Die Wettbewerbsfilme der 65. Berlinale vom 5. bis 15. Februar 2014

 

Kirsten Liese

 

Berlin (Weltexpresso) – So einig waren sich Juroren, Kritiker und Zuschauer selten auf einer Berlinale: Wo immer über den Favoriten für den Goldenen Bären spekuliert wurde, kam die Sprache auf den iranischen Filmemacher Jafar Panahi und sein bestechendes jüngstes Werk „Taxi“.

 

Tatsächlich hat die Jury der 65. Berlinale unter dem Vorsitz von Darren Arronofsky („Black Swan“) dem iranischen Oppositionellen diese hohe Auszeichnung zuerkannt. Man hatte das im Stillen gehofft, war sich aber bis zum Schluss nicht ganz sicher, ob der damit erforderte Mut von allen Seiten aufgebracht würde. Dem Iran ist die Sympathie des Westens mit dem Regimekritiker Panahi schon lange ein Dorn im Auge. Tollwütige Protestaktionen ließen sich da nicht ganz ausschließen.

 

Entsprechend groß war das Aufgebot an Sicherheitskräften bei der Preisverleihung, aber ein Einschreiten war zum Glück nicht vonnöten.Es war ein sehr bewegender Moment im Berlinale-Palast. Panahi selbst konnte die Trophäe nicht entgegen nehmen, weil er in seiner Heimat unter Hausarrest steht. Immerhin waren die Ehefrau und die kleine, in dem Roadmovie mitspielende Nichte des Regisseurs zugegen. Unter Freudentränen nahm das Mädchen den Preis entgegen.

 

In Zeiten, in denen generell viel über die Bedeutung von Religion diskutiert wird und über die dringende Notwendigkeit, sie von der Politik stärker abzukoppeln, trifft es sich freilich gut, dass mit „El Club“ ein weiteres bemerkenswertes Drama zu diesem Thema die zweithöchste Auszeichnung, den Großen Preis der Jury, gewann. Nun ist der Chilene Pablo Larraín nicht der Erste, der von pädophilen, katholischen Heuchlern erzählt, aber er zeigt sich unter allen am pessimistischsten.

 

Seine Protagonisten sind sündige, schuldbeladene Priester, sie haben Messdiener missbraucht Babys reicher Leute an arme verkauft oder einfach nur ihre verbotene Homosexualität ausgelebt. Deshalb hat Mutter Kirche sie suspendiert. Als Club der verlorenen Priester führen sie eine Existenz als Außenseiter in einem Haus am Meer. Mit einer Anklage muss hier allerdings niemand rechnen, und genau das erklärt, warum „El Club“ so weh tut: Weil in einem autoritären System Lüge, Selbstgerechtigkeit und Feigheit stets größer sind als der Mut zur Veränderung. Weil ein Homosexueller in einer die Sexualität verbietenden Institution unweigerlich zum Leiden verdammt ist. Und nicht zuletzt, weil das Opfer gegen eine Phalanx des Schweigens nicht gewinnen kann. Das erklärt freilich auch, warum Larraín diesen düsteren Film über weite Strecken sehr dunkel ausleuchtet. Fürs Auge sind die vielen Gegenlichtaufnahmen auf Dauer sehr anstrengend, im Fernsehen sollte man ihn besser nicht ausstrahlen.

 

Guten Geschmack bewies die Jury auch mit der Wahl ihrer Darsteller-Bären (Charlotte Rampling, Courtenay) und einem geteilten Regie-Preis für zwei spröde Kleinodien aus Osteuropa: Der rumänische Beitrag „Aferim“ schickt uns in eine verdrängte Zeit der Geschichte, um nachzuvollziehen, warum die Roma noch heute vielerorts geächtet sind. Tatsächlich hilft der Blick in die dunkle Vergangenheit des Wilden Ostens, die Befindlichkeiten der heutigen Region auf dem Balkon zu verstehen. In der spröden Schönheit der Walachei um 1835, eingefangen in reizvollen Schwarzweißbildern, tut sich eine grausame, von Menschenhandel, Willkür und Rassismus geprägte Welt auf.

 

Bis weit ins 19. Jahrhundert herrschte in großen Teilen der ländlichen Gebiete tiefstes Mittelalter. Frauen nannte man durchweg Schlampen-, „Zigeuner“ Maden, Krähen oder mieses Pack. Es geht also sehr rau zu in diesem Balkanwestern, und mitunter sind die vor politischen Unkorrektheiten nur so strotzenden Dialoge zwischen einem Hauptmann, seinem Sohn und all den Menschen, die sie auf ihrem Ritt durch den Wald begegnen, auch ganz amüsant.

 

Wie sich ein ernster Stoff gekonnt auffrischen lässt, davon gab auch die Polin Malgorzata Szumowska ein eindrucksvolles Beispielt. Mit „Body“, Drama um eine magersüchtige junge Frau, hatte die Berlinale endlich auch das beachtenswerte Werk einer Frau im Programm. Schön, dass die Jury sensibel genug war, seine Qualitäten zu erkennen.