Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 19. Februar 2015, Teil 3

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Innerhalb der Berlinale ging es auch um den neuen Film SELMA, der zwar nicht im Wettbewerb lief, aber dessen Pressekonferenz im Pressezentrum lebhaft ablief. Dazu gleich mehr. Ein politischer Film oder ein Film über Politik oder einen Politiker?

 

Unabhängig davon, wie man die Frage beantwortet, kann man vor vorneherein sagen, daß man bei solchen Filmen immer Kritiker haben wird. Denn zu politischen Personen der Zeitgeschichte haben die meisten von uns eine eigene Meinung und je nach dieser Meinung gehen solche Filme dem einen zu weit, dem anderen nicht weit genug – und nur selten strahlen sie eine derartige Geschlossenheit aus, daß die Leute nicht anders können, als „Na ja, gut!“ zu sagen. So beispielsweise bei der Hommage à Nelson Mandela.

 

Nun ist Martin Luther King heute einer der Säulenheiligen der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und ein Film über ihn ist in erster Linie der notwendige Versuch, seine Geschichte und die der schwarzen US-Amerikaner im 20. Jahrhundert zur amerikanischen Geschichte schlechthin zu machen. Der Film dient dem kulturellen Gedächtnis der Nation, um überhaupt den Mann, der meist nur denen, die ihn erlebt hatten, ein Begriff geblieben ist, auch für die Jugend überlebenswert zu machen. Von daher ist es ziemlich überheblich, von einem Hollywoodfilm einen kritisch hinterfragenden Film zu erwarten, wenn doch andere Anliegen gewaltiger und vordringlicher sind.

 

Um einen Vergleich zu wagen: Den Film SCHINDLERS LISTE hätte man auch ganz anders gestalten können, nämlich als Generalabrechnung mit all den Leuten im Nationalsozialismus, die ihren kleinen Gewinn mit den Nazis gemacht hatten, statt generell als Widerständige aufzutreten. Genauso wie diese Lesart eine einseitige wäre und die moralische Kraft, die aus SCHINDLERS LISTE von der Leinwand überspringt, verloren wäre, kann SELMA das staatstragende Bild von Martin Luther King, das ihm als jemand, der die USA vor Fehlentwicklungen warnen konnte und die richtige Richtung vorgab, in den Gemütern und Hirnen des Landes festschreiben. Es geht um die USA! Für die Welt bleibt es amerikanische Geschichte, die Weltgeschichte schreibt. Aber noch nie im Kino gezeigt wurde. Eigentlich erstaunlich.

 

In SELMA geht es um das Frühjahr 1965, in dem das dritte Mal ein Protest von der Stadt SELMA aus den Amerikanern zeigen soll, daß es so nicht weitergehen kann. Daß nämlich formale Recht für Schwarze da sind, die ihnen materiell nicht gewährt werden. Wie das Wahlrecht. Nicht mehr Bürger zweiter Klasse sein zu wollen, ist also Ausgangspunkt. Martin Luther King ist nicht aus Selma, auch nicht aus Alabama, in dessen Hauptstadt der Marsch geht. Er ist gerade mit dem Friedensnobelpreis geehrt worden und will dessen internationale Bedeutung für die Bürgerrechte der Schwarzen nutzten. Was als Marsch beginnt, wird zum politischen Fanal. Präsident Lyndon B. Johnson, seit November für den am 22. November 1963 ermordeten Präsidenten Kennedy im Amt, muß den VOTING RIGHTS ACT einführen. Martin Luther King wird am 4. April 1968 in Memphis ermordet.

 

Es ist also eine kurze Zeitspanne, um die es in SELMA eigentlich geht, die aber in einem Film gut geeignet ist, für Rückblenden, die die Hauptfigur, den durch David Oyelowo eindrucksvoll verkörperten Martin Luther King dem Zuschauer näherbringt, in seinen Ängsten, in den Hoffnungen, in all dem, was menschlich ist. Ineinander verschränkt sind also die persönliche Geschichte des Mannes, Ehemannes und Vaters King mit der Bürgerrechtsbewegung. Dafür ist der Hauptdarsteller eine Idealbesetzung, weil er das durchaus Statuarische seines Vorbildes aufbringt, denn im Gegensatz zu Malcolm X, dem Führer der Black-Muslim-Bewegung - der ebenfalls am 21. 2. 1965 ermordet wurde, welch furchtbare Morddekade in den USA - war King der Vertreter schon etablierterer Kreise, die aber alle einig waren in dieser Bürgerrechtsfrage.

 

Die Regisseurin Ava Du Vernay bemerkt zu ihrem Film: Wir denken an King oft als Denkmal, an eine Rede oder einen Feiertag. Aber in erster Linie war er ein Mann. Ein Mann, der komplizierte Beziehungen führte, überaus menschlich war und im Alter von 39 jahren starb, während er für jene Freiheiten kämpfte, in deren Genuß wir heute kommen. Ich glaube, wenn man seinen Mythos dekonstruiert, dann realisiert man, daß seine innere Stärke etwas ist, was wir alle haben. Wenn wir uns diese Stärke wirklich zunutze machen können, dann können wir Großartiges erreichen!“ Fortsetzung folgt.

 

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Selma (Großbritannien, USA 2014)

Genre: Drama

Filmlänge: 128 Min.

Regie: Ava DuVernay

Drehbuch: Paul Webb

Darsteller: David Oyelowo, Tom Wilkinson, Tim Roth u.a.

Verleih: Studiocanal

FSK: ab 12 Jahren