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Holger Twele
Berlin (Weltexpresso) - In der Sektion 14plus nutzen zwei Beiträge aus Brasilien ähnlich wie „Zirkuskind“ zum Teil die dokumentarische Form, um oft sehr persönliche Geschichten von Jugendlichen über die Gleichstellung von Frau und Mann, Rassismus, Gewalt, Polizei und Justiz in Brasilien zu erzählen.
Drei Schularten aus Rio de Janeiro wurden dafür von der Filmemacherin Lucia Murat in ihrem Film „Hora do recreio“ (Playtime) ausgewählt, wobei sich die Schülerinnen und Schüler mit der Thematik auf sehr unterschiedliche Art und Weise auseinandersetzten. Da sich in der Gymnasialstufe keine Schule bereit erklärte, die Dreharbeiten in der Schule selbst zu genehmigen, kamen die ausgewählten und befragten Jugendlichen an einem neutralen Ort zusammen und erzählten freimütig und offen von persönlichen und familiären Übergriffen. In einer Schule aus den Favelas von Rio spielten die Jugendlichen Szenen aus den Favelas nach, etwa einen Polizeieinsatz in den Slums.Und in der dritten Schule übten die Schüler auf der Bühne die dramatische Fassung eines Romans zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein, der von der Misshandlung eines mittellosen Schwarzen Mädchens handelt. Schade nur, dass gerade diese Reinszenierung etwas zu viel Raum einnimmt und in der unmittelbaren emotionalen Wirkung gegenüber den ersten Teilen zurückfällt.
In einer Sondervorführung waren die ersten beiden Teile der fiktionalen TV-Serie „De menor“ (Underage) von Caru Alves de Souza zu sehen, in der es explizit um das brasilianische Rechtssystem geht. Die Schauspieler sind immer dieselben, sie übernehmen aber selbst innerhalb eines Serienteils ganz unterschiedliche Rollen, was mögliche gängige Rollenklischees voll untergräbt. Im ersten Serienteil wird ein Jugendlicher von der Polizei gelinkt und landet als angeblicher Drogendealer vor Gericht, wobei stereotype Vorstellungen klar hinterfragt werden. Nicht ganz so überzeugend war der zweite Teil der Serie, die als Sensationsgeschichte über eine jugendliche bewaffnete Diebin in einer Talkshow ausgeschlachtet und – wie es Talkshows oft anhaftet – etwas plakativ inszeniert wird. Gleichwohl könnte diese Sonderform von scripted reality auch Impulse für das deutsche Fernsehen geben.
Foto:
„Playtime“
© Berlinale, Generation 14plus