
Redaktion
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Erzählen Sie uns von Ihrer Begegnung mit Anne Fontaine.
Ich begegnete Anne Fontaine erstmals vor etwa zehn Jahren, als sie GEMMA BOVERY
vorbereitete. Als wir uns zehn Jahre später für Bolero wiedersahen, meinte sie: „Also,
Sie sind ja eigentlich nicht die Figur: Er ist klein, Sie sind groß; er ist dünn, ja sogar
mager, was Sie nicht sind. Aber wir machen trotzdem ein paar Probeaufnahmen und
sehen, ob Ihr Aussehen passen könnte.“ Obwohl ich anfangs Bedenken hatte – Anne
ist auf den ersten Blick eine beeindruckende, geradezu einschüchternde Persönlichkeit
– waren wir sofort bei der Arbeit. Während der Probeaufnahmen haben wir uns wirklich
kennengelernt. Wir haben uns gut verstanden, ich möchte sogar sagen, wir mochten
uns sehr. Selten hatte ich eine so gute Zusammenarbeit mit einer Regisseurin.
Kannten Sie Ravels Werk?
Wie die meisten kannte ich den Bolero, aber das war es auch schon. Alles andere war
Neuland für mich. Durch das Projekt entdeckte ich einen geheimnisvollen Menschen.
Man kennt den Komponisten, aber man weiß so wenig über den Menschen dahinter.
Es ist, als hätte Ravel selbst Schwierigkeiten gehabt, seine Gefühle anders als durch
seine Musik auszudrücken. Als Anne mir das Drehbuch gab, wurde ich von einer Flut
von Emotionen ergriffen. Ravel, dessen Werk weltweit gefeiert wird, dessen Bolero zu
den ersten internationalen Hits zählt und immer noch ein Klassiker ist, bleibt ein Rätsel.
Ich hatte das Gefühl, dass ich lange darauf gewartet hatte, eine solche Rolle zu spielen.
Sie sprechen von der Intensität der Emotionen, die Sie empfanden. Wie liefen die
ersten Proben ab?
Paradoxerweise wurde alles ganz einfach. Ich hatte das Gefühl, direkt in die Figur
einzutauchen. Ich erinnere mich an eine Szene, in der Ravel, der beginnt, sein
Gedächtnis zu verlieren, den Bolero wiederentdeckt und sich darüber wundert, dass er
ihn komponiert hat. Er ist da, aber auch nicht da – distanziert und doch tief in seiner
Musik. Alles um ihn herum wird für ihn zu Musik: Schritte auf knarrendem Parkett, der
hämmernde Rhythmus einer Maschine in einer Fabrik. Er wirkt wie ein Schatten, der
durch das Leben wandert, immer lauschend, immer ein wenig abwesend. Dieses Bild
eines von etwas Übernatürlichem ergriffenen Künstlers begleitete mich durch die
gesamten Dreharbeiten.
Sie sind zwangsläufig in Ravels Musik eingetaucht ...
Natürlich. Ich begann mit "La Pavane", ein Stück, das mich begeistert hat, obwohl Ravel
es hasste. Er hielt es für eine armselige Stilübung, in der er seine eigene Persönlichkeit
nicht erkannte. Diese strenge Selbstkritik faszinierte mich. Danach habe ich den Rest
seines Werks verschlungen: "Le Lever du jour" aus "Daphnis et Chloé", das "Concerto
en G-Dur" und viele andere. Es war vor allem das Hören seiner Werke, das mir seine
Welt erschloss. Seine Musik hat eine filmische Dimension, die viele Filmkomponisten
inspiriert hat. Auch Jazzmusiker haben ihn aufgegriffen. Ravel war nicht nur ein Spiegel
seiner Zeit, sondern auch seiner Zukunft. Seine Spuren sind noch heute überall zu
finden.
Sie selbst spielen Klavier.
Ich dachte, ich könnte Klavier spielen. Aber als Anne mich Alexandre Tharaud vorstellte,
verstand ich erst, was es heißt, Ravel zu spielen. Alexandre stellte mich Frédéric
Vaysse-Knitter vor, der mir half, "La Pavane" und andere Stücke einzuüben. Im Film
spiele ich etwa 80 % der Klavierszenen selbst. Alexandre übernahm die restlichen 20
%. Um sein Niveau zu erreichen, hätte ich zehn Jahre gebraucht – und ein Wunder, um
seine Genialität zu erreichen.
Was waren die weiteren wichtigen Schritte in Ihrer Vorbereitung?
Wie Anne bei unserem ersten Treffen sagte und wie ich auf Fotos von Ravel sehen
konnte, war er sehr dünn und drahtig. Ich nahm zehn Kilo ab, was mir half, mich in seine
Figur hineinzuversetzen. Alexandre Tharaud sagte mir einmal, dass er beim Spielen
von Ravel das Gefühl habe, in seine Hände zu schlüpfen. Dieses Bild hat mich inspiriert,
es auf meinen gesamten Körper zu übertragen. Es gibt alte Aufnahmen von Ravel, in
denen er bei jedem Blick, jeder Aufmerksamkeit in eine fast steife Haltung verfällt.
Selbst am Klavier saß er aufrecht wie eine Statue. Diese Trockenheit und zugleich die
ihm zugeschriebene innere Güte waren für mich der Schlüssel.
Sie mussten auch lernen, ein Orchester zu dirigieren.
Ja, für die Szenen, in denen Ravel "La Valse" und den Bolero dirigiert. Das war fast wie
die Arbeit eines Tänzers, eine Art Choreografie. Mein Lehrer Jean-Michel Ferran ließ
mich zuerst in einem kleinen Saal üben. Doch dann kam der Moment, in dem ich einem
Orchester aus neunzig erfahrenen Musikern gegenüberstand. Er hatte mir gesagt: „Das
physische Gefühl, wenn ein Orchester vor dir spielt, ist unvergleichlich.“ Und er hatte
recht. Nach den Proben zitterten meine Beine – ich war emotional und körperlich
erschüttert wie vielleicht nie zuvor. Aber ich hätte diese Szenen ewig drehen können.
Haben Sie während dieser Proben parallel mit Anne Fontaine an der Rolle
gearbeitet?
Ja, denn es ging darum, Ravels Gestik und Mimik genau auszubalancieren. Seine
Freundin Marguerite Long sagte einmal, er sei ein schlechter Pianist und ein noch
schlechterer Dirigent. Anne und ich wollten Ravels charakteristische Steifheit
einfangen, ohne dass es so wirkt, als wäre ich als Schauspieler derjenige, der sich
unbehaglich fühlt. Es war eine Gratwanderung, die viel Feingefühl erforderte.
Wie erklären Sie sich diese Steifheit?
Ravel stellte das technische Können über die Emotion. Er war niemand, der sich in den
Gefühlen eines Werks verlor. Seine Kompositionen, wie der dritte Satz des "Concerto
in G", wischen die Emotionen des langsamen zweiten Satzes fast provokant beiseite.
Ravel hasste überbordende Gefühle, was ihn umso faszinierender macht. Es scheint,
als hätten die Emotionen, die er durch seine Musik ausdrückte, ihn selbst überwältigt
und entglitten ihm. Besonders beim Bolero wird spürbar, dass sich das Werk seiner
Kontrolle entzog, was seine Einzigartigkeit ausmacht.
Sie erwähnten den Bolero und Ravels Abneigung gegen dieses Werk.
Ravel sah im Bolero eine Allegorie des Lebens, das im Chaos endet. Nichts Erotisches,
nichts Sexuelles – und doch ist das Werk genau das: durch und durch erotisch. Er hat
so viel in dieses Werk hineingelegt: die industrielle Revolution, die Mechanisierung, den Krieg, den Jazz, den Einsatz des Saxophons, all das in Kombination mit einem sich
stetig steigernden, repetitiven Rhythmus. Als er es zum ersten Mal im Opernhaus
aufgeführt und getanzt sah, war er entsetzt. Ida Rubinstein machte ihm bewusst, was
sie ihm immer schon angedeutet hatte: die erotische Dimension seines Werks. Er hat
es schließlich anerkannt – wenn auch nur widerwillig. Der Bolero wurde zu seiner
Kreuzigung.
Diese Szene im Opernhaus – die Premiere des Bolero – war Jeanne Balibars erster
Drehtag. Es war beeindruckend, sie tanzen zu sehen.
Sie sagten, man wisse kaum etwas über den Menschen Ravel.
Alexandre Tharaud beschreibt ihn als einen der sinnlichsten und „sexuellsten“
Komponisten, die er kennt – dabei war Ravel im Leben das genaue Gegenteil. Es ist
fast, als sei der Junge, der er einmal war, nie wirklich im Erwachsenenleben
angekommen. Stattdessen blieb er tief mit seiner Mutter (Anne Alvaro) verbunden,
deren Porträt er stets bei sich am Klavier aufbewahrte. Er hatte wenig gemeinsam mit
dem rabelaisischen Debussy, der zur gleichen Zeit lebte. Ravel war der Asket. Um
Alexandre Tharaud zu paraphrasieren: Diese beiden verkörpern die zwei Gesichter
der französischen Schule.
Sie hatten das Privileg, im Belvédère, Ravels Haus in Montfort-l’Amaury, zu
drehen. Welche Bedeutung hatte diese Erfahrung für Sie?
Es war unglaublich, sich vorzustellen, dass ich die Szene, in der Ravel den Bolero
erfindet, an seinem eigenen Klavier spiele. Diese Chance war ein unbeschreibliches
Glück und eine starke emotionale Erfahrung. Alles in diesem Haus ist unverändert
geblieben: die leicht kindlichen Nippes, die er sammelte, asiatische Kunstgegenstände,
die er von der Weltausstellung mitbrachte, bis hin zu der von ihm selbst entworfenen
Dekoration – die gedrehten Ornamente an der Tapete, die Friese. Ravel hatte sich in
diesem Haus verschanzt, um der Pariser Nachtwelt zu entfliehen, die er dennoch liebte.
Foto:
©Verleih
Info:
Bolero (Frankreich, Belgien 2024)
Genre: Biopic, Drama, Musik, Historie
Filmlänge: ca. 120 Min.
Verleih: X Verleih AG
FSK: ab 6 Jahren
Kinostart: 6.März 2025
B E S E T Z U N G
RAVEL RAPHAËL PERSONNAZ
MISIA DORIA TILLIER
IDA RUBINSTEIN JEANNE BALIBAR
MARGUERITE LONG. EMMANUELLE DEVOS
CIPA VINCENT PEREZ
MADAME REVELOT SOPHIE GUILLEMIN
RAVELS MUTTER ANNE ALVARO
LALO ALEXANDRE THARAUD
BORDELLCHEFIN FLORENCE BEN SADOUNS
Stab
REGIE ANNE FONTAINE
DREHBUCH ANNE FONTAINE & CLAIRE BARRÉ
Frei nach dem Roman „Maurice Ravel“ von Marcel Marnat (Editions Fayard)
Abdruck aus dem Presseheft