Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 6. März 2025, Teil 4
Margarete Frühling
München (Weltexpresso) – Der französische Komponist Maurice Ravel besucht 1927 auf Bitten seines Freundes Cipa Godebski (Vincent Perez) einen Ball der etwas exzentrischen aus Russland stammenden Tänzerin Ida Rubinstein (Jeanne Balibar). Cipa hofft immer noch, dass Ravel sich seiner Halbschwester, der zum dritten Mal unglücklich verheiratenden Misia Sert (Doria Tillier), nähert.
Während des Balls erhält Ravel von Ida Rubinstein den Auftrag, die Musik für ihr nächstes Ballett zu komponieren. Dabei wünscht sie sich etwas Sinnliches und Betörendes. Doch Ravel leidet gerade unter einer musikalischen Blockade und sieht sich zunächst außer Stande, etwas passendes zu Papier zu bringen, vor allem da sich zeigt, dass seine erste Idee bereits von einem anderen Theater aufgeführt wird.
Deshalb besucht er weiter Freunde, trifft sich aber auch mit der Pianistin Marguerite Long (Emmanuelle Devos), besucht ein Bordell, in dem er aber keinen Geschlechtsverkehr hat und vor allem erinnert er sich an seine Mutter (Anne Alvaro), die ihn zu Beginn des Jahrhunderts ermutigt hat, sich während seines Studiums um der Prix de Rome, einen der renommiertesten Musikpreise in Frankreich, zu bewerben. Doch letztendlich wird er – wie er später Freunden gegenüber äußert - fünf Mal scheitern. Auch erinnert er sich an 1916, als er während des ersten Weltkrieges nach Hause zu seiner sterbenden Mutter zurückkehrt. Er setzt sich in vielen Gesprächen mit der unmöglichen und unerfüllten Liebe zu seiner Muse Misia Sert auseinander, der er nicht das bieten kann, was sie von ihm erwartet.
Nachdem ihm seine Haushälterin Madame Revelot (Sophie Guillemin) ihr musikalisch recht einfaches, sich musikalisch immer wieder holendes Lieblingslied vorgesungen hat, beginnt Ravel Inspiration in seinem Alltag zu suchen und taucht dabei nicht nur immer tiefer in sein Innerstes ein, sondern nimmt auch die technischen Arbeiten von Maschinen in den Fabriken als Inspiration.
Aus dieser scheinbar zufälligen Idee entwickelt sich ein hypnotisches und zugleich faszinierendes Werk, in dem jede Sequenz nur eine Minute lang ist, die sich aber während der nächsten 17 Minuten immer wieder wiederholen wird.
Auch wenn Ravel mit den ersten Ideen der tänzerischen Umsetzung von Ida Rubenstein nicht einverstanden ist – er möchte, dass die Umgebung eine Fabrik darstellen soll – wird die Komposition während der Uraufführung durch die sinnliche Darstellung von Ida Rubenstein und ihrem Ballett ein riesiger Erfolg und wird dem Komponisten zu Weltruhm verhelfen und den Bolero weltbekannt machen…
Alle 15 Minuten ist irgendwo auf der Welt Maurice Ravels Bolero zu hören. Mit seinen 300 Takten und seinem gleichbleibenden, geradezu einfachen aber hypnotischen Rhythmus in Endlosschleife, der sich immer mehr steigert (und dabei immer mehr Musikinstrumente mitspielen), zählt das Werk zu den meistgespielten Orchesterstücken der Musikgeschichte.
Deshalb hat Regisseurin Anne Fontaines Film auch im Vorspann Bilder von modernen Interpretationen dieses Orchesterstücks gezeigt, wie das Musikstück in unterschiedlichsten Kontexten vom klassischen Konzert bis zur poppigen Veranstaltung und von Asien bis Afrika gespielt und variiert wird, denn es gibt ganz sicher hunderte verschiedene Aufführungen, egal ob bereits 1931 als klassische Version von Jack Payne und The BBC Dance Orchestra, von Benny Goodman und seinem Orchester 1939 als entspannte Swing-Version, James Last 1975 mit großem Orchester als Disco-Version, Frank Zappa 2008 als Soul-Funk-Disco Version oder 2022 Tuba Twooz als Electronic-Dance Version. Daneben wurde der Bolero auch immer wieder als Musik in Kinofilmen oder Fernsehfilmen und -serien verwendet.
Heute ist ganz sicher der Bolero das bekannteste Musikstück von Maurice Ravel und damit so eine Art One-Hit-Wonder der Klassik, während Ravels weitere Kompositionen inzwischen ziemlich unbekannt sind.
Das Drama von Regisseurin Anne Fontaine nach einem Drehbuch von Anne Fontaine und Claire Barré hat zwar den Komponisten im Blick, aber der Film erzählt von allem von der Entstehung des gleichnamigen Ballett- und Orchesterstücks und wirft dazu auch einen Blick auf das Leben und Schaffen des französischen Komponisten Maurice Ravel.
Maurice Ravel wurde am 7. März 1875 in Ciboure geboren und starb am 28. Dezember 1937 in Paris. Damit wird in diesem Jahr Ravels 150. Geburtstag gefeiert. Während der Film in anderen Ländern schon im letzten Jahr in die Kinos gekommen ist, läuft er in den deutschen Kinos passend einen Tag vor Ravels Geburtstag am 6. März 2025 an.
Nachdem Ravels Mutter 1916 gestorben war, mit der er bis zu deren Tod zusammengelebt hatte und sein Bruder heiratete, kaufte sich Ravel 1921 im 50 Kilometer von Paris entfernten Montfort-l’Amaury die Villa ″Le Belvédère″, in der er bis zu seinem Tod 1937 zusammen mit seiner Haushälterin Madame Revelot lebte. Das Haus beherbergt heute das Musée Maurice Ravel.
Da die Regisseurin Anne Fontaine selbst in einer von Musik geprägten Atmosphäre aufgewachsen ist, bekam sie für die Dreharbeiten auch Zugang zum Original-Wohnhaus von Maurice Ravel und konnte sogar eine Szene an seinem Originalklavier inszenieren.
Das Zentrum des Films ist die Zeit zwischen 1927 und 1928, wenn Ravel von Ida Rubinstein den Auftrag bekommt, ein Stück für ihre Tanzshow zu komponieren bis zur Uraufführung des Balletts am 22. November 1928 in der Pariser Oper. Dabei entstand die Komposition letztendlich in der Zeit von Juli bis Oktober 1928.
Die damals bereits 43jährige Ida Rubinstein tanzte die Uraufführung in einer Art spanischer Taverne als einzige Frau zusammen mit 20 jungen Tänzern. Ravel war der sexuelle Hintergrund von Rubinsteins Darstellung seines Bolero ein Rätsel. Mit ihren erotischen, lasziven Bewegungen schockierte und faszinierte sie gleichermaßen das Pariser Publikum. Diese Art zu tanzen, die damals wohl als modern galt, wirkt heute aber nur noch peinlich. Die Regisseurin hat auch ganz am Ende des Films noch einmal den Bolero nach heutigem Standard tanzen lassen, das wirkte sehr viel spannender.
Im Gegensatz zu dem erfolgreichen Stück blieben sowohl der Komponist als auch seine übrigen Werke eher im Hintergrund. Raphaël Personnaz brilliert in der Rolle des empfindsamen Ravel, der als Mensch dargestellt wird, der zu einer Beziehung zu einer Frau kaum fähig ist, der weder an Frauen noch an Männern wirklich sexuelles Interesse hat, der schüchtern ins Bordell geht, aber dort keinen Sex haben will, und der vermutlich nur zu seiner Mutter eine engere Beziehung aufbauen konnte.
Auch wenn Ravel kein sexuelles Interesse an ihnen hat, ist er sehr wohl auf die Unterstützung von Frauen angewiesen. Im Film werden neben seiner langjährigen Haushälterin Madame Revelot, sehr zurückhaltend gespielt von Sophie Guillemin, noch drei Frauen genannt, die sich um ihn bemühen: Misia Sert, Ida Rubinstein und Marguerite Long.
Doria Tillier spielt Ravels enge Freundin Misia Sert, die heute als Muse, Freundin und Förderin zahlreicher namhafter Künstler in Paris während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gilt und die u.a. von Henri de Toulouse-Lautrec und Pierre-Auguste Renoir gemalt wurde. Von der ihr Bruder Cipa Godebski, gespielt von dem Schweizer Schauspieler Vincent Perez, im Film hofft, dass sie nach zwei gescheiterten und einer dritten unglücklichen Ehe endlich zur Ruhe kommen könnte. Doch Ravel ist nicht in der Lage, sich ihr zu nähern., hat ihr allerdings sein Musikstück La Valse (1920) gewidmet.
Emmanuelle Devos spielt die verwitwete Marguerite Long sehr zurückhaltend, die Ravel aber immer wieder liebevoll umsorgt. Sie gilt heute als bedeutendste französische Pianistin des 20. Jahrhunderts. Sie spielte auch die Uraufführung von Ravels Klavierkonzert G-Dur, das zwischen 1929 und 1931 entstanden ist, und das Ravel ihr auch gewidmet hat.
Jeanne Balibar ist als Ida Rubinstein zu sehen, die Ravel ganz sicher auch zugetan ist. Die russische Tänzerin gehörte Anfang des 20. Jahrhunderts zu den schillerndsten Künstlerinnen. Sie gilt auch heute noch als die Begründerin des Bewegungstheaters. Dabei war sie bereit, sehr freizügig und exaltiert zu tanzen. Rubinstein war sich ihrer erotischen Ausstrahlung sehr wohl bewusst.
In Film wird allerdings erst sehr spät darauf eingegangen, dass Ravel vermutlich schon 1928, als er den Bolero schrieb an einer fortschreitenden Krankheit, möglicherweise an Demenz oder an der Pickschen Krankheit erkrankt war, denn er kann seine Kompositionen immer weniger zu Papier bringen (er sagt, er habe sie aber im Kopf).Insgesamt ist ″Bolero″ ein gepflegter und geschmackvoller Historienfilm mit sorgfältig ausgestatteten und ausgeleuchteten Bildern, bei dem Regisseurin Anne Fontaine bei dem ausgehend von der Entstehungsgeschichte des berühmten Orchesterstücks ein Porträt des Komponisten Maurice Ravel zeichnet. Damit bietet der Film nicht nur eine faszinierende Reise in die Vergangenheit, sondern auch einen gebührenden Anlass, das 150-jährige Jubiläum von Ravels Geburt zu feiern.
Foto 1: Maurice Ravel (Raphaël Personnaz) © X Verleih - Pascal Chantier
Foto 2: Maurice Ravel (Raphaël Personnaz) und Misia Sert (Doria Tillier) © X Verleih - Pascal Chantier
Foto 3: Ida Rubinstein (Jeanne Balibar) © X Verleih - Pascal Chantier
Foto 4: v.l.n.r.: Maurice Ravel (Raphaël Personnaz), Marguerite Long (Emmanuelle Devos), Misia Sert (Doria Tillier) und Cipa Godebski (Vincent Perez) © X Verleih - Pascal Chantier
Info:
Bolero (Frankreich, Belgien 2024)
Originaltitel: Bolero
Genre: Biopic, Drama, Musik, Historie
Filmlänge: ca. 120 Min.
Regie: Anne Fontaine
Drehbuch: Anne Fontaine, Claire Barré
Frei nach dem Roman Maurice Ravel (1995) von Marcel Marnat
Darsteller: Raphaël Personnaz, Doria Tillier, Jeanne Balibar, Emmanuelle Devos, Vincent Perez, Sophie Guillemin, Anne Alvaro, Alexandre Tharaud, Florence Ben Sadoun u.a.
Verleih: X Verleih AG
Vertrieb: Warner Bros.
FSK: ab 6 Jahren
Kinostart: 06.03.2025