Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 26. Juni 2025, Teil 10
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Schauen Sie sich die Filmtheater, dies schöne alte Wort für die Kinos von heute, an, in denen Go Clara Go seit letztem Donnerstag angelaufen ist: überwiegend im Osten! Kein Wunder, denn dort gehört dieser Film in erster Linie hin, als Aufarbeitung einer historischen, ja kunsthistorischen Situation, einer Wahrheit von damals, wobei das natürlich für den Westen genauso interessant ist, nur aus anderen Gründen! In erster Linie für die, denen Kunst etwas bedeutet, aber auch für diejenigen spannend, die geschichtliche Prozesse verfolgen.
Das Ganze begann in Chemnitz, damals Karl-Marx-Stadt, und den Unkundigen muß man unbedingt etwas über diese Stadt am Rande des Erzgebirges sagen, die für die einen überhaupt nicht mehr zum Erzgebirge gehört und für diejenigen aus dem Erzgebirge jahrhundertelang die wichtigste große Stadt war. Heute weiß man, dass die Ausläufer des Erzgebirgischen Beckens genau durch den Süden Chemnitz’, konkret durch das Gelände der TU Chemnitz verlaufen und darum beide Ansichten richtig sind: Chemnitz gehört zum Erzgebirge und Chemnitz gehört nicht zum Erzgebirge. Für die Bewohner des Erzgebirges war Chemnitz seit jeher die große weite Welt und Sie müssen jemand Alten mal davon schwärmen hören, wie avantgardistisch Chemnitz vor 100 Jahren war. Wie schön, dass jetzt, wo Chemnitz Europäische Kulturhauptstadt 2025 ist, die Stadt gebührend beachtet wird.
Was auch nicht ohne ist, sind heutige Prominente, die von dort stammen. Aus dem Filmbereich hätte man Matthias Schweighöfer sicher nicht dort vermutet, auch der so früh verstorbene Ulrich Mühe und Corinna Harfouch sind dort geboren wie auch Jörg Schüttauf, der expressionistische Maler Schmidt-Rottluft und der umtriebige Künslter und MusikerCarsten Nicolai, auch Stefan Heym, einer der, ach was, vielleicht der wichtigste Schriftsteller der DDR kam von dort, zwei Formgeber: die Bauhaus-Künstlerin Marianne Brandt und Clauss Dietel, verschiedene Musikgruppen auch, die sowohl das Musikleben der DDR wie auch des heutigen Sachsen aufmischen.
Es kam also nicht von ungefähr, dass sich fünf Künstler am 30. Mai 1977 in Chemnitz zusammentaten und mit dem Namen Clara Mosch eine genossenschaftlich organisierte Galerie gründeten und sich selbst als Künstlergruppe ebenso nannten und bis 1982 zusammenblieben. Der Name Clara Mosch erklärte sich aus den Nachnamen der Künstler Michael Morgner, Thomas Ranft, Carlfriedrich Claus, Gregor-Torsten Schade und Dagmar Ranft-Schinke : CLA = Claus RA = Ranft MO = Morgner SCH = Schade.
Nicht systematisch, sondern locker folgt dieser Dokumentarfilm der Entstehung dieser avantgardistischen und absolut eigenständigen Kunstszene der DDR, die mit der offiziellen Kulturpolitik nichts am Hut hatte und ihre eigenen Wege einfach weiterbeschritt. Schon damals erklärten sie die sozialistischen Vorzeigestadt Karl-Marx-Stadt zur avantgardistischen Happening-Zone. Was darunter zu verstehen ist, kann man im Film optisch verfolgen. Die Bilder stellen uns ehemalige Mitglieder und das Völkchen drumherum vor, die über damals sprechen, aber uns interessieren natürlich die Archivaufnahmen sehr viel stärker, auf denen man Aktionen der Gruppe sieht, auch Ausstellungen, nicht zu vergessen die Künstlerfeste, denn es ging immer auch um die persönliche Freiheit von Künstlern, die sie sich nicht nehmen lassen wollten, zu zeigen, dass sie nicht untertänige Bürger sind, sondern ihren eigenen Weg gehen, eben nicht nur künstlerisch, sondern auch in der Gestaltung des eigenen Lebens, der eigenen Meinung, des Aussehens, der Kleidung. …
Wenn man den filmischen Wiedergaben von Aktionen,Ausstellungen, Auftritten folgt, denkt man als eine aus dem Westen eigentlich automatisch an die damalige Situation in Westdeutschland und da zuvörderst an die Speerspitze der künstlerischen Avantgarde, an Joseph Beuys. Wenn man bedenkt, welche Aggressionen dem in der BRD entgegenschlugen, sind die Reaktionen in der DDR fast harmlos.
Übrigens muß man sich nicht nur insgeheim fragen, wie das denn war mit der Überwachung der Gruppe durch die Staatssicherheit. Natürlich gab es die Genossen, die nicht für die eigene Gruppe arbeiteten, sondern für die Stasi; aber gerade dann, wenn man weiß, dass man überwacht wird, ist ein offenes Wort oft das beste Argument. Für den Westen ist es sinnvoll, das eingeschränkte Bild von der damaligen DDR durch diese Gruppe und ihr Umfeld mal aufmischen zu lassen. Kreativer Widerstand war möglich und wurde geleistet! Und es macht ebenso Spaß die damaligen Aufrührer heute als doch richtige Alte über damals sprechen zu hören und ihnen zuzusehen. Da kommen die Gefühle von heute genauso zum Ausdruck wie auch Nostalgie, die sein darf und dazugehört. Und eine gehörige Portion zwischen Selbstkritik und Ironie ist auch dabei.
Dem Film ist jegliche Belehrung fremd, er gibt nicht an, spielt nichts herunter und ist sehr angenehm anzuschauen.
Foto:
©Verleih
Info:
Besetzung mit
Gregor Torsten Kozik, Thomas Ranft, Dagmar Ranft-Schinke, Michael Morgner, Gunar Barthel, Nora Barthel, Olivia Glaser, Georg Girardet, Tabea Wendenburg, Isotta Poggi
Buch & Regie. Sylvie Kürsten