglich gegen Ende hin doch etwas in die Länge zieht.

Wie wichtig fantasievolle Geschichten für Kinder sind und sogar heilende Kräfte besitzen, beweist „Tales from the Magic Garden“ (Geschichten aus dem Zaubergarten) von David Súkup,Patrick Pašš, Leon Vidmar und Jean-Claude Rozec. In bester Tradition des tschechischen Animations- und Stop-Motion-Films gehalten, übernachten in der Rahmenhandlung drei Geschwister bei ihrem Großvater, dessen Frau gerade gestorben ist. Diese war eine begnadete Geschichtenerzählerin und findet in ihrer Enkelin eine würdige Nachfolgerin. Jedes der Kinder trägt eigene Gedanken bei, aus denen die Enkelin drei Geschichten entwickelt, voller Humor, Magie und Tiefgang. Die Abwesenheit von geliebten Menschen wie der gerade gestorbenen Großmutter wird gleich in der ersten Geschichte thematisiert. Ein Geschwisterpaar ist auf sich allein gestellt, nachdem die Eltern verunglückt sind und lange nicht zurückkehren werden. Daher sollen die Geschwister in ein Kinderheim gebracht werden, was sie um jeden Preis vermeiden wollen. Der Zufall will es, dass sie eine streunende hungrige Katze bei sich aufgenommen haben, die sich ob ihrer Rettung revanchiert. Denn sie kann sich in eine angebliche Tante verwandeln, die sich zum Erstaunen der Fürsorge bestens um die Kinder kümmert und ihnen ein behagliches Zuhause beschert.

Mit Ausnahme von zahlreichen fantasievollen und magischen Momenten hat der japanische Film „Seaside Serendipity“ (Sommerliche Zufälle) von Satoko Yokohama nur wenig mit den erstgenannten Animationsfilmen gemeinsam. Es lässt sich sogar darüber streiten, ob dieser rundum außergewöhnliche Film, der im Künstlermilieu einer kleinen Küstenstadt spielt und drei lose miteinander zusammenhängende Geschichten erzählt, mit seinen 140 Minuten Lauflänge bei Kplus wirklich gut aufgehoben war. Diese Frage ist nicht damit beantwortet, dass die internationale Fachjury den Film mit einer Lobenden Erwähnung bedachte. Als Film für sich betrachtet, ist er ein kleines Meisterwerk. Zusammengehalten werden die Episoden durch zwei minderjährige Brüder unterschiedlichen Alters, die künstlerisch begabt sind und sich an einem Wettbewerb der Stadt beteiligen. Denn die Stadtverwaltung hatte die Idee, Künstler und Künstlerinnen aus dem ganzen Land anzulocken, um dort vorübergehend zu wohnen und ein Projekt zu verwirklichen. So treffen echte und vermeintliche Künstlernaturen aufeinander, treten in Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung und bewegen im besten Sinn des Wortes etwas, das jede Figur über sich hinauswachsen lässt oder sich der eigenen Grenzen bewusst wird.

„Zirkuskind“ von Julia Lemke und Anna Koch, der einzige deutsche Beitrag im Wettbewerb, nutzt die dokumentarische Form in der genauen Beobachtung des knapp elfjährigen Jungen Santiano, der mit seiner Familie und dem als Familienbetrieb geführten Zirkus mit dem Wohnwagen durchs Land zieht. Aufgelockert und ergänzt wird dieses Roadmovie unter Menschen und Tieren von den Erzählungen des Uropas, einem der letzten großen Zirkusdirektoren in Deutschland. Diese sind als Animationsfilmsequenzen in den Film eingestreut, handeln von der Geschichte des Unternehmens, von der einstigen Hauptattraktion, einem riesigen Elefantenbullen, aber auch von der deutschen Geschichte und der Verfolgung von Sinti und Roma im Nationalsozialismus. Alle diese Geschichten, die mitunter vielleicht etwas zu episodisch geraten sind, führen den Jungen zurück zu seinen familiären Wurzeln und bewegen ihn zugleich dazu, sich über die eigene Zukunft Gedanken zu machen.


Foto:
„Maya, donne-moi un titre“
© Partizan Films