Bildschirmfoto 2025 08 31 um 23.32.08Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 28. August 2025, Teil 3

Peter Klaus Karger im Gespräch

Berlin (Weltexpresso) - Warum ein Film über Angelika Nain? Sie ist in der Kunstszene doch weithin unbekannt.

Gerade das finde ich reizvoll. Wenn man nur in Marktchancen denkt, wäre es natürlich angeraten, Filme über Menschen zu machen, die prominent sind. Mich interessieren aber die anderen. Bei meinem vorhergehenden Dokumentarfilm „Herr Felde und der Wert der Dinge“ war es ein Schuhmacher aus Kirgistan, der als Aussiedler nach Deutschland gekommen ist und dessen Reparaturladen ein Mikrokosmos von unterschiedlichsten Menschen ist. Der aus einer Mangelwirtschaft kam und deshalb ein Reparatur-Fuchs ist. Was angesichts unserer Umweltzerstörung ein relevantes Thema ist, das über Herrn Felde hinausreicht. Bei „Die Spaßmacher“ waren es zwei Herren, beide um die sechzig Jahre alt, die seit Jahrzehnten miteinander Clowntheater für Kinder machen, mit ganz unterschiedlichen Lebensentwürfen.

Ich brauche auch nicht drei, vier, fünf Protagonisten in einem Film, die ein ähnliches oder entgegengesetztes Schicksal teilen. Das wäre Fernsehen, wo die Redaktionen immer Angst haben, dass es langweilig sein könnte und der Zuschauer wegzappt. Nein, ich will mich auf ein, zwei Menschen konzentrieren und versuche, denen möglichst nahe zu kommen.


Du hast vor 20 Jahren ja schon einmal einen Film über Angelika Nain gemacht. Was war der Anlass, das Porträt jetzt noch einmal fortzuschreiben?

Vor 20 Jahren hatte sie gerade ihr Studium an der Freien Hochschule für Grafikdesign und Bildende Kunst in Freiburg abgeschlossen und teilte sich mit anderen KünstlerInnen ein Gemeinschaftsatelier in Offenburg. Das war also noch ziemlich am Anfang, und Ausschnitte aus diesem Film kommen jetzt auch im neuen vor, um die Veränderungen zu zeigen. Sie hat seitdem Lebenserfahrungen gemacht, die sich in ihren Bildern wiederspiegeln: Die Beschäftigung mit Kolonialismus und Postkolonialismus, die langjährige Betreuungsarbeit mit Geflüchteten, eine Reise nach Afrika, die Erlebnisse als Teil der Crew auf einem Seenotrettungsschiff. Ihre Arbeiten beziehen neben der Ästhetik auch klar Position. Selbst ihre Garten– und Insektenbilder haben eine politische Dimension, da geht es um das Insektensterben und den Kreislauf der Natur. 

Angelika Nain war nicht gleich begeistert von der Idee eines weiteren Films. Das hat damit zu tun, dass sie kein extrovertierter Mensch ist. Sie schlägt nicht die große Trommel um auf sich aufmerksam zu machen. Also es hat schon mehrerer Anläufe bedurft, bis sie erneuten Dreharbeiten zugestimmt hat. Schön fand ich dann, dass sie beim Dreh gesagt hat, die Arbeit am ersten Film damals hätte sie gezwungen, viel stärker zu reflektieren über das, was sie macht. Das hat mich gefreut, weil es bedeutet, dass von so einem Dokumentarfilm nicht nur ich als Filmemacher profitiere, sondern auch der Protagonist etwas mitnimmt.


Du stellst Angelika Nain als exemplarisch dar für die Situation vieler Bildender Künstlerinnen und Künstler in Deutschland. Inwiefern?

Angelika Nain ist seit 2020 in der glücklichen Lage, Rente zu beziehen und hat damit ein regelmäßiges Einkommen. Aber zuvor hat sie seit fast 30 Jahre lang versucht vom Kunstschaffen zu leben, und sie kam nach eigenen Angaben auf 10- bis 12.000 Euro im Jahr. Das deckt sich mit den Zahlen, die der Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK) in seinen Umfragen erhoben hat. Demnach hatten im Jahr 2020 knapp 60 Prozent der Befragten ein Jahreseinkommen aus künstlerischer Tätigkeit von unter 5.000 Euro, und weitere 35 Prozent gaben weniger als 20.000 Euro an. Und das meist weniger aus dem Verkauf ihrer Werke, sondern mit allerlei Nebenjobs. Bei Frau Nain waren es Kunstkurse, die Arbeit im Pflegedienst und als Dozentin an einer Jugendkunstschule. Nicht zu vergessen das Einkommen des Lebenspartners, der eine feste Stelle hatte.


Warum ist es so schwer, von der Kunst zu leben?

Es gibt natürlich Künstler, die ein gutes Einkommen erzielen. Sie werden von Galerien vertreten und ihre Arbeiten werden zu höheren Preisen gehandelt. Aber das ist eine Minderheit, wie auch die „Expertise 2020“ des BBK belegt. Ein Problem ist das Thema Ausstellungsvergütungen. Angelika Nain kann zum Beispiel in fast 30 Jahren ihres Schaffens mehr als 50 Einzel- und Gemeinschaftsausstellungen vorweisen. Aber die finden oft in den Räumen von Kunstvereinen oder Senioreneinrichtungen statt. Manchmal auch von Stadtverwaltungen organisiert, für die so ein Event, wie ein Bürgermeister in meinem Fil sagt, ein wichtiger „weicher“ Standortfaktor ist. Die Künstler selbst erhalten aber in den meisten Fällen kein Honorar dafür. Sie sind darauf angewiesen, dass Besucher ein Werk von ihnen kaufen, und müssen dann meist noch prozentual einen Anteil an den Ausstellungsmacher abgeben.


Der Titel „Die Treibende Kraft“ impliziert ja, dass es etwas gibt, was die Bildenden Künstler trotz aller schwierigen Lebensumstände niemals aufgeben lässt. Was ist es?

Das mag von Person zu Person unterschiedlich sein. Aber am häufigsten werden in Umfragen das Gefühl von Freiheit und Autonomie, die Sinnhaftigkeit der eigenen Tätigkeit und die Möglichkeit der Selbstverwirklichung genannt. Und die Anerkennung, die jemand durch diese Arbeit findet. 


„Die Treibende Kraft“ ist frei finanziert, ohne öffentliche Förderung oder Beteiligung eines Senders. Wie geht sowas?

Ich bin das, was man in der Branche einen „Rucksackfilmer“ nennt. Ich mache alles selbst, Kamera, Ton, Montage. Da ich in Villingen-Schwenningen in Baden-Württemberg lebe, also entfernt von den Filmzentren, wo man Geräteverleiher oder Schnittplätze finden würde, besitze ich eigenes Equipment. Das reicht, um im dokumentarischen Bereich einen Kinofilm zu machen, der den technischen Anforderungen genügt. Der große Vorteil ist dabei: Wenn mir morgen ein Thema über den Weg läuft, kann ich sofort loslegen. Bei drei meiner Langfilme hat die Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg (MFG) am Ende eine Verleih- und Vertriebsförderung bewilligt. Aber ich war in der glücklichen Lage, nie vom Filmemachen direkt leben zu müssen, weil ich im Hauptberuf als Journalist und
Redakteur angestellt war.

Ich hab als Jugendlicher angefangen Filme zu machen, damals mit Vaters Super 8-Kamera. Im Alter von 32 Jahren hatte ich mich mal für ein Studium an der DFFB in Berlin beworben, bin aber abgelehnt worden. Trotzdem habe ich all die Jahre immer weiter Filme gemacht, und durch Hospitanzen und Fortbildungen meinen Horizont erweitert. Und dann bin ich seit 1977 auch in einem Kommunalen Kino ehrenamtlich engagiert. Also Film und Kino sind schon ein wichtiger Teil in meinem Leben.

Foto:
©Verleih

Info:
Stab
Konzeption, Bildgestaltung, Ton, Montage: Klaus Peter Karger
Musik: Frank Meyer
Ergänzende Musik: Daniel Kamwa

Mitwirkende:
Angelika Nain, Jürgen Drafehn, José F. A. Oliver, Samantha Richardson
Filmausschnitte aus „Route 4 – A Dreadful Journey“ mit freundlicher Genehmigung von boxfish Film GbR
Der Film wurde ohne Nutzung von KI hergestellt. Die Postproduktion erfolgte mit 100% regenerativer Energie der
Elektrizitätswerke Schönau eG
Laufzeit: 78 min.
Kinoformat: DCP
FSK: noch offen (Info-Programm gemäß § 14 JuSchG)
Kino-Verleih: Karger Film Kultur und Video 

Abdruck aus dem Presseheft