
Redaktion
Berlin (Weltexpresso) - DAS LICHT ist ein sehr persönlicher, sehr emotionaler und auch ein sehr politischer Film geworden, der auf eine greifbare und nachvollziehbare Weise mehrere Finger in die offenen, gesellschaftlichen Wunden legt. Ja, nach einer ziemlich langen Zeit, die ich mit BABYLON BERLIN in den 20er Jahren verbracht habe, wollte ich mich endlich wieder unserer Gegenwart zuwenden. In DAS LICHT wird gestritten, gerungen und gekämpft, aber es wird auch gelacht, gesungen und getanzt. Der Film will das Spektrum der Gefühle und die entsprechenden erzählerischen Möglichkeiten herausfordern. Und die Figuren sind mir sehr vertraut. So will ich versuchen, ihre Zerrissenheit und gleichzeitige Verbundenheit für das Publikum zu spiegeln und spürbar zu machen.
Seit der Wende zum Millennium hat diese neue Entwicklung begonnen, die uns zu entwurzeln droht, mich, mein Umfeld, einen bedeutenden Teil dieser Generation. Zunächst wollte es uns nicht auffallen. Wir lebten in der Blase, in der wir uns am richtigen Platz glaubten, uns gut etabliert zu haben schienen. Das Liberale und Weltoffene befand sich – in unserem Sichtfeld - auf dem Vormarsch, dachten und glaubten wir. Immer mehr Menschen in Europa würden in der Lage sein, ihr Leben nach ihrer Vorstellung zu entfalten, und synchron dazu würde sich der Zusammenhalt verstärken. Und ohne, dass wir es verstanden oder überhaupt gemerkt haben, ist uns diese Vision entglitten. Oder: wir haben sie verloren… weil wir nicht wirklich um sie gekämpft haben. Wir dachten, das wird schon alles klappen, irgendwie. Aber es klappt immer weniger. Das ist eine generationsspezifische Erfahrung, die uns allen langsam und sehr ungemütlich ins Bewusstsein rückt und die wir noch gar nicht zuzuordnen wissen. Wir sind überfordert mit dieser Verunsicherung, weil wir auch nicht wirklich glauben, dass wir viel falsch gemacht haben. Aber was mag es denn gewesen sein, dass es so schlecht gelaufen ist? Und unsere Kinder sagen uns nun: Es ist das Resultat einer grenzenlosen Achtlosigkeit.
Wie konnte es dazu kommen?
Wir haben den Schuss nicht gehört, auch wenn wir ihn sogar selbst einmal abgefeuert haben. Der gesellschaftliche Wandel der letzten drei Jahrzehnte, ausgehend und bezeichnet durch das digitale Zeitalter und die radikale Veränderung der globalen Ökonomie, hat uns dramatisch überfordert. Wir haben nicht in der Tiefe erfasst, was da passiert. Da hat sich ein neues weltweit operierendes System so schnell und rabiat verselbständigt, dass wir nicht annähernd in der Lage waren, uns dazu in Stellung zu bringen. Wir haben stattdessen versucht, unsere Blase in dem ganzen Durcheinander gut aussehen zu lassen, das „Neue“ irgendwie willkommen zu heißen, mit den Widersprüchen zu hadern und damit den Diskurs interessant zu halten.
Aber wir haben diesen wachsenden Koloss an Einschränkungen und bedrohlichen Veränderungen nicht wirklich ernst genommen. Wir dachten, wir umarmen das neue Zeitalter – ein bisschen kritisch, ein bisschen affirmativ - und dann wird es uns zurück umarmen. Und plötzlich steht es riesig vor uns und droht, uns überflüssig zu machen, und wir stehen vollkommen hilflos da. Dadurch, dass wir keine Antworten auf die großen Fragen haben, und auch sonst nicht wirklich nützlich sind für diesen ganzen gesellschaftlichen Transformationsvorgang, sind wir auf einem Abstellgleis gelandet. Der Film DAS LICHT liebt seine Figuren, aber er zeigt auch, wie manche von ihnen unsichtbar werden für die Welt, wie sie sich selbst abschaffen oder dann auch abgeschafft werden, fast notwendiger- oder einleuchtenderweise. Sie können sich gar nicht dagegen wehren; sie sehen es sogar irgendwie ein. Das ist tragisch, jedoch kann der Film dieses Drama nicht wirklich ausbreiten, weil es gleichzeitig auch keines ist.
Was ein krasses Dilemma für seine erwachsenen Protagonisten erzeugt. Ich wünsche mir, dass dieser Film jene stille Wucht entfaltet, die solchen Erkenntnissen innewohnt. So dass man am nächsten Morgen aufwacht und der Film ist noch intensiver am Werk, als man ihn ursprünglich empfunden hat. Ich wollte gern einen Film machen, der nachwirkt, weil er vordergründig eine emotionale und politische Geschichte erzählt, aber hintergründig ein archaisches Loch reißt.
Darf man den Eindruck haben: Es geht um alles in DAS LICHT?
Mir war die Fülle der Themen wichtig. Da ist einfach so viel, das uns beschäftigt, und fordert, und überfordert, und manches wird im Film ausformuliert, manches wird angerissen. Manches spielt sich Vordergrund ab, anderes im Hintergrund. Wie es so ist im Leben. Man kriegt vieles mit, hat aber niemals alles im Blick.
Ich nehme an, dass man den großen Bogen früh spürt. Vieles wird miteinander in einen Zusammenhang gebracht, der sich allerdings erst im Lauf der Zeit erschließt: das Figurenpanorama mit der polnischen Putzfrau, den Menschen im afrikanischen Slum und dem Zukunfts-Thinktank. Wir sind plötzlich in einem Club, dann in der VR-Welt. Das sind Asteroiden, die nebeneinander herfliegen. Und dann bündelt sich das schließlich in dieser Familie, bei der man sofort mitbekommt: bei denen läuft es aber gar nicht gut. Der Film folgt den Spuren aller Beteiligten, um daraus einen emotional schlüssigen Teppich zu knüpfen.
Und dann kommt Farrah ins Spiel, das Geheimherz von DAS LICHT. Die neue Haushälterin der Familie - noch eine Hauptfigur! Deren Funktion in der Erzählung man erst einmal nicht zuordnen kann. Sie hat ein Geheimnis, aber der Film hält es im Verborgenen, so wie sie selbst. Also ist sie zunächst mal vor allem der Komet, der in diese Familienplaneten einschlägt. Aber Farrah verfolgt einen Plan, und zwar mit hoher Konzentration. Aber was ist das für ein Plan? Ich mochte die Idee, eine Figur zu schreiben, die – ein bisschen wie in Pasolinis „Teorema“ – als Rätsel in diesen Film tritt, aber dann doch eine ganz diesseitige Dimension und einen völlig unerwarteten Hintergrund offenbart. Tala Al-Deen hat Farrahs Doppelspiel, finde ich, sehr eindrucksvoll in einer schwebenden Balance gehalten - eine Figur, die man lange Zeit nicht genau greifen, festhalten kann.
Und doch muss man immer wieder lachen. Noch ein Eindruck: Es ist – auch – ein lustiger, ein lustvoller Film.
Ja, es war ein schöner, befreiender und manchmal eben auch sehr lustiger Akt, diesen Film zu machen, trotz des Dramas und all der Intensität. Wir waren eine verschworene Truppe, die diese Geschichten unbedingt erzählen wollte. Wir sind verzweifelt, aber wir müssen auch viel darüber lachen, wie absurd sich die Welt und unser Leben anfühlt. Wie sollen wir damit umgehen? Solange wir über uns selbst lachen, können wir auf gesunde Weise kämpferisch bleiben. Das ist wichtig. Die Figuren mögen sich hilflos fühlen, aber sie lernen auch, dass sie einander helfen können. Dafür sind wir allemal noch gut auf dieser Welt.
Der nächste Eindruck: Der Film hat eine direkte Emotionalität, geht keine Umwege.
Wir haben wirklich versucht, etwas situativ einzufangen. Wir wollten nicht zu viele gedankliche Filter zwischen eine Situation und ihre Darstellung packen. Ich habe mein halbes Leben daran gearbeitet, eine Form der Zusammenarbeit zu finden, in der ich mit den Schauspielern ganz unmittelbar ins Situative komme, in den Augenblick. Ich finde es wichtig, dass man sich sehr ausführlich austauscht über die Welt eines Films und die Figuren und ihre Beweggründe. Aber dass man am Set loslässt und sich für den Augenblick entscheidet. Und dann nicht so genau weiß, worauf es hinauslaufen wird. Ich glaube, man merkt dem Film an, dass oft etwas passiert ist, während wir es machten. Da ist eine Unmittelbarkeit, nach der wir uns im Kino stets sehnen, weil sie ein kleines Wunder ist: dass etwas Besonderes, Einzigartiges zwischen Menschen in genau diesem Augenblick passiert inmitten all der Technologie, die einen am Set umzingelt, und trotz all der unendlichen Vorbereitung und Planung - etwas, womit keiner gerechnet hat.
Dahinter steht eine bestimmte Idee vom Kino.
Ich liebe das Kino gerade wegen all dieser Komplikationen. Weil es mir so zusagt, wenn einerseits die ästhetischen Herausforderungen groß sind, aber andererseits das, was die Menschen bzw. die Figuren verhandeln, eine Unmittelbarkeit hat, die mich mit ihnen auf Augenhöhe hält. Ich will „nah ran“, aber Subjektivität ist so ein verrücktes Ding, sie hat ja nicht nur mit unseren Körpern und unseren Sätzen und unseren Blicken zu tun, sondern auch mit unserer Fantasie, unserem Denkapparat, dem ganzen assoziativen Wirrwarr, das wir um uns herum arrangieren. Also möchte ich Filme machen, die die Subjektivität bei allen wichtigen Figuren in all ihren Facetten auslotet. Und dass dadurch plausible Menschenportraits entstehen. Wenn ich mir meine Arbeit ansehe, dann stelle ich fest, dass ich seit DREI auf einem Weg bin, der sich diesem spezifischen Interesse verschrieben hat.
Und wahrscheinlich ist die Reise mit BABYLON BERLIN auch ein entscheidender Schritt in diese Richtung gewesen, weil sie so lang war und man so unglaublich lange Zeiträume mit den Schauspieler:innenn verbringt, in denen man fast wie eine Familie zusammenwächst. Man kann sich bei einer Serie erlauben, auch einmal danebenzutreten und Fehler zu machen, man hat so viel Zeit, Scharten wieder auszuwetzen. Wenn der Grunddruck im Erzählerischen steht, gefällt das den Zuschauern sogar – also Fehltritte zu machen oder Umwege zu gehen – weil das eine Serie sozusagen „menschlich“ macht. Man kann eben mal nachlassen und sich dann wieder fangen, und dann sich vielleicht sogar übertreffen. Wie Menschen halt sind, die mal einen guten Tag haben und mal einen nicht so guten. Diese Amplitude mit Schauspieler:innen und den Figuren, die sie spielen, hat mir über die lange Entstehungszeit von BABYLON BERLIN beigebracht, wie ich nach und nach eine Augenhöhe zu ihnen, zum Team und dann zur jeweiligen Arbeitssituation entwickeln kann. Wenn ich in der kreativen Zusammenarbeit stets glaube, es besser zu wissen, ist Gefahr im Verzug.
Das ist eine Falle für den Filmemacher. Ich stehe mittendrin, aber mit allen gemeinsam. Ich muss die Übersicht behalten, aber die Kontrolle verlieren. Der Kameramann Christian Almesberger ist mir dabei eine große Hilfe, denn er beherrscht diese Form perfekt. Er bringt unendlich viel Vorüberlegtes mit und gibt dir dann trotzdem das Gefühl, dass wir hier und jetzt alles neu denken können. Ich liebe diese Eigenschaft und eifere ihm nach.
Anfang der Nullerjahre gab einer der aufstrebenden jungen amerikanischen Schriftsteller an sich und seine Kollegen die Devise aus, sie müssten aufhören, kleine Geschichten zu schreiben, nicht länger Nabelschau betreiben. Ihre Ambition müsste es sein, den großen amerikanischen Roman zu schreiben. Nach Covid hat man den Eindruck, dass es den bedeutenden Filmemachern ebenso geht: Die Zeit des Müßiggangs ist vorbei, wenn wir das Kino retten wollen, müssen wir jetzt alles in die Waagschale werfen und große Filme machen. War das eine Ambition bei der Umsetzung von DAS LICHT? Jetzt aber wirklich!?
Wenn du dich an einem Film versuchst, der die Gegenwart so facettenreich wie möglich einfangen soll und zugleich ganz von innen erzählt ist, dann ist „Ambition“ dein täglicher und natürlich etwas anstrengender Begleiter. Wichtiger aber ist ein Gefühl der Notwendigkeit, sich nicht mehr zu verstecken. Sich auszuliefern. Wenn ich mir jetzt den fertigen Film anschaue, bricht mir immer wieder der Schweiß aus, weil ich wirklich empfinde, dass wir etwas preisgeben und weil ich sehe, wie sehr wir alle auch ganz persönlich damit gerungen haben. Ich habe lange daran gearbeitet, mein erzählerisches Visier, das eine Art Sicherheitsabstand zum Zuschauer erzeugt, runterzulassen - und jetzt kann ich es nicht mehr hochklappen.
Man muss über den eigenen Schatten springen.
Irgendwann ist der Punkt da, da darf man sich nicht mehr verstecken hinter seinen ganzen Tools, seinen guten Ideen, hinter der eigenen Versiertheit. Karten auf den Tisch! Aber vielleicht ist das alles nicht interessant genug, was dahinter zum Vorschein kommt? Das Risiko ist einschüchternd. Doch die Filme, die für mich wirklich bleibende Kunstwerke sind, bei denen schwingt Subjektivität eben auf geheimnisvolle Weise in Einklang mit Universalität. Da passiert etwas, das man nicht versteht. Und das hat auch damit zu tun, dass die Künstler:innen, die das Werk verantworten, „losgelassen“ haben.
Dazu bedarf es auch des richtigen Casts.
Ja, das war für mich wohl selten so entscheidend. Menschen zu versammeln, mit denen man eine vertrauensvolle Gruppe baut, um eine Art Muschel zu haben, in die man sich gemeinsam zurückzieht und dieses Ding ausheckt. Das traf bei diesem Projekt auf alle Schauspieler:innen zu, aber insbesondere natürlich bei Lars und Nicolette. Wir spiegeln in besonderer Weise unsere persönlichen Erfahrungswelten. Und sie waren beide immer bereit und neugierig, alles auszuprobieren, alles zu hinterfragen, alles anzubieten, absolut vorbehaltlos. Diese Energie hat sich im ganzen Ensemble entfaltet. Wir wollten unsere „Meinung“ zu den Figuren draußen lassen, natürlich eine Haltung haben, aber sie die Menschen sein lassen, die sie sind, egal was sie machen. Situationen wie: Ein Vater kommt zu spät zum Abtreibungstermin seiner Tochter. Da schalten viele automatisch ab. Was soll das denn für ein Typ sein? Darauf kann ich nur antworten: Naja, weiß ich auch nicht. Aber wenn ich mir meinen Alltag und den Alltag der Menschen, die mich umgeben, anschaue, dann finde ich uns dauernd drastisch, nur geben wir das selten preis. Wir müssen damit umgehen, dass zum Beispiel dieser Vater, den Lars da spielt, so ist. Und wir müssen es trotzdem hinkriegen, dass er keine Figur wird, die wir als Zuschauer abwählen. Ich bin Lars so dankbar für seine Gabe, sich auszuliefern, sich komplett fallen zu lassen und trotzdem seinen Geist immer eingeschaltet zu lassen. Das ist so paradox und macht irre Spaß - und ihn einzigartig. Und in Nicolette habe ich das maximal kompetente weibliche Pendant gefunden. Wir standen manchmal morgens voreinander und ich sah in ihre Augen und dachte: du meine Güte, die ist ja sowas von bereit! Die ist schon gesprungen! Ich muss schnell hinterher springen! Und während wir fielen, haben wir besprochen, wie wir unten aufkommen wollen.
Schauspieler:innen haben oft ihre ganz eigenen Tricks, ihr Repertoire, ihre Manierismen, Fallback-Lösungen für den Notfall, wenn man so will, womit sie Szenen manchmal aber auch torpedieren. Mein Eindruck ist, dass sie das in diesem Film alles weggelassen haben. Und in die Szenen zu gehen, als würden sie die jeweiligen Situationen erstmals betreten, ungeschützt, fragil, verletzbar. Es gab aber auch die Übereinkunft: Wenn wir alle mitmachen, dann beschützen wir uns gegenseitig.
Ja. Alle waren dabei. Auch die jungen Spieler:innen, die waren lustigerweise die kompetentesten von uns, weil sie nicht so neurotisch sind wie die Erwachsenen. Sie waren ein bisschen auch unsere Vorbilder, unsere Lehrer, weil sie entschlossener in das Durcheinander hineinmarschieren. Sie sind ein halbes Leben von uns entfernt, die wir uns heimlich ja doch schon längst in unseren Widersprüchen verheddert haben. Damit haben sie noch nicht so viel zu tun. Sie haben eine Gelassenheit und gleichzeitig eine Entschlossenheit, schauspielerisch wie auch in ihrer Haltung zur Welt, die ich beeindruckend finde.
Info:
Besetzung
TIM ENGELS LARS EIDINGER
MILENA ENGELS NICOLETTE KREBITZ
FARRAH TALA AL-DEEN
FRIEDA ENGELS ELKE BIESENDORFER
JON ENGELS JULIUS GAUSE
DIO ELYAS ELDRIDGE
GODFREY TOBY ONWUMERE
KARIM MUDAR RAMADAN
ALIA JOYCE ABU-ZEID
Stab
Drehbuch und Regie TOM TYKWER
©ndr
Abdruck aus dem Presseheft