Die Wettbewerbsfilme der 65. Berlinale vom 5. bis 15. Februar 2014, Film 15

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Was waren wir auf diesen Film von Wim Wenders gespannt, der am Dienstag, dem sechsten Festivaltag, alle Rekorde sprengte, so viele Journalisten wollten ihn in vier Pressevorführungen sehen - und wie enttäuscht waren wir danach. Obwohl im Gegensatz zum russischen Film eine Handlung vorliegt, uns das aber alles zu eindimensional erschien, obwohl der Film ja sogar in 3 D produziert wurde.

 

Der Beginn scheint auf eine Beziehungsgeschichte hinauszulaufen, denn zwischen Tomas (James Franco) und seiner Freundin Sara (Rachel McAdams) läuft es gar nicht gut, was sie – verletzt – nicht so wahrnehmen möchte. Doch während er noch beim Autofahren darüber nachdenkt, laut die Musik aufdreht und ihre Anrufe nicht entgegennimmt, passiert das, was Thema des Films wird. Tomas hört ein schreckliches Geräusch und sah zuvor aus den Augenwinkeln noch einen Schatten den Schneeberg hinunterrasen, weshalb er eine Vollbremsung durchzieht. Und jetzt kommt einer der stärksten Szenen der Filmgeschichte, mit der man Zuschauer gekonnt desorientiert. Tomas steigt aus, sieht den Jungen unverletzt vor dem Auto auf dem Schnee sitzen, sagt,sich und dem Jungen beruhigend unentwegt EVERY THING WILL BE FINE, was zum Filmtitel wurde, und bringt den Jungen zusammen mit dessen Schneegleiter froh zum Haus in der Nähe.

 

Und nun kommt es. Die Mutter (Charlotte Gainsbourg) fragt sofort nach dem kleinen Bruder. Kleiner Bruder, davon sagte der große nichts und Tomas konnte von der Existenz des Kleinen nichts wissen. Der liegt tot unter dem Auto. Der überlebende und für den Kleinen verantwortliche Bruder fällt in Schockstarre und Tomas wird nach diesem Unfall, für den er nichts konnte, nie wieder der alte sein. Er versucht, zum einen, durch Kontakt mit der Mutter seine eigenen Schuldgefühle zu verringern, nur hat diese selber gehörige, denn hätte sie nicht so intensiv ihren Faulkner gelesen, hätte sie die beiden Buben früher hineingerufen. Alles weist im Haus auf den fehlenden Bruder hin, die zwei Schaukeln, die beiden Schneemänner, die Fotos und auch die von den Kindern gemalten Bilder, die die alleinerziehende Mutter mit ihren beiden Buben zeigen.

 

Doch diese Intensität hält der Film nicht durch. Die Handlung wird teilweise wirre, wenn wir Zuschauer erst glauben sollen, daß sich zwischen der Mutter und dem Autofahrer etwas tut, dabei braucht sie ihn nur zum Zeugen, denn sie verbrennt den Faulker in ihrem Kamin und will danach Tomas nie wiedersehen. Der möchte Sara nicht mehr wiedersehen, hängt sich an Anna und ihre Tochter, die ihm als Familie bieten, aber das ist nicht stringend erzählt und kommt einem so beliebig vor, wie der ganze Tomas, der entwurzelt durch die Welt streift. Es gibt anrührende Szenen mit seinem Vater und auch sein eigentliches Thema, das Schreiben von Büchern, das er nun auf dem Hintergrund von Schmerz und Verlust mit Tiefgang versehen kann, wird nun eine Rolle spielen, was ihm Erfolge bringt.

 

Mag schon sein, daß das eigentliche Thema des Films das sich selbst Verzeihen ist, was für drei Personen gilt: Tomas, den überlebenden Sohn Christopher und die Mutter Kate. Aber das ist eine theoretische Ableitung und ergibt sich nicht aus dem Fühlen im Film. Dieser Christopher wird mit 16 Jahren nach all den Jahren dem Schriftsteller einen Brief schreiben und will ihn besuchen, was irgendwie ohne daß eine Beziehung aufgebaut wird, zwischen beiden abläuft. Auch eine heftige Reaktion des Jungen, der bei der neuen Familie von Tomas einbricht und in deren Bett macht, hilft einem nicht weiter, zu wissen, warum man diesen Film sehen muß und warum man ihn drehen wollte und sollte. Soviel Aufwand, so berühmte Schauspieler, eine Geschichte, die es in sich hat, aber der Zuschauer, wenigstens wir und die Darumsitzenden, reagieren nicht mit Gänsehaut und Mitgefühl. Schade.

P.S. Damit ist der vierte deutsche Film im Wettbewerb- wenn auch außer Konkurrenz - gelaufen, der Enttäuschung brachte, was man den Filmbesprechunen entnehmen kann.Nur VIKTORIA von Sebastian Schippe, von dem man weniger erwarten durfte als von Wenders, Herzog und Dresen, hat im zweiten Teil seines Films virulent Fahrt aufgenommen, die uns noch immer atemlos macht. Allerdings war die erste Stunde - auch dieser Film braucht zum Erzählen seiner Geschicht, allerdings in einer einzigen Kamerabewegung ohne Schnitte, 140 Minuten! - so lähmend, daß viele die Vorstellung verließen und dann kopfschüttelnd von guten Besprechungen lasen. Oliver Hirschbiegel kommt mit ELSER.13 MINUTEN am Donnerstag in die Pressevorführung. Schau'n wir mal.

 

INFO:

 

R: Wim Wenders

Deutschland, Kanada, Frankreich, Schweden, Norwegen 2015

Englisch, 118'

D: James Franco, Charlotte Gainsbourg, Rachel McAdams, Marie-Josée Croze, Robert Naylor, Patrick Bauchau, Peter Stormare