leonNachtrag: Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 17. Juli 2025, Teil 3

Thor Klein

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – In meinem Film ABENTEUER EINES MATHEMATIKERS hat mich der Beginn des nuklearen Zeitalters, gesehen durch die Augen eines jüdisch-polnischen Mathematikers während des Manhattan Projekts, interessiert. Es waren vernunftgetriebene Erwägungen, die zum Bau und später zum Abwurf der Bombe geführt haben, und dennoch war es ein Akt puren Wahnsinns. Dieser Gedanke hat mich auch nach dem Ende des Films noch lange begleitet. Welche Rolle spielt der Wahnsinn in unserer Gesellschaft? Wir sprechen vom verrückten Genie in der Kunst und in der Wissenschaft. Genie und Wahnsinn werden in der Alltagssprache gerne vermischt. Was meinen wir mit Wahnsinn, und welchen Einfluss hat er tatsächlich in unserem Leben und auf unsere Gesellschaft?



Von Leonora Carrington habe ich zum ersten Mal 2016 durch meine Co-Regisseurin, Autorin und Produzentin Lena Vurma erfahren. Sie hat mir eine Fotoserie gezeigt, die von Leonoras Gemälden inspiriert war. Ich habe Leonoras mysteriöse und kraftvolle Kunst entdeckt und ihre unglaubliche Geschichte gehört, die sich vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa und Mexiko abgespielt hat. Was mich daran besonders fasziniert hat, war die Geschichte einer starken Frau, deren psychische Krankheit und schöpferische Gabe sich so sehr überschnitten, dass es, je mehr man sich ihr nähert, immer schwerer wird, zu unterscheiden, mit wem man es wirklich zu tun hat. War sie eine verrückte Frau, die „zufällig“ auch malen konnte? Oder eine Malerin mit einer besonderen Gabe und vielen mentalen Schwierigkeiten, die dieses überwältigende Talent mit sich bringt? Als letztere wurde sie von ihren Freunden beschrieben, die wir auf unseren Recherchereisen in Mexiko kennenlernen konnten. Diese Frage steht im Zentrum unseres Films, ebenso der Respekt vor ihrer Resilienz, mit der ihr ein beeindruckender Heilungsprozess gelang.

Die surrealistische Kunst war subversiv, weil sie unter dem direkten Eindruck einer sich gewaltsam zersetzenden Welt entstand. Die Kanonen donnerten, während die Surrealisten die Tiefen ihres Unterbewusstseins erforschten. Viele von ihnen waren Veteranen des Ersten Weltkrieges, wie etwa Max Ernst und André Breton. Ähnlich wie heute waren alle großen Ordnungssysteme zerfallen und warfen den einzelnen auf sich selbst zurück. Auch die Wissenschaft rückte nun das Individuum in den Mittelpunkt. Es war vom Bewusstsein die Rede. Die Surrealisten machten konsequenterweise ihre Psyche und ihre Wahrnehmung zum alles dominierenden Gegenstand ihres Schaffens. Auch die Mystik und Magie waren dabei Teil ihrer Suche nach dem Unterbewussten. Sie waren besessen von der genialischen Muse mit dem wahnhaften Geist.

Leonora wuchs mit der keltischen Mythologie auf. Inspiriert von Robert Graves Buch „White Goddess“ war sie in ihrer Kunst zeitlebens auf der Suche nach den matriarchalischen Wurzeln des Götterhimmels. In früheren Kulturen waren Göttinnen weit verbreitet, bevor das Patriarchat den patriarchalischen Monotheismus durchsetzte. „Leonoras Werk hat dem Feminismus durch ihre Bilderwelten eine spirituelle Dimension verliehen“, sagte mir Gloria Orenstein, eine alte Freundin Leonoras aus den Tagen des Women Liberation Movements. Leonoras Geschichte ist inspirierend. Es ist ein Film, den man stimuliert verlassen sollte, beseelt von dem Wissen, das man sich mit seiner eigenen inneren Hyäne auch arrangieren kann.

Es war nicht einfach für Lena, den Roman von Elena Poniatowska zu optionieren. Sie ist eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen Mexikos im 20. Jahrhundert und hat bereits den Cervantes Preis, den wichtigsten existierenden spanischsprachigen Literaturpreis, für ihr Lebenswerk bekommen. Der Roman wurde in viele Sprachen übersetzt, darunter englisch, französisch, deutsch, japanisch und viele weitere. Elena unterstützt unsere Adaption – wir haben sie während der Recherche mehrmals in Mexiko besucht.

Wir haben den Film in langen Einstellungen gedreht. Man muss dazu stark in Bewegungen denken und die Kamera und die Menschen davor auf besondere Weise miteinander verbinden. Eine große Hilfe war uns dabei der Kameramann Tudor Vladimir Panduru, der aus dem rumänischen Kino um Mungiu und Puiu kommt. Die visuelle Klammer des Films bildet der von Edward James gebaute surreale Garten in Las Pozas, in dem wir als erstes Spielfilm-Team drehen konnten. Ein Ort, der selbst wie ein surrealistisches Gemälde wirkt.


Foto:
©Verleih

Info:
Besetzung & Stab
Leonora Carrington OLIVIA VINALL
Max Ernst ALEXANDER SCHEER
Chiki Weisz ISTVÁN TÉGLÁS
Edward James RYAN GAGE
Remedios Varo CASSANDRA CIANGHEROTTI
Dr. Morales / Leonoras Galerist LUIS GERARDO MÉNDEZ
Junge Leonora WREN STEMBRIDGE
Regie, Drehbuch THOR KLEIN
Regie, Drehbuch, Produktion LENA VURMA

Abdruck aus dem Presseheft