Bildschirmfoto 2025 10 02 um 00.15.08Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 2. Oktober 2025, Teil 2

Redaktion

Berlin (Weltexpresso) - Wie sind Sie auf die Geschichte der realen Karla gestoßen – und was hat Sie so sehr an ihr bewegt, dass Sie diesen Stoff filmisch erzählen wollten? Konnten Sie ihr auch persönlich begegnen?
Wenn es um Debütfilme geht, braucht es oft ein ganzes Dorf, um das Talent eines Regisseurs oder einer Regisseurin hervorzubringen. In meinem Fall war es mein Drehbuchprofessor, Prof. Egbert van Wyngaarden, der mich und meinen Kurzfilm CARGO vor fünf Jahren der Autorin Yvonne Görlach ­ sowie den BR-Redakteurinnen Claudia Simionescu und Claudia Gladziejewski vorgeschlagen hat.

Als ich Yvonne damals kennenlernte und sie mich fragte, ob ich Karla als mein Debüt ­ inszenieren wolle, sagte ich sofort zu. 

Das Drehbuch war für mich wie ein kostbarer Schatz: empowernd und gleichzeitig zerbrechlich. Eine Geschichte, die ich unbedingt erzählen wollte, denn der unglaubliche
Mut und die innere Stärke, die in Karla ­ stecken, können vielen Menschen Hoffnung geben. Karla ist für mich eine Kämpferin und ein Vorbild.

Yvonne erzählte mir, dass es sich um die ­ Geschichte eines ihr sehr nahestehenden Familienmitglieds handelte — eines Menschen, den sie ihr ganzes Leben lang gekannt hatte. Mir war sofort klar, dass es eine große Verantwortung sein würde, Karla die Stimme zu geben, die sie verdient. Ich nahm diese Herausforderung mit großem Respekt an und stürzte mich sofort in die Arbeit.

Als Achtung Panda! schließlich an Bord kam, ermutigten sie uns, die Form zu reduzieren und daraus ein intimes Kammerspiel zu machen - ein konzentriertes Stück, das sich ganz auf die Hauptfiguren fokussiert. Also schrieben Yvonne und ich das Drehbuch gemeinsam um. Durch unsere enge Zusammenarbeit entwickelte sich auch eine Freundschaft — und die Geschichte wurde für mich noch persönlicher, als ich die echte Karla kennenlernte.


Der Film spielt in einer Zeit, in der das Wort eines Kindes kaum zählte. Wie haben Sie filmisch mit dieser Sprachlosigkeit gearbeitet – dem Nicht-Gehörtwerden als zentrales Thema? 

Wir erzählen ganz aus Karlas Perspektive – und immer auf Augen­ höhe mit ihr. Mir war wichtig, dass das Publikum die Welt durch ihren Blick wahrnimmt, durch ihren inneren Filter. So wird auch das Nicht-Gehörtwerden, diese fundamentale Ungerechtigkeit, direkt spürbar.

Ein zentrales Mittel dafür war für mich das Weglassen – etwa von Musik. Die Stimmgabel, die Karla bekommt, steht symbolisch für ihre Selbstermächtigung: Sie kann selbst einen Ton erzeugen. Sie findet – ganz langsam – ihre eigene Stimme. ­ Musik hätte diesen Prozess überlagert oder emotional vorstrukturiert. Ich wollte, dass der Raum für die Zuschauer offenbleibt.

Von Anfang an war mir klar: Ich brauche Momente der Stille, um die Atmosphäre von Sprachlosigkeit erfahrbar zu machen. Als Zuschauer:in muss man da durch - im wahrsten Sinne des Wortes – wenn Karla nicht sprechen will oder kann. Das hat ­ Elise unglaublich fein gespielt.

Aber das Problem ist ja nicht nur, dass sie nicht gehört wird, sondern auch, dass sie nicht erzählen kann, was genau passiert ist. Sie sagt A – „Paragraph 176 StGB“ – aber nicht B. Gehört zu werden, ohne das Unsagbare aussprechen zu müssen – das ist Karlas Prämisse.


Karla zeigt große innere Stärke, aber auf stille, nie überzeichnete Weise. Wie sind Sie an die Arbeit mit der jungen ­ Darstellerin Elise Krieps herangegangen, um diese feine Balance zu finden?

Ich habe mir bewusst Zeit genommen, um ein Vertrauensverhältnis zu ihr aufzubauen. Vor dem Dreh haben wir überhaupt nicht geprobt – wir haben viel über KARLA gesprochen – oder über ganz andere Dinge. Ich habe sie nie mit unnötigen Details überfrachtet, aber wenn sie eine Frage hatte, habe ich sie ehrlich beantwortet.

Vicky Krieps - die Mutter von Elise - war eine große Unterstützung. Sie war nicht oft am Set, aber sie hat Elise emotional gestärkt, viel mit ihr gesprochen – und wir drei sind schnell zu einer engen kleinen Einheit geworden.

Relativ früh kam die Idee auf, dass Elise das Drehbuch gar nicht lesen sollte – um ihr Spiel möglichst unmittelbar und authentisch zu halten. Es reichte, wenn sie ihre Perspektive kannte – also was Karla in der jeweiligen Situation weiß und fühlt – und sich so, Stück für Stück, im Laufe des Drehs gemeinsam mit der Figur entwickelt. 

Damit das funktioniert, war es wichtig, dass wir chronologisch gedreht haben. Natürlich haben wir ihr die Geschichte erzählt und erklärt, wer Karla ist – aber wir haben darauf geachtet, dass sie das volle Gewicht der Geschichte nicht auf einmal erfährt.

Bis etwa zur Hälfte der Dreharbeiten hat das wunderbar funktioniert: Elise hat sich jeweils nur auf den nächsten Drehtag vorbereitet – und nie weiter vorausgeschaut. Irgendwann hat sie dann doch aus Neugier das restliche Drehbuch gelesen – und das war auch völlig in Ordnung.

Mir war am wichtigsten, die Balance zu halten – sie einerseits zu schützen, ihr aber gleichzeitig auch ein Gefühl von Selbstbestimmung zu geben.


Was war Ihnen bei der Figur des Richters Lamy besonders wichtig – und wie haben Sie gemeinsam mit Rainer Bock an seiner Vielschichtigkeit gearbeitet? Inwieweit hat er eigene Zugänge zu dieser Rolle ­ gefunden?

Richter Lamy ist eine komplexe Figur – bitter, verschlossen, ein Einzelgänger. Die Arbeit ist sein Lebensinhalt, doch innerlich trägt er tiefe Wunden, die das Dritte Reich in ihm hinterlassen hat. Trotz seiner Karriere sieht er sich selbst als gescheitert. Diese Ambivalenz war mir wichtig: seine Entwicklung sollte spürbar sein, aber glaubwürdig bleiben – leise, zurückhaltend, realistisch.

Lamy wirkt zunächst abweisend, fast hart – und doch begegnen wir ihm durch die ­ Augen anderer Figuren als jemandem, der berührt. Karla etwa vertraut ihm, weil sie seine Direktheit schätzt und daran glaubt, dass er ihr helfen kann. Und auch seine Sekretärin Frau Steinberg, gespielt von der
wunder­ baren Imogen Kogge, begegnet ihm mit ­ Respekt – als Richter und als Mensch. Diese Spiegelungen waren für mich zentral, um ihn plastisch und menschlich erfahrbar zu machen, obwohl wir ihn ausschließlich im beruflichen Umfeld erleben.

Viele kleine Details – sein Spiel mit den zwei Brillen, sein goldener Füller, sein Schweigen – haben geholfen, ihn als echte Figur zu zeichnen. Dabei war Rainer Bock von Anfang an ein entscheidender Partner. Er war einer der ersten, die an das Projekt geglaubt haben. Die Geschichte hat ihn persönlich
berührt, und er hat einen sehr persönlichen Zugang zur Figur gefunden.

Schon früh im Drehbuchprozess war er involviert und hat entscheidend dazu beigetragen, Richter Lamy zu einem vielschichtigen, tiefgründigen Menschen zu machen. Seine Sensibilität, seine Präsenz und sein Gespür für Nuancen haben diese Figur letztlich mit Leben gefüllt.


Was, würden Sie sagen, können wir heute aus Karlas Mut lernen – nicht nur im Umgang mit Missbrauch, sondern auch im Hinblick auf institutionelles Zuhören und Gerechtigkeit?

Karlas Mut ist deswegen so bemerkenswert, weil sie in einem tiefen Dilemma steckt. Sie sprengt die Familie, um aus ihrer Hölle herauszukommen. Das institutionelle Zuhören ist in diesen Fällen bis heute herausfordernd und enorm wichtig. Denn allein durch die institutionelle Zeugenschaft entsteht ein Gefühl von Gerechtigkeit und Selbstermächtigung. Das gibt den
Betroffenen die Kontrolle über das eigene Leben zurück - und
damit eine echte Chance.

Foto:
©Verleih


Info:
Besetzung

Karla                   Elise Krieps
Richter Lamy      Rainer Bock
Sekretärin Erika Steinberg       Imogen Kogge
Stab
Regie     Christina Tournatzes
Drehbuch   Yvonne Görlach

Karla · Deutschland 2025 · 104 Min. · Deutsche Originalfassung
Drama · FSK: ab 12 Jahren
Kinostart: 2. Oktober 2025

Abdruck aus dem Presseheft