
Redaktion
Berlin (Weltexpresso) – Herr Qurbani, was war die Initialzündung für diesen Film?
Ich war nach der Premiere meines letzten Films, Berlin Alexanderplatz, auf dem Weg in ein tiefes Loch. Das wurde zusätzlich dadurch verstärkt, dass auf den Premierenapplaus im Berlinale-Palast keinen Monat später die erdrückende Stille des ersten Corona-Lockdowns folgte. Wie so viele von uns habe ich in dieser Zeit nicht viel tun können. Erst war ich dankbar für diese erzwungene Auszeit, aber dann wurde die innere Dunkelheit richtig schlimm, die Wände der eigenen Wohnung unerträglich eng. In dieser Zeit bin ich auf Instagram über ein Foto gestolpert, das in mir ganz viel ausgelöst hat: ein Bild der Fotojournalistin Tanya Habjouqa. Darauf waren mehrere Mädchen zu sehen, die sich auf ein Theaterstück vorbereiteten: Eine wüste Berglandschaft. Ein Mädchen hat sich schon geschminkt, mit Lippenstift ein großes rotes Herz auf der Wange – wie eine Ansage.
Ein anderes Mädchen drapiert eine goldene Krone auf ihrem Kopftuch und checkt im Spiegel, ob der königliche Kopfschmuck richtig sitzt. Das geschminkte Mädchen schaut grimmig, als gehöre die Krone eigentlich ihr… Das hat mich total berührt und eine Fantasie aufgemacht. Ich dachte: Das muss Shakespeare sein, was die Mädchen da proben, oder? Nein – sie machen Richard III. Am Ende dieser Assoziationskette stand der Gedanke: Wie wäre es, wenn ich diesen Richard III. hier in Berlin, aber mit einer arabischen Frau als Hauptfigur umsetze? Das war im Frühjahr 2020.
Frau Maci, wie haben Sie reagiert, als Burhan Qurbani Sie ansprach?
Ich habe zuerst noch einmal Richard III. gelesen. Das Stück ist zum einen ein Propagandastück, das nachträglich den Sieg des Hauses Lancaster über das Haus York gleichsam moralisch legitimieren soll. Aus den Lancasters werden später die Tudors, zu denen auch Elisabeth I. gehörte. Zum anderen ist es ein Stück über die Verformung, die aus der Macht kommt. Bei Heiner Müller heißt es über die DDR-Nomenklatura: „Die ersten Gefangenen des Systems sind die Führer, die herrschende Schicht ist die unterdrückte.“ Und das gilt für meine Begriffe nicht nur für Richard, sondern für alle Figuren des Stücks. Was Richard von den anderen aber unterscheidet: Seine Verformung kommt nicht aus dem Bürgerkrieg. Sie geht ihm voraus. Im Krieg aber spielt sie keine Rolle. Seine Hässlichkeit ist in dieser Zeit sozusagen unsichtbar gewesen. Er will keinen Frieden, sondern dass die Gewalt immer weiter geht, weil er ihr nichts anderes entgegensetzen kann. Die Intrigen und Lügen, die Morde und die Verzweiflung: Er genießt das alles sogar. Er ist ein absolut schamloser Bösewicht. Ich fand es sofort einleuchtend, Richard als Frauenfigur zu erzählen, eine Welt zu zeichnen, in der das Frausein selbst eine Deformation ist, ein unüberwindlicher Makel.
Was ich auch wichtig finde: Der Adel in Richard III. IST der Staat. Er trägt die absolute Macht, die reine Staatsgewalt, gleichsam im Körper. Sie wird legitimiert durch Gottes Gnaden. Die Religion ist eine Funktion der Macht. Auch dafür wollten wir eine Entsprechung finden, für diese Konzentration von Herrschaft ohne kontrollierende Institutionen. Natürlich sind die Lancasters und die Yorks nichts anderes als Gangster, die mit dem Leben anderer Leute hantieren als wär‘s nix. Und das in dem ständigen Wissen, jederzeit selbst dran sein zu können.
Sie kannten einander nicht. Wie haben Sie sich angenähert? Und wie genau sah Ihre Zusammenarbeit aus?
BQ: Ich wusste, dass ich mit den Dialogen von Shakespeare arbeiten wollte, aber alle Übersetzungen, die ich kannte, waren schon älter und alle von Männern aus einer anderen Zeit gemacht worden. Ich hatte im Jahr davor einen Text für das Theater in Dortmund geschrieben und den dortigen Chefdramaturgen, Michael Eickhof, gefragt, ob er jemand kennt, der oder die mit mir Richard III. übersetzen könnte. Enis war ganz oben auf seiner Liste. Ich habe mir Enis’ Essayband „Eiscafé Europa“ gekauft – und verschlungen. Enis’ Sprache und der Pfad ihrer Gedanken haben mich total gepackt. Und obwohl das ein wenig crazy war, habe ich sie angeschrieben. Wir haben uns getroffen… und naja, nun feiert der Film Premiere auf der Berlinale.
EM: Ich würde sagen, wir haben uns über den Text angenähert. Wir haben gelesen, gesprochen, versucht zu verstehen, was das alles für uns heute bedeutet. Das Stück ist kein psychologischer Stoff. Shakespeare versucht nicht, Richards Handeln als plausibel darzustellen. Richard ist böse zur Welt gekommen. Er hat eine Lust an der Vernichtung. Er will, dass die Welt leer und nichtig wird, wie sein Inneres. Aber was bedeutet das? Will er Rache? Wofür? WARUM handelt Richard so? Das Stück lässt da eine Leerstelle, die eigentlich ein Abgrund ist. Und da liegt sie verborgen, die Verletzung, die nicht zu heilen ist. Die aus einem Vorher kommt, vor den Zuschreibungen, vor der Gewalt. WOHER also kommt sie? Um diese Frage kreist der Film.
BQ: Gerade diese Gespräche haben mir als Regisseur sehr geholfen, dem Stoff und vor allem der Hauptfigur näher zu kommen. Lesen, reden und sich am Text abarbeiten. Motivation und Psychologie durchkauen. Den historischen Kontext verstehen, denselben einordnen und Parallelen finden. Das klingt sehr verkopft, aber das hat in dieser Anfangszeit so eine Art Grundstein für die weitere Entwicklung gelegt. Bald hat Enis angefangen, einzelne Szenen in ihrer Sprache ins Deutsche zu übersetzen. Das war meist der nackte Dialog. Den hab ich genommen und ein Drehbuch drumherum gebaut: Plot, Atmosphere, Mis en Scéne.
Was genau hat Sie an Shakespeare interessiert? Warum „Richard III.“?
BQ: Ich bin mit Shakespeare aufgewachsen. Geht ja gar nicht anders, wenn du hier zur Schule gehst. Richard III. war schon immer mein Lieblingsstück von Shakespeare. Es ist nicht sein bestes Stück, aber Richard ist meine Lieblingsfigur im William Shakespeare cinematic universe, sozusagen. Es ist im Grunde das dritte Mal, dass diese Figur in meinen Filmen auftaucht: Joel Basman als Robbie in Wir sind jung. Wir sind stark., Albrecht Schuch als Reinhold in Berlin Alexanderplatz. Und nun Kenda Hmeidan als Rashida in KEIN TIER. SO WILD.… drei komplett unterschiedliche Kontexte, aber immer wieder Richard … Also kein moderner Stoff, sondern eine zeitlose Figur.
EM: Die Frage nach der Freiheit der Einzelnen und ihren Grenzen, nach der Gewalt, die sich als Gegengewalt legitimiert oder nicht legitimiert, je nachdem, die Frage nach den Verletzungen, die man nicht loswird, auf die schwer den Finger zu legen ist, als juckte es, und man müsste kratzen, wüsste aber nicht wo – auch in meinen Augen ist das eben genau das: zeitlos.
BQ: Wenn ich noch was hinzufügen darf: Das Ding mit der Kunstsprache, der theatralen Sprache von Shakespeare, hat auch etwas seltsam Befreiendes. Die Überschreibung eines klassischen Stoffes macht ein anderes Spiel mit Position und Gegenposition möglich. Bekannte Orte neu besetzen. Abgenutzte Bilder umdeuten. Den Basston des Subtexts zum Refrain erklären. Die vierte Wand aufbrechen und die ZuschauerInnen zu KomplizInnen machen im Spiel der Hauptfigur.
Können Sie formulieren, was für einen Film Sie sich vorgestellt haben?
BQ: Ich glaube, dass ich am Anfang an eine recht konventionelle, texttreue Adaption des Stoffes dachte. Neuinterpretiert, aber darin recht stringent. Was auch heißt, mit denselben Wegbegleitern zu arbeiten, eine gewisse Ahnung zu haben, wie das Endprodukt aussehen wird. Das war mir nicht ganz geheuer. Da habe ich mich innerlich schon angefangen zu fragen, ob ich mich jetzt wiederhole. Dann, zu Weihnachten ’22, war ich bei einer Show von Florentina Holzinger an der Volksbühne in Berlin. Das war eine wilde, anarchische, furchtlose und sehr persönliche Arbeit. Da kam die Idee dazu, den konventionellen Erzählrahmen zu sprengen und eine zweite, eine innere Welt für Rashida aufzumachen. Nicht als Rückblende, sondern als einen eigenständigen Raum. Meine Szenenbildnerin, Jagna Dobesz, hat mir kurz darauf, das Bild einer Kunstinstallation gezeigt: Ein Zelt, dessen Inneres völlig verschlammt war. Der Kadaver einer Couchgarnitur im Vordergrund. Kisten, wie Hilfspakte im Hintergrund. Da hat es bei mir Klick gemacht. Ich musste da an die Ölkriege meiner Jugend denken: Kuwait, Irak, Iran, später die Ölfelder in Syrien… Und Rashidas innere Welt als einen lebendigen, von Zerstörung gezeichneten, immer weiter verschlammenden Ort zu bauen. Beim Drehen hieß der Ort dann auch immer nur: THE CLICK.
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