Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 1. Mai 2014, Teil 2

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Diese Besprechung war liegengeblieben!!!Nicht erst seit dem Welterfolg von Oliver Sacks DER MANN, DER SEINE FRAU MIT EINEM HUT VERWECHSELTE aus dem Jahr 1985 werden Fälle von Erkrankungen des Geistes zu Theaterstücken, Filmen oder sogar Opern verarbeitet.

 

 

 

VERGISS MEIN ICH

 

Liebenswert, skurril nachdenklich, komisch, dramatisch und einem noch dazu von hervorragenden Schauspielern nahegebracht, das ist der Film von Jan Schomburg über eine Frau, die ihr biographisches Gedächtnis verloren hat. Als Kommentar äußert der Regisseur, der auch das Drehbuch schrieb: “Als ich vor drei Jahren in einem Radiofeature von einer 40jährigen Frau mit kompletter retrograder Amnesie hörte, war ich sofort fasziniert von ihrem außergewöhnlichen Schicksal. Diese Frau hatte wegen einer nicht diagnostizierten Gehirnhautentzündung mehr oder weniger von einem Moment auf den anderen ihr Gedächtnis verloren; bis heute ist außer der Tatsache, daß sie wie vor der Amnesie keine Schokolade mag, keine ihrer Erinnerungen zurückgekehrt.“

 

Da geht es Lena Ferben (Maria Schrader) besser, sie hat sozusagen Glück im Unglück und mitten im Film denken wir uns, daß das was hat, sich so mitten im Leben in aller Unschuld – sie ist ja krank - eine neue Identität zu erwerben. Damit wollen wir auch sagen, daß diese doch traurige Situation, geeignet für dramatische, so tiefsinnige wie heulsusengeeignete Leinwandepen in diesem Film immer wieder zu einer herrlichen Slapstickkomödie wird, aus der heraus die Doppelung, wie etwas Schweres auch zu etwas Leichtem werden kann, immer wieder aufscheint und einen hoffnungsfroh aus dem Kino entläßt: Doppelung zudem am Filmende in mehrerer Hinsicht, zu zweit sein und dann noch doppelt belichtet werden. Ein toller Schluß.

 

Der Film beginnt mit Lenas plötzlichen Gedächtnisverlust, der Diagnose und Behandlung der retrograden Amnesie infolge dieser nicht diagnostizierten Hirnhautentzündung und der Heimkehr nach Hause. Denn in der häuslichen Umgebung, so erwarten die Ärzte, bilden die Erinnerungsfetzen ein verläßliches neues Gedächtnis, aus dem heraus Lena ihre Identität von neuem strukturieren kann. Es passiert jedoch etwas ganz anderes. Die neue Lena will gar nicht die alte Lena werden. Das ist keine bewußte Entscheidung, sondern eine, die durch ihre Erfahrungen, die wir im Film miterleben, konstituiert wird. Lena ist nämlich dicht an ihren Gefühlen, dichter als sie je war, wo ein Teil ihrer Persönlichkeit auch aus fachlichen Sprechblasen bestand: sie hatte geschlechterspezifische, performative Sprechakte untersucht und darüber geschrieben.

 

Zu Hause läßt ihr Ehemann Tore (Johannes Krisch) durch Fotografien und Erzählungen aus dem gemeinsamen Leben eine Ehefrau namens Lena entstehen, von der er hofft, daß die neue Lena diese Konstruktion übernehme und wieder zur alten werde. Auch das Treffen mit alten Freunden dient dem Wiedererstehen dieser alten Lena. Doch sie, auf der Suche nach sich selbst, will nicht alte Muster übernehmen, sondern sich als Person neu erfinden, mit allen Brüchen, die das bedeutet.

 

Was den Film so sehenswert macht, ist mindestens Dreierlei: die brillanten Dialoge, die Situationskomik, die entsteht, wenn in formelhaftem Verhalten auf einmal Spontaneität und Gefühl einbrechen und die Schauspieler, die perfekt für ihre Rollen besetzt sind. Allen voran Maria Schrader, die herrlich aus vollem Hals lachen kann, auch wenn sie meist verwirrt und nachdenklich sein muß. Johannes Krisch, ein gütiger und hilfreicher Ehemann, der auch seine Fehler hat. Ronald Zehrfeld, noch nicht erwähnt, ist der Mann, den Lena zufällig trifft, sich mit ihm im Café verabredet, das er als sein Wohnzimmer bezeichnet, woraufhin sie ihn fragt, wo denn sein Schlafzimmer sei, wohin sie dann eilen und zur Sache kommen.

 

Das ist mit Situationskomik und dem Einbrechen der Gefühle in formelhaftes Verhalten gemeint. Ronald Zehrfeld kann wieder einmal nur mit den Blicken das Geschehen uns vorhersehen lassen. Er sitzt im Kaffee, während Lena mit dem wehenden Stadtplan ihm vor Augen kommt. Augen, die die Fortsetzung erzählen. Sandra Hüller ist Frauke, die fast symbiotisch mit Lena befreundet war, fast zu symbiotisch, wie Lena aus ihrem alten Tagebuch der Tischgesellschaft vorliest, wo sie mit der, ja wirklich Unschuld der neuen Lena, die Passagen vorliest, wie sie der damalige Beischlaf von Tore und Frauke verletzt hatte. Vorgelesen viele Jahre später, wirkt dies noch stärker, entlarvt sie doch das Leben aller am Tisch als Lebenslüge.

 

Im gewissen Sinne kommt uns die doch kranke Lena als die Gesundeste vor. Der, der wirklich leidet, ist Ehemann Tore, der ihr vorwirft: „Du kannst Lena nicht einfach spielen, du kannst nicht so tun als ob...ich brauche jetzt frische Luft.“ Und die scheint ihm gut getan zu haben, denn die beiden haben eine Zukunft, in der sicher nicht nur Lena eine neue Person bleibt.