Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 29. Mai 2025, Teil 2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – „Ich bin nicht objektiv“, war das erste, was ich äußerte, als ich nach der Pressevorführung zu meinem Eindruck des neuesten Films von Wes Anderson befragt wurde. Damit heute Kritiken zu den anlaufenden Filmen in Zeitungen erscheinen können, gibt es - manchmal viele Wochen, manchmal unmittelbar - zuvor am Vormittag Vorführungen für die Presse, an die sich sowohl eine Befragung wie auch immer wieder lebhafte Diskussionen von Kolleginnen und Kollegen anschließen. „Ich bin nicht objektiv, weil ich stunden- , ja tagelang Filme von Wes Anderson anschauen könnte, ganz egal was, einfach den skurrilen Einfällen, den Farben folgen und an der Crème de la Crème der Schauspieler Spaß haben.“
Wes Anderson ist Texaner. Er liebt europäische Geschichten und dreht mit kräftiger staatlicher Förderung aus Deutschland sehr gerne im Studio Babelsberg seine Filme. Diesmal hat Anderson mit dem Phönizischem ein Faß aufgemacht. Im Original heißt der Film übersetzt: Das phönizische Schema, Plan, Programm und es geht um ein Projekt im Nahen Osten mit gewaltigen Gewinnaussichten, dem antiken Phönizien, das der so reiche wie halbseidene Großmogul Zsa-Zsa Korda in den Fünfziger Jahren, also ein Nachkriegsprojekt, an Land ziehen will. Da geht es um die Levante, die vom heutigen Libanon und südlichen Syrien über das nördliche Israel bis weit unterhalb von Gaza geht. Das historische Phönizien hatte sogar Kolonien in Nordafrika, wie die Stadt Karthago, bestand aber nicht aus einem einheitlichen Reich, sondern bildete eine Ansammlung von bedeutenden Stadtstaaten. Daß wir den Phöniziern das Alphabet verdanken, kommt hinzu. Das alles ist Hintergrund.
Im Vordergrund lernen wir in den ersten Szenen im wackelnden Flugzeug den verwegenen Zsa-Zsa Korda (Benicio del Toro) kennen, der seelenruhig ein Buch liest, während das hintere Flugzeugteil mit seinem Mitarbeiter über den Wolken durch eine Exploion, die sicher dem Korda galt, abgetrennt wird. Auch diesen Flug wird er also überstehen, wie er schon etliche Flugzeugabstürze überlebt hat. Er ist unverwüstlich und das, was man im Spanischen einen Hombrón nennt, einen gestandenen Mann, der im Zeitgeschmack doppelreihige Nadelstreifenanzüge trägt, mit den Elephantenhosen von damals; er ist den Genüssen von Speis und Trank zugetan und als Gestalt kein Handtuch wie die heutigen Spitzenmanager mit Gesundheitsprogramm, die übrigens auf Fotos niemals Bücher lesen, sondern angesagte Journale, die meist Nichtraucher sind und sicher nicht so viel trinken wie dieser Korda. Del Toro spielt die Rolle nicht, er ist auf wunderbare Weise dieser geschäftstüchtige Abenteurer. Mehr als zwielichtig, wenn man an seine verstorbenen drei Ehefrauen denkt, von denen es heißt, er habe sie ermordet. Das ist dann doch zuviel. Sein Name ist eine kleine Andersonsche Frechheit. Denn Zsa Zsa ist ein Mädchenname, der zum einen aus dem Hebräischen stammt, aber auch als Abkürzung der ungarischen Zsuzsanna gilt. Natürlich wird im Filmzusammenhang an die aus Ungarn stammende, fast 100 Jahre alt gewordene Zsa Zsa Gabor erinnert, gefeierte Diva in Hollywood, inzwischen mehr ihrer insgesamt acht Ehen wegen berüchtigt, während Korda an den aus Ungarn stammenden Sándor Korda erinnert, der als Alexander Korda in London ein berühmter Filmregisseur und Filmproduzent wurde und gerade für Abenteuerfilme wie STURM ÜBER DEM NIL, DAS DSCHUNGELBUCH, DER DIEB VON BAGDAD steht, die alle einen ähnlich orientalischen Touch haben, der aber auch DER DRITTE MANN produzierte.
Das muß man alles nicht wissen, aber das Zuschauen macht noch mehr Spaß, wenn man um die hintergründigen Assoziationen weiß. Das gilt auch für die Gilde berühmter Filmstars, die hier ihre Aufwartung machen und teils Kürzestrollen übernehmen: Bill Muray hat als Gott beim ständigen Überleben des Helden seine Hand im Spiel, der fiese Halbbruder (trotz gewaltiger Maske wiederzuerkenne: Benedikt Cumberbatch) will seinen Tod. Auch dabei: Charlotte Gainsborough, Willem Defoe, Scarlett Johansson...Aber Michael Cerra spielt richtig mit. Er ist eigentlich Geheimagent, der Korda ausforschen soll, dreht sich dann aber selbst um, eigentlich ist er Insektenforscher und seine Leidenschaft beschäftigt ihn mehr als seine ihm zugedachte Rolle und das ist dann derart schräg, daß man mit offenem Mund seinen diesbezüglichen Ausführungen lauscht. Er weilt nun fest an des Meisters Seite und bildet mit Tochter Liesel das Triumvirat, wenn man Liesels männliche Eigenschaften wertet.
Dieser Korda ist eine Provokation für seine Feinde, die er ständig überlistet, auch wenn sie ihm noch so sehr ans Leder wollen. Aber auch er ist endlich und denkt angesichts seinesGeschäftsimperiums an die Nachfolge. Zwar hat er eine Menge Söhne, aber denen traut er nicht über den Weg, traut ihnen nichts zu, im Gegensatz zur einzigen Tochter, die er hat, die ihn bisher kaum kennt und er sie auch nicht, die er aber jetzt herbeizitiert. Liesel kommt auch, mehr widerwillig und in Ordenstracht, denn sie, sehr religiös, will gerade die letzten Gelübde als Ordensschwester ablegen.
Vor Liesels Augen entwickelt er mit Hilfe von in Schuhkartons gesammelten Unterlagen seinen phönizischen Meisterstreich, nämlich wie er alle anderen überlisten will und den dicken Reibbach einstreicht. Er ist für seine Tochter (Mia Threapleton) überzeugend, auch wenn er letztlich nicht ihren Argwohn, ob er die Mutter umgebracht hat, widerlegen kann. Sie wird mit der gleichen Verve seine Geschäftspartnerin und potentielle Erbin, wie sie zuvor die fromme Ordensschwester gab . Die junge Schauspielerin, Tochter von Kate Winslet, ist ein gestandenes Gegenüber. Allerhand. Und im Filmverlauf eine nachträgliche Bestätigung der väterlichen Erbfolge.
Es gilt gegen das Kartell, ein Konsortium seiner Gegner aus Übersee, das auf seine finanzielle Vernichtung und die Aufteilung seines Geschäftsimperiums zielt, mit Schirm, Charme und Melone und einem gewaltigen Maß an Chuzpe so zu reagieren, dass die Gegner vernichtet und der finanzielle Gewinn in die eigene Tasche fließt. Und hier kommt die reale Geschichte unserer Gegenwart ins Spiel. Wes Anderson konnte bei der Konzeption seines Films und dem Drehen noch nicht wissen, daß in Syrien der Diktator Assad angesichts der militärischen Erhebungen aus Idlib unter Mitnahme der prall gefüllten Staats- und Korruptionskasse nach Moskau floh, daß Israel in einer mörderischen Aktion Gaza zerbomt und ein gewisser US-Präsident angesichts dessen von blühenden Landschaften und einem gewaltigen Aufbauprogramm nicht nur träumt, sondern wagt, die auszusprechen und von dem entsprechenden Gewinn phantasiert, wenn dort investiert wird. Der neue syrische Machthaber Ahmed al-Sharaa hat versichert, er wolle Syrien wieder zu dem Vielvölker-, Vielsprachen- und Vielreligionenstaat machen, wie er Jahrtausende bestand. Im Libanon gibt es auch genug zu reparieren sowie neu zu gestalten. Das ganze alte Phönizien schreit nach Investitionen, nach Aufbau, nach Geschäftemacherei, nach einem Wirtschaftswunder der Fünfziger und Sechziger Jahre Westdeutschlands. Das, wie gesagt, konnte Anderson nicht wissen, aber auch ohne die Aktualität stand die Levante immer für blühenden Handel und ihre Bewohner galten historisch als besonders versierte Händler, was die Libanesen, die ihr Land verließen, auch in den USA vormachen. Es ist also kein Zufall und schon gar keine Phantasterei, wenn Anderson das ganz große Geschäft, das das Konsortium Korda vermiesen und selbst einstreichen will, 'phönizisch' nennt.
Zugegeben, im zweiten Teil hat DER PHÖNIZISCHE MEISTERSTREICH Längen und auch die Geschichte von den Gegnern des Meisterstreichers – bitte den Verlauf im Artikel meiner Kollegin nachlesen, die ihn detailliert beschreibt – wird allzu verwickelt, aber das ist alles egal, weil es gar nicht nur um einen Film geht, sondern Wes-Anderson-Filme grundsätzlich Kunstwerke sind, die man staunend erlebt: diese skurrilen, irrwitzigen Geschichten, sprachlich die so spitzfindigen wie ungewöhnlichen Dialoge, von den in Pastell getönten Farben her, wo jede Einstellung wie ein Gemälde wirkt, und ganz besonders, was filmische Mittel angeht. Diesmal ist der Film nämlich von rechts nach links erzählt. Wie eine Bildgeschichte, die man umblättert. Normalerweise laufen Filme von oben nach unten, das ist das Herkömmliche, so funktionierten die ersten Projektoren, die Kinematographen.
Wie gesagt, ich wäre noch stundenlang im Kinosessel sitzen geblieben und hätte Wes-Anderson-Bildergeschichten weitergeschaut. Doch eine Kollegin, mit der ich in der Regel die Einschätzung von Filmen teile, schrieb mir dazu, dass sie wieder so darauf gebaut habe, dass sie endlich vom Wes-Anderson-, nein nicht Fieber, aber doch – Einverständnis erfaßt würde, doch nein, wieder fand sie es nur sehr angestrengt. Die Geschmäcker sind verschieden, aber für einen selber gilt halt die eigene Meinung, die lautet: Dieses Kunstwerk muß man sehen, man kann es sogar wiederholt anschauen. Schon damit man die erwähnten, fein dosierten und oft halb versteckten Feinheiten mehr und mehr sehen, hören und verstehen lernt.
Foto:
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Info:
Der phönizische Meisterstreich (USA, Deutschland 2025)
Originaltitel: The Phoenician Scheme
Regie: Wes Anderson
Drehbuch: Wes Anderson
nach einer Story von Wes Anderson & Roman Coppola
Darsteller: Benicio del Toro, Mia Threapleton, Michael Cera, Scarlett Johansson, Tom Hanks, Bryan Cranston, Mathieu Amalric, Benedict Cumberbatch, Rupert Friend, Riz Ahmed, Charlotte Gainsbourg, Antonia Desplat, Imad Mardnli, Mohamed Chahrour, Max Mauff, Volker Zack, Jeffrey Wright, Richard Ayoade, Hope Davis, Bill Murray u.a.
Verleih: Universal Pictures Germany