
Holger Twele
Berlin (Weltexpresso) - Drei Szenen in der Exposition des ganz in Schwarzweiß gehaltenen Films von Iván Fund wirken auf den Betrachter reichlich irritierend, verweisen in der rückblickenden Gesamtschau aber schon deutlich auf die zentralen Themen. In der ersten Szene klopft ein älterer Mann mit Hund mitten in der Nacht an die Tür eines Wohnmobils und bittet um Hilfe für sein Tier. Es öffnet ein erwachsener Mann, der keineswegs ungehalten ob dieser nächtlichen Störung ist, seine Begleiterin im Hintergrund informiert und diese bittet, ein Mädchen zu wecken, das diese Hilfe offenbar leisten könnte.
Wie sich später herausstellt, handelt es sich um die zehnjährige Anka, die über eine besondere Begabung verfügt: Sie kann mit Tieren sprechen und auf diese Weise herausfinden, woran sie leiden und was in der Kommunikation zwischen ihrem Besitzer und dem Tier verändert werden sollte. Dass Anka ein besonderes empathisches, ja sogar spirituelles Verhältnis zu Tieren hat, wird im Verlauf des Films immer deutlicher, etwa wenn sie inmitten der Natur eine unerwartete Begegnung mit einem Wasserschwein hat. Wie umfangreich ihr Talent tatsächlich ist und ob dieses von den Erwachsenen nur ausgebeutet wird, bleibt der Einschätzung des Publikums überlassen.
In der zweiten Szene folgt Anka mit einiger Mühe einem Mann, um in einem trockenen Maisfeld die überreifen Feldfrüchte zu stehlen. Sie kann dem Mann kaum folgen, dieser nimmt zunächst keine Rücksicht darauf, dreht sich dann aber doch um, um ihr etwas von der schweren Last in den Händen abzunehmen. Ob es sich bei diesem Mann um ihren Vater handelt, um einen Lebensgefährten der mitreisenden Frau oder gar nur um einen Bekannten, lässt sich bis zum Ende des Films nicht eindeutig klären. Auch wenn er kein Mann der großen Worte ist und ihr später ohne böse Absichten die Illusion raubt, es gäbe eine Zahnfee, die ausgefallene Milchzähne in eine Belohnung umwandelt, ist er Anka gegenüber fürsorglich und verantwortungsbewusst. Genauso verhält es sich mit der Frau, die Ankas Mutter sein könnte, obwohl dies nie explizit zum Ausdruck kommt. Sie ist die Dritte im Bund, die im Wohnmobil mitreist, per Smartphone häufig Ankas Botschaft sehr routiniert und redegewandt an die Halter der Tiere vermittelt, während sich der Mann um die finanzielle Abwicklung dieser Beratungsgespräche kümmert.
In der dritten Anfangsszene posiert Anka vor dem Plakat eines Hundefriedhofes, setzt kurz ein freundlich lächelndes Gesicht auf und zeigt sich zunehmend genervt davon, dass sie in immer neuen Posen fotografiert wird, um im Internet das lukrative Geschäft der beiden Erwachsenen zu bewerben. Grundsätzlich scheint sich Anka in der Gesellschaft der beiden Erwachsenen wohl zu fühlen und alles andere als ein „Opfer“ zu sein, selbst wenn sie häufig ein trauriges Gesicht trägt und darauf immer wieder angesprochen wird. Wenn sie dann aber den 1987 von den Pet Shop Boys gecoverten alten Song „Always on My Mind“ im Wohnmobil hört, ist sie ganz in ihrem Element und vermittelt das Gefühl eines rundum glücklichen und unbeschwerten Kindes.
Trotz solcher zum Teil sogar magischen Momente hinterlassen die Strapazen der Reise ihre Spuren bei allen Mitreisenden. Der Komfort ist häufig auf das notwendige Mindestmaß beschränkt, denn die Gruppe ist mit dem Wohnmobil in einer von Landwirtschaft geprägten Umgebung über unbefestigte staubige Landstraßen oft bis spät in die Nacht unterwegs. Das wirkt fast dokumentarisch – mit einer leichten Tendenz zum Irrealen hin, zumal das Road-Movie mit einer etwas anders als üblich erzählten Coming-Age-Geschichte verknüpft wird und ganz aus der Perspektive des Mädchens erzählt wird. Dieses kann zwischen kindlicher, animistischer Magie und harter, fast schon dystopischer Realität noch nicht eindeutig unterscheiden. Der von Flügelhorn und Trompete bestimmte Soundtrack unterstreicht diese nicht klar einzuordnende, auch ambivalente Stimmung zumindest bei dem Teil der Zuschauer, die sich auf solche magischen Momente einlassen wollen und vielleicht noch einen Zugang zu eigenen Kindheitserfahrungen haben. Voraussetzung ist zugleich, dass der in häufig dunklen Schwarzweißbildern gehaltene Film auf der großen Leinwand zu sehen ist, denn nur dort kann er seine atmosphärische Wirkung voll entfalten.
Nicht nur visuell vermittelt der ruhig, fast schon kontemplativ erzählte Film den Eindruck einer dokumentarischen Herangehensweise, sondern auch über die Figuren selbst, insbesondere bei der überragenden Darstellerin von Anka. Sie wird in vielen Nah- und Großaufnahmen ins Bild gerückt. Das dafür erforderliche Vertrauensverhältnis zwischen Regisseur, Kameramann und Darstellerin lässt sich wohl damit erklären, dass es sich bei Anika Bootz um die Stieftochter von Iván Fund handelt, die seit ihrem zweiten Lebensjahr bei ihm wohnt, und Ankas mögliche Mutter im Film in der Realität Anikas leibliche Mutter ist. Anika hat sogar ihren im Film gespielten Lieblingssong selbst gefunden. Und bei der im Film gezeigten Landschaft handelt es sich um die Heimatregion des Regisseurs im Nordosten von Argentinien, zu der er sich tief verbunden fühlt.
So bleiben am Ende die zentralen Fragen, welche Botschaft der Film „The Message“ vermitteln möchte und wie die enge Beziehung zwischen dem Mädchen und den beiden Erwachsenen einzuordnen ist. Was ist Wahrheit, was Lüge im Film? Hat Anka ohne gleichaltrige Spielkameraden dennoch eine glückliche und „behütete“ Kindheit? Wird sie letztlich nur benutzt oder kann sie sich in dieser Dreierkonstellation mit ihren Wünschen und Bedürfnissen behaupten? Und welche Zukunftsaussichten könnte Anka haben? Das sind alles Fragen, die sich nur jeder einzelne im Publikum selbst beantworten kann. Was die Botschaft jenseits des Beziehungsgeflechts zwischen den Figuren betrifft, hat der Regisseur in einem Interview eine Antwort gegeben, die den offenen Fragen im Film adäquat ist: „If you feel lonely, go to the movies and you’ll find out that you are not.“
Foto:
© Iván Fund, Laura Mara Tablón, Gustavo Schiaffino / Rita Cine, Insomnia Films
Info:
The Message
OT: El Mensaje
Argentinien, Spanien, Uruguay 2025, 91 Min, s/w
Regie: Iván Fund
Drehbuch: Iván Fund, Martín Felipe Castagnet
Kamera: Gustavo Schiaffino
Darsteller: Mara Bestelli (Myriam), Marcelo Subiotto (Roger), Anika Bootz (Anka), Betania Cappato (Eloúisa)
Produktion: Rita Cine, Insomnia Films