Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 19. Juni 2025, Teil 7
Christel Schmidt
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ein rätselhafter Filmtitel. Zikaden, Was soll das bedeuten?
Regisseurin Ina Weisse bietet auf ihrer Kinotour im Cinema Frankfurt Interpretationen an. Zikaden. Zirpende Insekten, die man aus mediterranen Ländern kennt. Der Sound des Sommers. Und ihr Film spielt ja im Sommer. In Brandenburg. Auch hier treten mittlerweile Zikaden auf. Und sie stehen für die Regisseurin für das Verborgene, nicht Sichtbare. Man kann die Zikaden immer hören, aber nie sehen. Vor diesem Hintergrund ist der Titel gut gewählt. Denn der Film erzählt sehr atmosphärisch und assoziativ von zwei Frauen. Von ihrem Unterschieden, und von ihren Gemeinsamkeiten. Und die kann man auf den ersten Blick überhaupt nicht erkennen.
Da ist Isabell, die elegante, kühle Immobilienmaklerin, die alles im Griff zu haben scheint. Von Nina Hoss kongenial verkörpert. Kein Wort zu viel, keine Geste zu wenig. Isabell kommt mit ihren alten Eltern aufs Land, um das Ferienhaus der Familie - ein vom Vater entworfenes kühnes Gebäude im Bauhaus Stil - aufzulösen. Der Vater, einst ein erfolgreicher Architekt, hatte einen Schlaganfall und sitzt im Rollstuhl. Die Mutter ist beansprucht und belastet durch die Pflege. Obwohl die finanziellen Mittel für Pflegepersonal vorhanden sind, ist es ein ständiger Kampf, immer wieder neue Pfleger zu finden. Die Szenen, in denen der Film von den Nöten und Kämpfen, sozusagen dem privaten Pflegenotstand, erzählt, sind realistisch, fast dokumentarisch gestaltet.
Verstärkt wird die beklemmend real anmutende Wirkung dadurch, dass die Eltern der Hauptfigur im Film die Eltern der Regisseurin sind. Ina Weisses Vater sitzt nach einem Schlaganfall wirklich im Rollstuhl. Seine Sprachbeeinträchtigung ist real. Ich wüsste auch nicht, wie man das so spielen könnte. Eine mutige, eine riskante Entscheidung, die eigenen Eltern vor die Kamera zu bringen. Das Risiko hat sich gelohnt. An keiner Stelle ist auch nur ein Hauch von Voyeurismus spürbar. Da ist einfach authentisches, berührendes Leiden. Aber man merkt auch, dass die Regisseurin selbst Schauspielerin ist. Ihr Film ist zwar bis in die Nebenrollen glänzend besetzt, wird aber ganz und gar von zwei wunderbaren Schauspielerinnen getragen. Nina Hoss als Isabell, und Saskia Rosendahl als Anja. Zwei absolute gegensätzliche Frauenfiguren. Die wohlhabende, gebildete Maklerin, und die in prekären Verhältnissen lebende, alleinerziehende junge Mutter. Von ihr erfahren wir nur wenig Hintergrund. Und können uns auch nicht auf gesicherte Informationen verlassen. Diese beiden total unterschiedlichen Frauen, die sich außerhalb des brandenburgischen Dorfes niemals über den Weg gelaufen wären, haben doch einiges gemeinsam: ihre Überforderung mit ihrem Leben.
Die Geschichte breitet sich so flirrend wie ein heißer Sommertag aus. Nichts scheint gesichert, alles ist in der Schwebe. Isabells französischer Ehemann (Vincent Macaigne) fährt Knall auf Fall allein in Urlaub, Anja verliert wieder einen Job, und hat Schwierigkeiten mit dem Jugendamt, weil sie ihre Tochter Greta zu oft unbeaufsichtigt mit zwei Jungs durch die dörfliche Idylle streunen lässt. Zwischen den beiden unterschiedlichen Frauen entwickelt sich eine Anziehung, die ebenso unausgesprochen bleibt, wie Anjas Vorleben. Diese rätselhafteAtmosphäre kreiert eine sehr präzise und gleichzeitig sehr schwebende Erzählstruktur. Die Regisseurin lässt bewusst viele Leerstellen im Erzählfluß, die die Zuschauer zu eigener Interpretation anregen. Beim abschließenden Gespräch mit der Regisseurin wurde der Wunsch nach mehr Eindeutigkeit aus dem Publikum thematisiert. Ina Weisse verweigert bewusst diese Erfüllung - und vielleicht macht sie es sich damit manchmal etwas einfach. Aber wer sich der Erzählung und den großartigen Schauspielern anvertraut, wird mit einem atmosphärisch dichten, ganz besonderen Filmerlebnis belohnt.
Foto:
©Verleih
Info:
Zikaden (Deutschland, Frankreich)
Länge: 100 Minuten
Besetzung
Isabell Nina Hoss
Anja Saskia Rosendahl
Philipp. Vincent Macaigne
Greta Greta
Uwe Lamprecht Thorsten Merten
Claudia Christina Große
Karsten Uwe Preuss
Piotr Robert Mika
Stab
Drehbuch und Regie Ina Weisse