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Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die Filmgeschichte ist voll von berühmten Regisseuren, die eine regelrechte Vorliebe für Plansequenzen entwickelten. Manchmal war es nur eine bestimmte Schaffensphase, in der sie das Mittel verstärkt einsetzten, manchmal durchzieht es das gesamte Werk. Zu letzter Kategorie gehört Max Ophüls. Schon sehr früh hat er die Kamera in Bewegung gebracht, etwa in Filmen wie LIEBELEI (DE 1933) oder LA SIGNORA DI TUTTI (IT 1934), noch mehr aber in seinen späteren französischen Werken LA RONDE (1950), LE PLAISIR (1952) und MADAME DE… (1953), in denen nicht nur viel getanzt wird, sondern Ophüls die Kamerabewegung selbst als Tanz inszeniert; etwa wenn die Kamera um die Tanzenden herum oder immer wieder (scheinbar) durch Wände hindurch fährt.
Der eigentlich für seine brillanten Montagen (wie in der berüchtigten Duschszene aus PSYCHO, US 1960) berühmte Alfred Hitchcock, setzte Plansequenzen zunächst nur vereinzelt ein, bevor er Ende der 1940er Jahre mit zwei Filmen Rekorde aufstellte, was die Verwendung ungeschnittener Einstellungen betrifft. In UNDER CAPRICORN (GB 1949), experimentierte Hitchcock mit sehr vielen, sehr langen Sequenzen.
Der emotionale Monolog von Ingrid Bergman dauert fast zehn Minuten, was vom Verleih als bis dato längste Kameraeinstellung der Filmgeschichte vermarktet wurde. Filmhistorisch noch bedeutsamer ist bei diesem Thema jedoch ROPE (US 1948). Er ist der erste Film der Filmgeschichte, in dem der Versuch unternommen wurde, ihn in einem Durchgang zu erzählen, ohne Unterbrechung und ohne Schnitt. Was damals angesichts der begrenzten Länge und somit Aufnahmekapazität von 35mm-Filmrollen nicht möglich war, weshalb Hitchcock die allermeisten der wenigen Schnitte geschickt versteckte. Weitere berühmte Long-Take-Regisseure aus den ersten Jahrzehnten des Tonfilms wären etwa Jean Renoir, Carl Theodor Dreyer, Kenji Mizoguchi und nicht zuletzt Orson Welles. Ohne dessen innovatives Meisterwerk CITIZEN KANE (US 1941) gäbe es den Begriff Plansequenz möglicherweise gar nicht.
Ausgehend von CITIZEN KANE nämlich prägte der Filmtheoretiker André Bazin erstmals den Begriff der Plansequenz („plan-séquence“) als Einstellung, die aus einer einzigen Sequenz ohne Schnitte besteht, und dabei neben Kamerabewegungen auch häufig mit Tiefenschärfe arbeitet. Letzteres ermöglicht eine gleichzeitige Inszenierung des Vorder- und Hintergrunds. Bazin nahm dies als Grundlage für eine neue Filmtheorie, die die Plansequenz als Basis eines neuen, realistischen Kinos ausruft: Er war der Ansicht, dass diese Art der Ästhetik näher an der menschlichen Realität sei als von kunstvoller Montage dominierte Filme. Bazins filmtheoretische Ausführungen gehören zu den bedeutendsten des 21. Jahrhunderts, auch wenn nicht alle Aspekte unumstritten sind und von anderen Autor:innen teils widerlegt oder relativiert wurden.