eeissSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 18. Dezember 2025, Teil 5

Michele Salimbeni

Berlin (Weltexpresso) - Können Sie etwas über die Entstehung des Films und seine Beziehung zu Andersens Märchen „Die Schneekönigin“ erzählen? 

Ich hatte das Glück, Hans Christian Andersen im Alter von fünf Jahren zu entdecken, als meine Mutter mir die ungekürzten Versionen seiner Märchen vorlas. Seitdem faszinieren sie mich immer wieder, sowohl wegen ihrer menschlichen Komplexität, ihrer sensiblen und nicht moralistischen Darstellung unserer Ängste und Wünsche als auch wegen ihrer reichen poetischen Vorstellungskraft. „Die Schneekönigin“ gefällt mir besonders gut, aber ich habe mich nur sehr lose von dem Hauptthema inspirieren lassen: Ein junges Mädchen macht sich auf die Suche nach dem Menschen, den sie liebt, der von der Schneekönigin entführt wurde, und gelangt in deren Reich, das gefrorene Königreich der Toten. Die Schneekönigin selbst fasziniert mich besonders: eine vollkommene und allwissende Gestalt, unzugänglich und geheimnisvoll, gleichzeitig attraktiv und furchterregend. Die Begegnung zwischen dem jungen Mädchen und dieser Königin war der Ausgangspunkt für diesen Film.


Wie haben Sie an dem Drehbuch gearbeitet? 

Zunächst habe ich alleine daran gearbeitet, um das Material zu finden, das mich an der Geschichte am meisten interessierte. Von Anfang an habe ich mich dafür entschieden, es in die Realität zu übertragen und eine klassische, lineare Erzählung zu konstruieren. Aber man kann sich selbst nicht entkommen, und irgendwann verschwammen die Erzählung und die Zeitebenen von HERZ AUS EIS wie in einem Traum. Gemeinsam mit dem Drehbuchautor Geoff Cox haben wir sowohl die emotionale Reise der Figuren als auch die Struktur entwickelt. Wir verfolgen einen indirekten Ansatz beim Geschichtenerzählen, der sich nicht stark auf Dialoge stützt. Wir versuchen, die Geschichte durch Details zu erzählen und die Erfahrungen der Figuren durch visuelle Elemente – Beleuchtung, Atmosphäre, Farben, Details der Kulissen, Requisiten und Kostüme – sowie Geräusche und durch Verbindungen zwischen diesen Elementen zu vermitteln. Ein bisschen wie in einem Gedicht. Die Produzentin Muriel Merlin las eine frühe Version des Drehbuchs und war von dem Projekt begeistert.


Dies ist Ihr zweiter Film mit Marion Cotillard…

Ich war so glücklich, Marion zwanzig Jahre nach INNOCENCE wiederzufinden, um die Doppelrolle einer Filmikone (Cristina) und der Schneekönigin zu spielen. Marion besitzt eine moderne und zugleich zeitlose Ausstrahlung, die ich in meinen Filmen suche; ein Gesicht, das die Ausdruckskraft von Schauspielerinnen aus den 1930er Jahren hat – der Zeit, auf die sich der Filmx in HERZ AUS EIS bezieht. Aber ihre Darstellung ist auch sehr modern, mit einer Energie, die an Schauspielende der 70er Jahre erinnert, einer Ära des Kinos, die – implizit – diesen Film nährt.

Ihre intensive Filmpräsenz, ihre an Hitchcock erinnernde Schönheit und Eleganz würden einen Teenager absolut in ihren Bann ziehen. Wir mussten nicht viel besprechen oder proben, vielleicht weil INNOCENCE uns irgendwie verbunden hatte und Marion INTERVIEW MIT LUCILE HADŽIHALILOVIĆ GEFÜHRT VON MICHELE SALIMBENI 5/12 wusste, dass ich eine zurückhaltende Darstellung suchte. Sie spielt denselben Charaktertyp: ein weibliches Ideal (die Tanzlehrerin in INNOCENCE und jetzt die Filmschauspielerin), aber mit einer verborgenen Wunde. In beiden Fällen sieht sich diese Figur mit jungen Mädchen konfrontiert, Spiegelbildern dessen, was sie hätte sein können. Sie wird mit dem konfrontiert, was aus ihr geworden ist. In HERZ AUS EIS drückt die Mehrdeutigkeit ihrer Darstellung die ihres Charakters aus. Wir wissen nie, ob Cristinas Gefühle echt oder vorgetäuscht sind, noch inwieweit sie von der Königin „besessen“ ist oder nicht. Marion wusste genau, wie sie die manchmal paradoxen Facetten ihrer Figur darstellen musste: kalt, distanziert und herrisch, aber auch impulsiv, leidenschaftlich, sinnlich, schließlich zerbrechlich und zutiefst melancholisch. Sie bewegt sich subtil und glaubwürdig zwischen Verführung und Drohung, und die beunruhigende Seite, die sie in dem Film offenbart, habe ich selten bei ihr gesehen und ließ mich erschauern. 


Sie haben Ihren ersten Spielfilm INNOCENCE erwähnt. Gibt es in Ihrer Filmografie eine Kontinuität von einem Werk zum anderen?

Ich stelle fest, dass sich dieselben Motive und Erzählstrukturen von Film zu Film wiederholen: die „märchenhafte“ Form; die Reifung einer jungen Protagonistin, die eine geheimnisvolle Welt erkundet, die von mehr oder weniger phantasmagorischen Erwachsenen bevölkert ist; die Figur der toxischen Mutter – sei es durch ihr Handeln oder ihre Abwesenheit. Außerdem Enge, leere, labyrinthische Räume. Und dann noch die Natur, die mit weiblichen Figuren verbunden ist, mit Wasser als Hauptelement in all seinen Formen: Flüsse, Seen, Brunnen, Wasserfälle, Regen, Schnee und Eis ... Ein unglaublich filmisches Element.


Der Film knüpft an die metacinematografische Form an, die in bedeutenden Werken wie Fellinis 8½ (1963) und Truffauts DIE AMERIKANISCHE NACHT (1973) zu sehen ist. Wie fügt sich HERZ AUS EIS in diese Tradition, die fast schon ein Subgenre ist?

Es gibt ein sehr wichtiges Element in Andersens Märchen: einen Spiegel, der ein verzerrtes Bild der Welt widerspiegelt. Ich dachte, dass das reale Äquivalent zu diesem Spiegel sowohl die Kameralinse als auch die Kinoleinwand sein könnte. Außerdem wollte ich von Anfang an einen Film im Film, wobei der eine das Double des anderen ist, der eine realistisch, der andere fantastisch. Und dann kam natürlich der Wunsch, dass die beiden Filme wie russische Puppen ineinanderpassen, sich vermischen ... Umso mehr, weil dieser Film im Film durch die Augen des jungen Mädchens, gespielt von Clara Pacini, wie ein Traum gesehen wird: ihr Traum. Diese Möglichkeit war sehr inspirierend. Andererseits „kontaminiert“ die poetische Welt des Films im Film die reale Welt, angefangen beim Studio, in dem die Geschichte spielt und das zu einer Erweiterung des Königreichs wird. Sie greift sogar auf die Stadt über und kristallisiert sich in der Eislaufbahn, einem Portal zu einem magischen Reich. Schließlich ermöglichte mir das Filmstudio, die Bilder auf der Leinwand im Vorführraum mit einem spannenden Effekt der Verdopplung und Wiederholung zu zeigen. Denn HERZ AUS EIS ist weniger eine Geschichte über die Entstehung eines Films als vielmehr über die Faszination, die projizierte Bilder auf die Zuschauer*innen ausüben. filmisches Element. 


Könnte man die Kulisse der 70er Jahre als eine Art geheime Autobiografie betrachten? Ich denke dabei an die Entdeckung und Faszination eines Teenagers für das Kino. Und wie sind Sie an die Darstellung der Figur des Regisseurs herangegangen?

Diese Ära, in der Bilder und Informationen noch nicht so allgegenwärtig waren begünstigte Jeannes Unschuld und die verführerische Mystik und Macht eines Filmstars. Aber natürlich hat die Wahl einer jugendlichen Protagonistin und die Tatsache, dass die Geschichte in den 70er Jahren spielt, auch einen autobiografischen Aspekt. Es ist das Jahrzehnt meiner eigenen Jugend, in dem ich das Kino entdeckt habe und mich zum ersten Mal dafür zu begeistern begann. Wenn es in dem Film ein Selbstporträt gibt, dann natürlich durch die junge Frau und nicht durch die Figur des Regisseurs, der eher passiv und aus der Geschichte herausgenommen ist. Umso mehr, als es Jeanne ist, die sozusagen den Film im Film träumt und dessen Autorin ist. Um diesen Regisseur zu verkörpern – dessen Name, Dino Dorato, eine Anspielung auf Dario Argento ist, dessen Filme mich so geprägt haben, auch wenn die Art von Fantasie, die Dorato macht, eher an das deutsche oder französische Kino erinnert –, dachte ich, dass es sehr reizvoll wäre, einen echten Regisseur zu besetzen. Am Ende habe ich mich für jemanden entschieden, der sich sehr von der Figur unterscheidet. Gaspar Noé hatte Spaß daran, sich in einen Regisseur zu verwandeln, wie man ihn in bestimmten Filmen der 60er und 70er Jahre sieht, der aber weder er noch ich ist.


Foto:
©Verleih

Info:
Stab
Regie Lucile Hadžihalilović
Buch. Lucile Hadžihalilović, Geoff Cox
Kamera. Jonathan Ricquebourg

Besetzung
Marion Cotillard. (Cristina).
Clara Pacini(. Jeanne/Bianca).
August Diehl (Max).
Gaspar Noé (Dino).
Marine Gesbert. (Stéphanie)
Lilas-Rose Gilberti 

2025 /
Frankreich/Deutschland /
Farbe /
OmU & deutsche Synchronfassung
117 Min. /
Spielfilm / DCP-2K

Abdruck aus dem Presseheft