Julie bleibt still1Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 24. April 2025, Teil 10

Margarete Ohly-Wüst

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Die Schülerin Julie (Tessa Van den Broeck) ist eine talentierte, disziplinierte und zielstrebige Tennisspielerin. Sie spielt Tennis an einer belgischen Tennisakademie. Als Starspielerin dieser Elite-Jugendtennisakademie dreht sich Julies Leben vor allem um den Sport, den sie liebt. Sie trainiert hart und unterbricht ihr Training nur für den Schulunterricht oder die Physiotherapie, bevor sie ins Fitnessstudio zurückkehrt. Privatleben oder Freunde hat sie kaum. Sie ist fest entschlossen, es in den belgischen Tennisverband zu schaffen.


Als die vielversprechende Nachwuchsprofispielerin Aline eines Tages Suizid begeht, wirft man ihrem Trainer Jérémy (Laurent Caron) seine ungewöhnlichen Trainingsmethoden vor. Daraufhin beurlaubt die Tennisakademie Jérémy, der in letzter Zeit auch Julies Trainer war.

Die hart trainierende Julie muss sich nun an den neuen Coach Backie (Pierre Gervais) gewöhnen. Dabei rechnet sie lange Zeit noch mit der baldigen Rückkehr von Jérémy, der sie stark beeinflusst und gefordert aber auch gefördert hat. Obwohl sie mit den neuen Trainer gut zurecht kommt, hält sie die Verbindung zu Jérémy aufrecht.

Akademieleiterin Sofie (Claire Bodson) lädt Spieler und Spielerinnen zu Einzelgesprächen, in denen es um ihre Erfahrungen mit Jérémy gehen soll. Daraufhin wird auch Julie mit Fragen bombardiert, da es im Verein kein Geheimnis ist, dass die Beiden ein sehr enges Verhältnis miteinander hatten. Es wird versucht den Vorfall aufzuklären und schnell stehen Missbrauchsvorwürfe im Raum. Doch Julie beschließt, zu dem Thema zu schweigen, als sie zu den Vorfällen befragt wird, und konzentriert sich lieber auf ihren Sport.

Auch wenn ihr Umfeld den starken Verdacht hegt, dass Julies Beziehung zu Jérémy bestenfalls unangemessen war, beginnt ihr beharrliches Schweigen Bände zu sprechen. Verwirrt und voller Angst verlagert sich der Druck, den sie einst ausschließlich auf das Training kanalisiert hat, nach innen und beeinträchtigt ihr Selbstvertrauen, ihre Konzentration und ihr Spiel.

Trotzdem trainiert sie stoisch weiter und will es unbedingt in die ″Junior Pro″ des belgischen Tennisverbands BTF schaffen, auch wenn es in ihr brodelt. Dann allerdings bittet sie ihr neuen Coach Backie, dass er sie weiter trainieren soll, auch wenn Jérémy zurückkommen sollte.

Als Julie aber erfährt, dass Jérémy nicht mehr in ihrem aber in einem anderen Club wieder als Trainer arbeiten wird, muss sie dann doch eine Entscheidung treffen…


Julie bleibt still2Das Drama ″Julie bleibt still″ (flämischer Originaltitel: ″Julie zwijgt″, internationaler Titel: ″Julie Keeps Quiet″) ist ein belgisch-schwedisches Filmdrama über eine jugendliche Tennisspielerin, deren Trainer wegen eines schlimmen Verdachts suspendiert wird. Der Film ist Leonardo Van Dijls Spielfilmdebüt. Van Dijl hat auch zusammen mit Ruth Becquart das Drehbuch geschrieben. In der Originalfassung wird sowohl Flämisch als auch Französisch gesprochen.

Das Drama, das ein nicht nur im Sport sehr heikles Thema anspricht, feierte im Mai 2024 bei den Internationalen Filmfestspielen in Cannes seine Premiere, wo der Regisseur für die Caméra d’Or nominiert wurde. ″Julie bleibt still″ wurde außerdem von Belgien als Beitrag für die Oscarverleihung 2025 als bester Internationaler Film eingereicht, er hat es aber nicht in die Endauswahl geschafft. Der Film befand sich außerdem in der Vorauswahl zum Europäischen Filmpreis 2024 und erhielt viele weitere Nominierungen und Auszeichnungen bei kleineren Festivals.

In Deutschland wurde ″Julie bleibt still″ von der FBW Jugend Filmjury mit 3,5 von 5 Sternen bewertet, da in dem Drama von Regisseur Leonardo v. Dijl Julie nach einer eigenen Position zu den Vorwürfen an ihren Trainer ringt. Dabei arbeitet der Film nur sehr sparsam mit Musik (von Caroline Shaw), die auf diese Weise nicht als künstlicher Gefühlsverstärker wirkt. Dazu passt die behutsame Erzählweise, die Pausen und auch längere schweigsame Sequenzen zulässt. Deshalb empfiehlt die Jury das realistische Drama für ein geübtes Publikum ab 14 Jahren, das bereit ist, sich auf die langsame Erzählweise ohne Action einzulassen und in die Rolle eines geduldigen Beobachters zu schlüpfen.

Die Titelrolle als Julie spielt die Nachwuchsschauspielerin Tessa Van den Broeck. Es handelt sich um ihre erste Filmrolle. Sie spielt auch im wirklichen Leben Tennis, so dass sie ihre vielen Tennis-Szenen selbst drehen konnte. Van den Broecks Tennisclub ist ebenfalls an der Produktion beteiligt und mehrere ihrer Freunde spielen auch im Film mit.

Tessa Van den Broeck spielt Julie mit beeindruckender und zugleich vielsagender Zurückhaltung. Wenn sie ihre Augen scheinbar auf nichts richtet oder sich den Schulaufgaben widmet, während beunruhigende Bemerkungen in ihrer Nähe fallen, will sie unbeteiligt wirken. Man ahnt, dass sich Julie gerade den Kopf zermartert über ihren Trainer Jérémy und die tote Sportlerin, sowie über ihre eigene Erfahrung mit ihm.

In den vielen Szenen auf dem Tennisplatz oder beim Hallentraining sieht man als Zuschauer, wie eisern und hochmotiviert Julie täglich trainiert und wie wichtig ihr der Erfolg ist, denn im Gegensatz zu dem meisten anderen Spielern und Spielerinnen stammt sie nicht aus einem begüterten Haushalt und kann ihren Sport nur ausüben, weil sie als hervorragende Spielerin keinen oder kaum Betrag für die Trainerstunden und die Platznutzung zahlen muss.

Dabei bildet das Training einen interessanten Kontrast zu ihrer sonstigen Schweigsamkeit, die auch eine gewisse Unsicherheit und Bedrängnis erkennen lässt. Das Drama lässt Julie Zeit, innerlich eigene Entscheidungen zu treffen, während sie nach außen weiterhin funktioniert. Erst ganz langsam erkennt man, dass sich auch bei Julie etwas verändert und sie letztendlich in der Lage ist, ihre Schweigsamkeit aufzugeben und selbst Stellung zu nehmen.

Laurent Caron spielt Julies suspendierten Trainer Jérémy und Pierre Gervais ihren neuen Trainer Backie. Claire Bodson ist als Sofie zu sehen, die die Akademie leitet. In weiteren Rollen sind Koen De Bouw als Julies Vater Tom und Drehbuchautorin Ruth Becquart als Julies Mutter Liesbeth zu sehen.

Der Film veranschaulicht hervorragend die Kurzsichtigkeit, die es braucht, um Profisportler zu werden. Julie ist zwar jung, naiv und leicht zu beeinflussen, doch sie ist nicht dumm, und daher schweigt sie lieber, denn sie hofft zu Beginn immer noch, dass ihr alter Trainer zurückkommt.

In Laufe des gesamten Film erfährt man nicht viel über Julies Inneres. Durch die beobachtende statische Kamera von Nicolas Karakatsanis kann der Zuschauer zwar sehen, wie sie nachdenkt und versucht, sich zu positionieren, doch sie findet keine Sprache, um über das Geschehene zu reden. Deshalb bleibt sie ihren Mitmenschen gegenüber verschlossen. Dadurch gibt es immer wieder nur Hinweise, dass Julies Trainer Jérémy auch sie möglicherweise seelisch und/oder auch physisch missbraucht hat. Dabei sind besonders zwei Szenen hervorzuheben, so hat sie ein längeres Gespräch mit ihrem ehemaligen Trainer in einem Café, bei dem sie zurückzuckt, als er sie anfassen will und erst spät bittet sie ihren neuen Trainer Backie, sie – statt Jérémy - zu einem wichtigen Turnier zu begleiten.

Julie bleibt still3Insgesamt ist ″Julie bleibt still″ ein kluges, spannungsgeladenes und vor allem sehr stilles Drama über eine Tragödie, ein mögliches Verbrechen und vor allem, wie eine junge Tennisspielerin damit umgeht. Der Film von Regisseur Leonardo Van Dijl zeigt deutlich, dass Julie durch die Vorfälle aber auch durch das Verhalten der Anderen zerrissen und verletzlich bleibt. Deshalb wird ihr Schweigen für sie selbst auch zu einem Selbsterhaltungstrieb.

Da das Thema sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen auch im Sport ein nicht zu vernachlässigendes Thema ist, lohnt es, sich den nachdenkenswerten Film im Kino anzusehen.

Foto 1: Julie (Tessa Van den Broeck) © Eksystent Filmverleih
Foto 2: Julie (Tessa Van den Broeck) und ihr neuer Trainer Backie (Pierre Gervais) © Eksystent Filmverleih
Foto 3: Julie (Tessa Van den Broeck) und Backie (Pierre Gervais) trainieren gemeinsam Kinder © Eksystent Filmverleih

Info:
Julie bleibt still (Belgien, Schweden 2024)
Originaltitel: Julie zwijgt
Genre: Drama, Sport
Filmlänge: ca. 100 Min.
Regie: Leonardo Van Dijl
Drehbuch: Ruth Becquart, Leonardo Van Dijl
Darsteller: Tessa Van den Broeck, Ruth Becquart, Koen De Bouw, Claire Bodson, Laurent Caron, Tijmen Govaerts, Sofie Decleir, Pierre Gervais u.a.
Verleih: Eksystent Filmverleih
FSK: ab 12 Jahren